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# taz.de -- Umgang mit der AfD im Plenarsaal: Kämpft heftig, aber ohne Tricks!
> Bald sitzen AfD-Abgeordnete im Bundestag. Wie mit ihnen umgehen?
> Vorschläge, entstanden aus den Erfahrungen in den Landesparlamenten.
Bild: Auch vor Tegel: die AfD
Wenn sich am 24. Oktober der neue Bundestag konstituiert, ist auch die
Alternative für Deutschland (AfD) dabei. Die Auseinandersetzung mit
Rechtspopulismus und Fremdenhass ist damit im Plenarsaal angekommen. Was
wird sich dadurch ändern, wie soll man mit dieser Partei im Parlament
umgehen? Diese Fragen stellen sich viele. Hier ein paar Antworten,
entwickelt aus den Erfahrungen mit den AfD-Fraktionen in den Landtagen der
Republik.
Vorneweg: Es gibt gegen die AfD keine „One size fits all“-Strategie. In der
Auseinandersetzung mit ihr geht es vor allem darum, politisch selbst zu
agieren, statt lediglich zu reagieren. Die hier empfohlene Auswahl von
Handlungsansätzen kann fortwährend im parlamentarischen Alltag angewandt
werden. Diese setzen früh an – zum Teil bereits bei den formalen
Entscheidungen des Bundestags zur Konstituierung.
Führt die Auseinandersetzung scharf – aber ohne Tricks: Die AfD sollte bei
Organisation und Geschäftsordnung nicht diskriminiert werden. Das fängt bei
der Raumvergabe an. Auch das Ändern parlamentarischer Gepflogenheiten, wie
die Bestimmung des Alterspräsidenten, ist kein wirksames Mittel, um der AfD
zu begegnen. Denn zum einen sind solche Kniffe der Demokratie unwürdig und
zum anderen erlauben sie der AfD, sich als verfolgtes Opfer zu
präsentieren.
Setzt Akzente gegen den AfD-Debattenton: Der bisherige Stil im Bundestag
wird sich ändern. Zwischenrufe, Ordnungsrufe, Proteste gegen die
Sitzungsführung sowie Sondersitzungen des Ältestenrats werden zunehmen.
Fraktionen, deren Mitglieder und Teams, die noch keine Erfahrung mit den
Rechtspopulisten gesammelt haben, müssen deshalb umdenken. Zudem ist zu
erwarten, dass die AfD-Bundestagsfraktion ihre neuen parlamentarischen
Ressourcen dafür einsetzen wird, Informationen einzuholen, um Politik und
Verwaltung auch im Detail zu kritisieren.
Darauf müssen andere Parteien auf zweierlei Art reagieren: Erstens müssen
sie inhaltlich und kommunikativ auf Angriffe vorbereitet sein. Und zweitens
sollten sie ihre Energie darauf richten, eigene Debattenakzente zu setzen,
statt sich dem Framing der AfD, das heißt, dem Einordnen von Ereignissen in
den von dieser Partei gesetzten Deutungsrahmen, zu unterwerfen.
Verwehrt nicht die Wahl von AfD-Kandidaten: In den Ländern ist es
vorgekommen, dass die etablierten Fraktionen die Wahl von AfD-Kandidaten in
Gremienposten verhindert haben, die der Fraktion formell zustanden. Dieses
Vorgehen hat oftmals den Opfermythos der AfD gestärkt und damit ihre
Möglichkeiten zum eigenen Zuschnitt der politischen Debatte verbessert. Das
bedeutet aber nicht, dass jeglicher Kandidat und jegliche Kandidatin der
AfD für andere Fraktionen wählbar wären: Das gilt auch für die Personalie
Albrecht Glaser – den Mann, der das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime
infrage stellt.
Richtet eure eigene Pressearbeit nicht an der AfD aus: Mediale Reaktionen
auf die Kommunikation der AfD sollten gut abgewogen erfolgen, besonders was
ihren Zeitpunkt angeht. Andere Fraktionen sollten Rechtspopulisten vielmehr
im Parlament inhaltlich stellen und dort versuchen, deren
Kommunikationsmuster aufzudecken. Auch sollte nicht auf jede noch so
abwegige Meinung mit moralischer Empörung reagiert werden.
## Provokationen ins Leere
Lasst gezielte AfD-Provokationen im Parlament ins Leere laufen: Dies gilt
besonders dann, wenn es sich um Selbstinszenierungen als „Opfer“ der
etablierten Parteien handelt, die meist die einzige Funktion haben, später
auf Social-Media-Kanälen als vermeintlich heldenhafter Widerstand gegen
„das System“ präsentiert zu werden. Andere Fraktionen sollten diese
populistische Weiterverwendung der parlamentarischen Debatte im Hinterkopf
behalten und abwägen, ob und wie sie auf Provokationen eingehen. Es muss
deutlich werden, dass Widerspruch nicht Tabuisierung ist, sondern legitime
demokratische Gegenrede.
Zieht rote Linien: Bei allem Rat zu besonnenem Agieren muss zugleich rasch
klargemacht werden, welche Ideologien mit der AfD nun ihre parlamentarische
Form gefunden haben. Die Zugehörigkeit der AfD-Mitglieder des Bundestags zu
rechtsextremen Seilschaften sollten offengelegt werden. Ebenso sollte
verhindert werden, dass Ausschussvorsitze in sensiblen Politikbereichen
oder Gremien, wie das Parlamentarische Kontrollgremium, mit Menschen
besetzt werden, die Kontakte zur organisierten Rechten hatten oder haben.
