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# taz.de -- Grüne Abgeordnete über Flüchtlingsschiff: „Die Situation ist d…
> Das Rettungsschiff „Lifeline“ mit 230 Flüchtlingen kreuzt im Mittelmeer,
> weil Italien und Malta die Aufnahme verweigern. Luise Amtsberg berichtet
> von Bord.
Bild: An Bord der Lifeline gibt es nur zwei Toiletten und eine Dusche – für …
taz: Frau Amtsberg, [1][das Rettungsschiff „Lifeline“ mit 230 Flüchtlingen
an Bord kreuzt im Mittelmeer], weil Italien und Malta eine Aufnahme
verweigern. Wie sind Sie auf das Schiff gekommen?
Luise Amtsberg: Ich bin mit einem Kollegen aus der
Grünen-Bundestagsfraktion nach Malta geflogen, weil wir fürchten, dass
diese Situation eskaliert. Jetzt gerade befinden wir uns in der
maltesischen Hafenstadt Valletta. Das Schiff der deutschen
Nichtregierungsorganisation „Mission Lifeline“ liegt 24 Seemeilen vor der
Küste. Am Sonntag haben wir uns ein Boot gechartert und sind dreieinhalb
Stunden zur Lifeline rausgefahren.
Wie ist die Situation auf dem Schiff?
Die Situation ist der Horror. Anders kann ich es nicht sagen. Die Lifeline
ist klein, in etwa so groß wie eine der Fähren, die hier regelmäßig
verkehren. Man kann das Schiff nicht betreten, ohne auf Menschen zu treten.
Es ist wahnsinnig heiß, kaum ein Luftzug regt sich. Die Leute sitzen dicht
an dicht, manche auf der Reling, weil es so eng ist.
Wie geht es den Flüchtlingen?
Man merkt ihnen die Strapazen der Flucht an. Es sind vor allem junge Männer
an Bord, auch Minderjährige. Ein paar Frauen und Kleinkinder sind auch
dabei. Sie sind ausgezehrt, müde und unterernährt. Die Leute haben keine
Reserven mehr. Es gibt auch medizinische Notfälle. Ein Mann hat Wasser in
der Lunge, andere haben Knochenbrüche. Vor einigen Tagen ist eine Frau mit
einem zehn Monate alten Säugling ins Koma gefallen – sie musste
zurückgeholt werden.
Der Stress der Menschen muss enorm sein. Wie äußert sich das?
Alle haben Angst und sind verzweifelt. Die Anspannung ist riesig. Wenn
einer die Nerven verliert, sind alle in Gefahr. Wir haben lange überlegt,
ob wir überhaupt zu dem Schiff rausfahren. Denn unser Besuch weckte bei den
Flüchtlingen Hoffnungen, die wir nicht erfüllen können. Deshalb versuchen
wir jetzt, politisch Druck aufzubauen. Ganz Europa schaut weg, keiner fühlt
sich zuständig. Das darf nicht sein.
Wie sind die hygienischen Verhältnisse?
Es gibt an Bord zwei Toiletten und eine Dusche. Für 234 Menschen. Die
hygienischen Verhältnisse sind entsprechend katastrophal. Inzwischen ist
die Krätze ausgebrochen. Ich habe einen Säugling mit den juckenden,
rötlichen Hautreizungen gesehen. Zum Glück gibt es eine Aufbereitungsanlage
für Salzwasser. Es gibt also zumindest Trinkwasser. Aber das Bedürfnis der
Menschen, sich ordentlich zu waschen, ist groß. Wir haben Seife und ein
paar andere Sachen mitgebracht.
Wird das Schiff vom Hafen aus versorgt?
Das ist schwierig, die Entfernung ist sehr groß. Hier liegen Schiffe
anderer Nichtregierungsorganisationen vor Anker. Sie laufen aber nicht aus,
weil sie wegen der restriktiven Politik der maltesischen Behörden Angst
haben, nicht mehr zurück in den Hafen zu kommen. Die Lebensmittel an Bord
der Lifeline gehen langsam zu Ende. Schließlich ist das Schiff schon den
fünften Tag draußen.
Wie ist das Wetter im Moment – und wie soll es in den kommenden Tagen
werden?
