# taz.de -- AfD nach Wahl zum Bundestagsvize: Märtyrer unter sich | |
> Bei der Abstimmung zum Bundestagsvize bekam AfD-Politiker Glaser mehr | |
> Stimmen als seine Partei Abgeordnete hat. Wer ihm half? Unklar. | |
Bild: Will man mit einem 75-Jährigen, der die Religionsfreiheit für Muslime i… | |
Es war nicht zu erwarten, dass die AfD schnell aufgeben würde. Warum auch, | |
wenn ein bisschen fotogenes Märtyrertum so einfach zu haben ist? Jedenfalls | |
wollen die Rechten Albrecht Glaser, ihren Mann für das Amt des | |
Bundestagsvizepräsidenten, noch einmal aufstellen. Glaser, kündigte | |
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland an, wolle durch die anderen | |
Bundestagsfraktionen gehen und seine Positionen zum Islam darlegen. | |
Wie schön, das ist ja mal ein verlockendes Angebot. Will man mit einem | |
75-Jährigen, der die Religionsfreiheit für Muslime infrage stellt, über den | |
Islam diskutieren? Ein paar Stunden lang auf dem Bundestagsklo die Fliesen | |
anzustarren, kann ja auch recht reizvoll sein. Das sind so Fragen, mit | |
denen sich Sozialdemokraten, Grüne oder andere neuerdings herumschlagen. | |
Der Fall Glaser zeigt, wie sich der Diskurs im deutschen Parlamentarismus | |
ändern könnte. | |
Die AfD versucht, mit Themen, die ihr nutzen, die Agenda zu dominieren. Und | |
sie zwingt den anderen Debatten auf, die diese gar nicht führen wollen. Das | |
Ziel ist weniger der realpolitische Erfolg, sondern die Diskursverschiebung | |
nach rechts. | |
Glaser ist ein spezieller Fall. Einst Stadtkämmerer in Frankfurt am Main | |
war er über vierzig Jahre in der CDU, bevor er die AfD mitgründete. | |
Innerhalb der nationalkonservativen, in Teilen rechtsextremen Partei gehört | |
er zum gemäßigten Flügel. Seine Haltung zum Islam ist eine Besondere. Er | |
offenbarte sie bei einer AfD-Veranstaltung im Frühjahr. | |
„Wir sind nicht gegen die Religionsfreiheit“, betonte er. Dann schob er | |
nach: „Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit | |
nicht kennt und die sie nicht respektiert. Und die da, wo sie das Sagen | |
hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem | |
Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen.“ Das klang sehr | |
wohl so, als sei er bei Muslimen gegen die Religionsfreiheit. | |
## Gegen das Grundgsetz | |
Mit solchen Sätzen zieht Glaser eine direkte Linie vom politischen Islam zu | |
Millionen deutschen Muslimen. Er differenziert nicht, die Geisteshaltung | |
eines islamistischen Regimes und die des Nachbarn um die Ecke, alles | |
scheint eins. Will Glaser Bürgern, die ihren Jobs nachgehen, sich um ihre | |
Familien kümmern und die Gesetze achten, das Grundrecht aberkennen, ihre | |
Religion frei auszuüben? Das wäre nicht nur eine Diffamierung, sondern | |
schlicht grundgesetzwidrig. | |
Eine überwältigende Mehrheit im Bundestag sah es so. Dreimal fiel Glaser in | |
der ersten Bundestagssitzung am Dienstag bei der Wahl zum Bundestagsvize | |
durch. „Ich werde nie jemanden wählen, der einer Gruppe von Menschen die | |
Wahrnehmung von Grundrechten pauschal absprechen will“, hatte | |
Unions-Fraktionschef Volker Kauder zuvor gesagt. | |
Ähnlich äußerten sich die Spitzenleute der anderen Fraktionen. Die | |
Brandmauer zwischen Demokraten und Rechten, sie schien zu stehen. Das | |
Irritierende bei der Abstimmung war dann, dass Glaser Unterstützung aus | |
mindestens einer anderen Fraktion bekam. Er erhielt im ersten Wahlgang 115, | |
im zweiten 123 und im dritten Wahlgang 114 Stimmen – die AfD hat aber nur | |
94 Abgeordnete. | |
Bröckelt die Mauer schon? Wer für Glaser gestimmt hat, weiß man nicht – die | |
Abstimmung war geheim. Auf den Fluren des Bundestags wird gerätselt. Haben | |
Konservative aus CDU und CSU heimlich den AfD-Kandidaten gewählt, weil sie | |
den Islam hassen? Denkbar, aber auch eine reflexhafte Unterstellung. Auch | |
demokratietheoretische Motive sind möglich. Schließlich steht jeder | |
Fraktion ein Vizeposten zu. Und es lässt sich darüber streiten, ob es klug | |
war, der AfD die Märtyrerrolle zu ermöglichen. Glaser ist für sie jetzt | |
schon ein PR-Erfolg. | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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