# taz.de -- Aiman Mazyek über AfD und Muslimhass: „Wir setzen auf das Grundg… | |
> Teile von Medien und Politik haben der AfD den Boden bereitet, sagt der | |
> Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Jetzt wird es für Muslime noch | |
> schwerer. | |
Bild: Die AfD baut auf eine Islamfeindlichkeit auf, die es lange vor ihr gab: P… | |
taz: Herr Mazyek, mit der AfD ist jetzt eine erklärt antimuslimische Partei | |
in den Bundestag eingezogen. Ist das eine Zäsur? | |
Aiman Mayzek: Es spiegelt das, was in der Gesellschaft passiert. Das hat | |
sich schon lange vorher angedeutet und angebahnt, aber es markiert trotzdem | |
eine Zäsur. | |
Welche Folgen wird das für Muslime haben? | |
Das gesellschaftliche Klima wird sich weiter verschlechtern. Die | |
Ankündigungen der anderen Parteien lassen bisher wenig Bereitschaft | |
erkennen, sich dieser Herausforderung entgegenzustellen. Statt eine harte | |
Auseinandersetzung um Grundwerte zu führen, wird nicht nur aus dem | |
konservativen Lager immer wieder geschielt, ob man da nicht das eine oder | |
andere übernehmen kann, sprich: man versucht, es der AfD gleichzutun. | |
Sie meinen Debatten um Asyl-Obergrenzen, „Burka“-Verbote und „Leitkultur�… | |
Ja, schon diese ganzen Schlagworte. Das wird die AfD letzten Endes nur | |
stärken, weil die Leute sich sagen: dann wähle ich doch gleich das | |
Original. Und wenn wir bei Flüchtlingen schon eine Obergrenze ziehen – | |
warum dann nicht bei null? So öffnet man Tür und Tor für einen | |
Unterbietungswettbewerb und weitere Verschärfungen. Und warum? Weil sich | |
die Politik nicht imstande sieht, den Bürgern unsere großartige Verfassung | |
zu erklären – zumindest jenen 13 Prozent, welche die AfD gewählt haben. Sie | |
könnte ja sagen: Klar, wir können und wollen nicht alle aufnehmen. Aber wir | |
haben humanitäre und verfassungsrechtliche Verpflichtungen, die wir nicht | |
einfach über Bord werfen können. | |
Die AfD will ihren Abgeordneten Albrecht Glaser zur Wahl des | |
Vizepräsidenten des Bundestags nominieren. Die anderen Parteien wollen ihn | |
nicht in dieses Amt wählen. Das ist doch klare Kante, oder? | |
Ich finde die Haltung richtig, aber die Begründung ist falsch. Das Problem | |
an Glaser ist nicht in erster Linie, dass er islamfeindlich ist. Sondern, | |
dass er verfassungsfeindlich ist. | |
Glaser behauptet, der Islam sei „keine Religion“, sondern eine „politische | |
Ideologie“, weswegen Muslime keine Religionsfreiheit beanspruchen könnten. | |
Das ist auch islamfeindlich, oder nicht? | |
Ich verweise da auf den Zentralrat der Juden, der gesagt hat: | |
Islamfeindlichkeit ist jetzt der Trend. Aber es kann morgen schon wieder | |
eine andere Religion und Weltanschauung treffen, und das geschieht ja | |
schon. Weil sich die pauschale Abwertung von Religionen auf andere Gruppen | |
übertragen lässt. Und diese Haltung widerspricht unserem Grundgesetz. | |
AfD-Chef Alexander Gauland sagt, es gebe keinen Unterschied zwischen Islam | |
und Islamismus. Was sagen Sie dazu? | |
Diese Masche kennen wir von rechtspopulistischen Hetzseiten wie pi-news | |
schon seit Jahren: dass man eine Religion abwertet, indem man sie zu einer | |
Sekte oder politischen Ideologie erklärt und damit dann deren Mitglieder | |
diffamiert und dämonisiert. Wir haben immer gewarnt: Diese Leute bereiten | |
rhetorisch den Boden für Parteien, die mit diesen Positionen in die Mitte | |
der Gesellschaft vorstoßen werden. Genau das ist jetzt geschehen, und jetzt | |
sind alle ganz betrübt. | |
Wen machen Sie dafür verantwortlich? | |
Teile der Medien und der Politik haben der AfD den Boden bereitet. Gucken | |
Sie sich nur Themenschwerpunkte der Talkshows der letzten Jahre an: alles | |
Islam-Angst-Themen. Die AfD ist ja nicht originär verantwortlich für die | |
Islamfeindlichkeit im Lande. Sie hat es nur geschafft, diese geschickt in | |
ein Parteiprogramm umzumünzen und damit Wähler zu mobilisieren. Der Boden | |
war aber schon lange bereitet. Viele Pseudo-Experten haben sich ihr als | |
Stichwortgeber und Steigbügelhalter zur Verfügung gestellt. Die AfD musste | |
einfach nur noch pflücken und ernten, und das hat sie am besten von allen | |