Der Wellengang ist jetzt schon hoch. Morgen soll es laut Wetterbericht ein
Unwetter geben. Dann wird die Lifeline in Seenot geraten. Wenn sich bis
dahin nichts an der Situation ändert, werden Menschen sterben. Nimmt der
Seegang stark zu und wird das Deck durch Regen oder Wellen rutschig, dann
gehen da Leute über Bord. Seekranke werden sich vor Übelkeit nicht mehr
festhalten können. Deshalb bleibt ein Zeitfenster von einem Tag, um eine
Lösung zu finden.
Warum funkt der Kapitän nicht jetzt schon „Mayday“?
Er macht sich strafbar, wenn er das tut. Für das Notsignal gibt es klare
Regelungen. Er darf erst Mayday funken, wenn es zu spät ist. Das Schiff
wird es in einem Unwetter nicht mehr ohne Schaden bis zum Hafen schaffen.
Wo hat die Lifeline die Menschen gerettet?
Das Schiff hat die Flüchtlinge außerhalb der Territorialgewässer Libyens
aufgenommen. Es war keine Rettung nach einem Kontakt mit Schleppern,
sondern die Lifeline hat die Boote auf dem Radar entdeckt. Die eigentlich
zuständige libysche Küstenwache hat widersprüchliche Funksprüche abgesetzt.
Erst hieß es, sie übernehme die Rettung – dann hieß es, die Lifeline solle
vor Ort bleiben. Als das Schiff der libyschen Küstenwache nicht auftauchte,
hat die Lifeline die Menschen an Bord genommen, weil sie sonst ertrunken
wären. Ein weiteres Flüchtlingsboot ist dabei abgetrieben und verschollen.
Warum steuert die Lifeline nicht einen Hafen in einem anderen Staat an?
Auch der Treibstoff geht zur Neige. Die Maschinen müssen wegen der Systeme
ja ständig laufen. Schaltete der Kapitän die Maschinen aus, bräche auch
Panik aus. Die Lifeline käme mit ihrem Öl gar nicht mehr zu einem Hafen in
einem anderen Land. Außerdem funktioniert die Kooperation mit der libyschen
Küstenwache nicht. Sie müsste einen anderen Hafen zuweisen, meldet sich
aber einfach nicht mehr. Es ist eine humanitäre Notsituation entstanden,
weil sich keiner zuständig fühlt.
Italiens rechtspopulistischer Innenminister Salvini will
Hilfsorganisationen [2][das Anlegen in italienischen Häfen verbieten]. Was
hieße das?
Das hieße, dass wir die Situation, die wir jetzt auf der Lifeline
beobachten, täglich hätten. Die Hilfsorganisationen stünden vor einem
Dilemma: Fahren sie raus, kommen sie nicht mehr in die Häfen rein. Sie
operierten also in totaler Ungewissheit. Bleiben sie aus Angst im Hafen,
sterben Menschen. So einfach ist das. Es ist ja falsch zu glauben, die
Flüchtlinge stiegen dann einfach nicht mehr in die Boote der Schlepper.
Betroffen wären übrigens nicht nur Rettungsschiffe der NGOs, sondern auch
Handelsschiffe: Das dänische Containerschiff „Alexander Maersk“ hat 113
Flüchtlinge aus Seenot gerettet – und wartet seit Freitag auf die
Erlaubnis, in einen Hafen einzufahren. Dass die EU die aktuelle Situation
einfach in Kauf nimmt, zeigt, wie stark sich der Diskurs nach Rechts
verschoben hat.
Was muss die Bundesregierung aus ihrer Sicht tun?
Es würde schonmal helfen, wenn sich ein Mitglied der Bundesregierung äußern
würde. Was sagt die Kanzlerin zu dem Skandal? Was der Außenminister? Die 17
deutschen Besatzungsmitglieder der Lifeline sind akut bedroht. Das
Auswärtige Amt muss sich zumindest für die deutschen Staatsangehörigen
zuständig fühlen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Lifeline darf in
Malta anlegen, oder die Menschen werden auf See auf ein anderes Schiff
evakuiert. Es geht jetzt nicht um die Lösung einer europapolitischen Frage,
die ist bis morgen nicht zu schaffen. Das Sterben muss schnell verhindert
werden.
25 Jun 2018
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
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