Nur mit klaren roten Linien lassen sich die rechtsextremen Kräfte wieder
aus der Mitte der Gesellschaft verdrängen.
Betreibt kein Agenda-Cutting: Nur weil Integrationsdefizite angesprochen
oder Sorgen über Zuwanderung geäußert werden, sind nicht alle AfD-Wähler
zwangsläufig rechtsextrem oder fremdenfeindlich. Progressive sollten sich
deshalb trauen, auch umstrittene Themen anzusprechen, in den Dialog zu
treten und wieder Alternativen zu formulieren. Man muss es dabei auch
zugeben, wenn die AfD berechtigte Fragen stellt. Das heißt auch wieder den
Kontakt zu Menschen herstellen, die nicht der gleichen Meinung sind.
Stellt die AfD in Alltagsfragen: Die Ausgrenzung der AfD ist gescheitert.
Ihr muss nun eine Auseinandersetzung über Inhalte und Personen folgen, aber
keine Anfeindung derer, die der AfD ihre Stimme gegeben haben, weil sie
ihre Anliegen durch etablierte Parteien nicht abgedeckt sehen. Populisten
werfen durchaus richtige gesellschaftliche Fragen auf. Politik muss diese
beantworten, die schlechten Antworten der AfD widerlegen und sich mit ihr
im parlamentarischen Alltag sachpolitisch auseinandersetzen. Progressive
sind dann erfolgreich, wenn sie frühzeitig eigene Antworten liefern und der
AfD keine Chance geben, in Themenlücken zu stoßen.
Entzaubert das Demokratieverständnis der AfD: Die Partei betont in ihrer
Rhetorik immer ihre Bürgernähe und die Stärkung der direkten Demokratie. In
Wirklichkeit hat sie basisdemokratische Elemente bisher stets nur simuliert
oder deren Ergebnisse nicht berücksichtigt, zum Beispiel bei der Befragung
im Vorfeld der Erstellung des Grundsatzprogramms 2016. Es ist
zielführender, die Widersprüchlichkeit und Verlogenheit der
AfD-Positionierung zu thematisieren, als die AfD immer nur „Nazipartei“ zu
nennen.
Bietet Alternativen an: In der Zeit bis 2021 muss es den progressiven
Kräften gelingen, den Fokus der politischen Auseinandersetzung wieder auf
eigene Themen und vor allem gesellschaftliche Visionen zu verschieben. Dazu
gehören die deutliche Benennung sozialer Missstände und Ideen zu deren
Auflösung. Politik muss wieder laut und deutlich werden.
## Echte Differenz statt Inszenierung
Bietet echte Differenz statt künstlich erzeugter Debatte: Es ist nicht
hilfreich, wenn das Gefühl entsteht, dass Auseinandersetzungen zwischen
etablierten Parteien inszeniert sind. In der breiten politischen Debatte
muss es wieder um echte Unterscheidung gehen. Dafür wird es auch wichtig
sein, dass SPD und CDU ihre Positionen kontrovers diskutieren und
Wählerinnen und Wählern wieder eine klare politische Heimat bieten.
Stellt eure Präsenz vor Ort wieder her: Das ist für die etablierten
Parteien und ihre Fraktionen ein wesentliches Element im Umgang mit dem
Rechtspopulismus. Dafür muss über andere Formen der Wahlkreisarbeit
nachgedacht werden. Angelehnt an die Quartiersarbeit, sollten dort neue
Initiativen ausprobiert werden, wo politische und gesellschaftliche
Beteiligung gering und die sozioökonomischen Strukturen schwach sind. Wenn
sich Bundestagsabgeordnete und ihre Büros wieder als Andockstelle für
zivilgesellschaftliches Engagement verstehen und die Bürgerinnen und Bürger
vor Ort in gesellschaftliches Zusammenleben einbinden, kann verlorenes
Vertrauen zurückgewonnen werden.
Dafür müssen Abgeordnete aber erst einmal wieder in den betroffenen
Regionen vertreten sein. Die teilweise erschütternden Wahlergebnisse und
die niedrige Zahl von Parteimitgliedern in diesen Regionen zeigen, wie
schwer dieser Weg sein wird. Deswegen bedarf es neuer Bündnisse und auch
Änderungen der Parteistrukturen, um diese Aufgabe zu bewältigen.
Seid selbstbewusst im Netz: Die AfD hat mehr Facebook-Fans als SPD und CDU
zusammen, und Alice Weidel gelingt es mit Abstand am besten, ihre Follower
zu aktivieren. Die etablierten Parteien, ihre Abgeordneten und Mitglieder
dagegen haben Social Media lange Zeit nicht ernst genug genommen. Die
eigene Community muss aktiviert werden, um online der AfD gegenzuhalten.
Die anderen politischen Akteure im Bundestag tun dabei gut daran, das
Phänomen AfD nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und als etwas
Vorübergehendes zu behandeln. Niemand weiß, ob die AfD aus dem Bundestag
wieder verschwindet. Umso wichtiger ist es, ab sofort konzentriert für
dieses Ziel und die Stärkung der Demokratie zu arbeiten.
22 Oct 2017
## AUTOREN
Fedor Ruhose
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