getan. | |
An wen denken Sie da? | |
An all die Leute, die nicht müde werden, das Lied vom gefährlichen Islam zu | |
singen. Menschen mit bestimmten Ansichten können gefährlich werden, zu | |
Extremisten oder Terroristen. Aber eine 1.400 Jahre alte Weltreligion, die | |
großartige Zivilisationen hervorgebracht hat, ist kein Subjekt. Dennoch | |
machen manche für alles Übel dieser Welt den Islam verantwortlich. Und | |
sagen: Ihr seid alle naiv, das ist alles nur Rhetorik von Mazyek und Co, | |
die wollen nur ihre wahren Absichten verheimlichen. Diese ganze | |
Islamkritik-Industrie lebt doch von diesem pseudomutigen Entlarvungsgestus. | |
Manche dieser Leute leben unter Polizeischutz! | |
Ja, das ist schlimm und zu verurteilen. Aber auf Muslime einzudreschen, das | |
ist doch nicht mutig – das ist billig. Viele versuchen daraus Kapital zu | |
schlagen. Da kann ich nur sagen: Mutig ist derzeit der, der sich schützend | |
vor Muslime stellt. Der erhält ebenso Morddrohungen. | |
Islamverbände wie Ditib wirken durch die Entwicklung in der Türkei wie | |
paralysiert, und der autokratische Kurs des türkischen Präsident Erdoğan | |
ist Wasser auf die Mühlen aller Islamfeinde und Türkenhasser, die sagen: | |
mit denen kann man eh nicht zusammenarbeiten. Was also tun? | |
Jedenfalls nicht jahrzehntelange Arbeit einfach kaputt machen. Vieles, was | |
gut gelaufen ist, wird jetzt einfach beiseite geschoben. Weil es momentan | |
zwischen Deutschland und der Türkei Verwerfungen gibt, setzen manche auf | |
eine holzschnittartige Basta-Politik. Aber die vielen hunderttausend | |
deutschen Muslime, die in den bestehenden Religionsgemeinschaften | |
organisiert sind, haben ein grundgesetzlich verbürgtes Recht darauf, nicht | |
ausgeschlossen zu werden. Unsere Verfassung gibt uns da klare Vorgaben. | |
Die Bundesregierung hat ihre Fördermittel für Projekte der Ditib-Gemeinden | |
für das nächste Jahr um 80 Prozent reduziert. Wie bewerten Sie das? | |
Die Politik ist gut beraten, wenn sich nicht nur sagt, was nicht geht, | |
sondern Lösungen sucht und Vorschläge macht, was die Eingliederung einer | |
Religionsgemeinschaft wie Ditib und anderer islamischer Verbände angeht. | |
Der Gestaltungswille in der Politik ist derzeit nur schwach ausgeprägt. | |
Aber wenn ich sage, wir wollen einen Islam in Deutschland, dann muss ich | |
diesen Prozess auch aktiv gestalten. Da kann ich nicht nur Sonntagsreden | |
halten oder Forderungen erheben. | |
Der Zentralrat der Muslime erhält auch im nächsten Jahr wieder Förderung | |
durch den Bund. Was machen Sie mit dem Geld? | |
Überwiegend finanzieren wir damit etwa Flüchtlingsprojekte, natürlich keine | |
religiösen Dienste. Wir sind da vor allem in den neuen Bundesländern aktiv, | |
weil es dort wenig muslimische Gemeinden und Infrastruktur gibt. Das ist | |
alles transparent, das kann man alles nachlesen. | |
Scharfmacher wollen die Kooperation mit den Islam-Verbänden beenden, weil | |
diese „aus dem Ausland gesteuert“ würden. Was sagen Sie dazu? | |
Das ist der falsche Ansatz, weil er destruktiv und von Misstrauen geprägt | |
ist. Wir als Zentralrat waren noch nie vom Ausland gesteuert und | |
propagieren einen Islam in Deutschland. Aber es gibt andere | |
Religionsgemeinschaften, ob nun spanische Katholiken oder die | |
griechisch-orthodoxe Kirche, die ihren Bezug zum Ausland beibehalten | |
wollen. Und dagegen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nichts | |
einzuwenden. Ob das integrationsfördernd ist, ist eine ganz andere Frage. | |
Der CDU-Politiker Jens Spahn möchte Geldzuwendungen an muslimische | |
Gemeinden aus dem Ausland ganz verbieten, wie das Österreich vorgemacht | |
hat. Was würde das bedeuten? | |
Solche Forderungen sind populär, weil sie suggerieren, das wäre eine | |
Lösung. Aber wie sollen diese muslimischen Religionsgemeinschaften in | |
Deutschland dann sonst finanziert werden? Abgesehen davon ist das | |
verfassungsmäßig fragwürdig. | |
Auch die Grünen sind auf Distanz zu den großen Islam-Verbänden gegangen. | |
Parteichef Özdemir hat sie als „Teil des Problems“ bezeichnet und | |
gefordert, der deutsche Staat müsse seine Partner in der Integrationsarbeit | |
sorgfältiger auswählen als bisher. Ist das eine Kampfansage? | |
Das ist eine Rhetorik, die suggeriert, es gäbe eine Alternative zumDialog. | |
Ich kann mir die Religionsgemeinschaften, die es in Deutschland gibt, aber | |
nicht aussuchen. Es gibt ja derzeit einige Leute, die träumen von einer | |
Alternative, nach dem Motto: seht her, mit den Verbänden geht es nicht, | |
dann schaffen wir uns eben unseren eigenen Islam. Aber der Islam in | |
Deutschland definiert sich über die hiesigen Muslime, die sich nun mal in | |
den hiesigen Vereinen und Moscheegemeinden freiwillig organsiert haben. Da | |
kann ich nicht sagen: ich propagiere nach meinem Gusto einen Islam, der mir | |
besser gefällt, und der deutsche Staat sucht sich ein, zwei Personen aus, | |
die den repräsentieren. Ein politisch korrekter Staatsislam im Sinne Cem | |
Özdemirs ist mit unserer Verfassung nicht zu machen. | |
Was können Muslime gegen die grassierende Islamfeindlichkeit tun? | |
Wir müssen den gesellschaftlichen Zusammenhalt viel stärker in den | |
Vordergrund stellen. Wir müssen mehr Bereitschaft zeigen, unser Land und | |
Europa mitzugestalten. Ich vermisse Initiativen und Impulse, was Themen wie | |
Umweltschutz, Ökonomie oder Gerechtigkeit betrifft – Themen, die uns allen | |
auf den Nägeln brennen. Egal, ob jemand sogenannt liberal oder konservativ | |
ist: die Frage ist doch, was bringen wir ein in unsere Gesellschaft? Viele | |
Muslime sind zu beschäftigt damit, sich voneinander abzugrenzen. Und wenn | |
man dann so Gelegenheiten hat wie den Tag der offenen Moschee, dann machen | |
wir noch zu wenig daraus. | |
Ist der „Tag der offenen Moschee“ keine Erfolgsgeschichte? | |
Natürlich, es haben zuletzt wieder über Tausend Moscheen teilgenommen. Aber | |
aus solchen Chancen machen wir noch zu wenig. | |
Wie sieht es mit der Gründung eines muslimischen Wohlfahrtsverbands aus? | |
Es gibt schon welche, auf der regionalen Ebene, auf der kommunalen Ebene | |
uns sogar im Bund. Im Bereich der Altenpflege und der Palliativmedizin, was | |
Kindergärten, Jugendhilfe, Seelsorge inKrankenhäusern und Gefängnissen | |
angeht gibt es ganz viele Initiativen und Projekte. Die Frage ist: kriegen | |
wir die unter einem Dach koordiniert? Oder wird das eher so eine | |
paritätische Geschichte? Wohin da die Reise geht, ist noch offen. Aber das | |
war einer der positiven Impulse, die aus der Islamkonferenz heraus gekommen | |
sind. Wir haben unseren Teil dazu beigetragen. | |
Wir haben ja bald eine neue Bundesregierung. In welcher Partei sehen Sie | |
derzeit Ihren größten Verbündeten für eine weitere Integration des Islam? | |
Ich habe da keine Präferenzen. Unser größter Verbündeter ist das | |
Grundgesetz. Die Frage ist, welche der Parteien bereit ist, die darin | |
verbrieften Rechte und Pflichten in aktive Politik umzusetzen. | |
Es könnte alles noch schlimmer kommen, wie man mit Blick auf den Rechtsruck | |
in Österreich sieht. Was können wir tun, um nicht in solchen Verhältnissen | |
zu enden? | |
Man muss keine Sympathien für Muslime oder Religionen an sich haben, um | |
unsere freiheitliche Demokratie zu verteidigen. Das sollte man schon aus | |
verfassungspatriotischem Eigeninteresse tun. Nur ein Beispiel: Nach dem 11. | |
September 2001 wurde immer beschwichtigt, dass die Verschärfung der | |
Sicherheitsgesetze ja nur Terroristen oder radikale Muslime beträfen. | |
Aber beim G8-Gipfel in Heiligendamm oder beim G-20-Gipfel in Hamburg hat | |
man gesehen, dass das auch andere Gruppen treffen kann. Ebenso gilt: wenn | |
wir Rassismus zulassen, dann zieht das die gesamte Gesellschaft in | |
Mitleidenschaft. Wenn ich Feindseligkeit gegen Muslime für weniger schlimm | |
erachte als gegen Juden oder Christen, dann nehme ich es hin, dass | |
zivilisatorische Standards aufgeweicht werden. In den USA oder in den | |
sogenannten sozialen Medien kann man sehen, wohin die Verrohung der Sitten | |
und die Erosion solcher Standards führen kann. Das fällt uns allen auf die | |
Füße. | |
18 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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