| # taz.de -- Film über muslimische Feministinnen: Alle reden über uns | |
| > Islamfeindlichkeit bekämpfen: Das will Sarah Zouak mit ihrer Dokureihe | |
| > „Women SenseTour“ und ihrem Online-Magazin „Lallab“. | |
| Bild: Lallab-Gründerin Sarah Zouak (rechts) mit der Feministin Khadija Elhar i… | |
| Im Jahr 2013 studiert Sarah Zouak am Pariser Institut für Internationale | |
| und Strategische Beziehungen Iris Sup’. Als die damals 24-Jährige den | |
| Wunsch äußert, ihre Masterarbeit über muslimische Feministinnen schreiben | |
| zu wollen, erwidert ihre betreuende Professorin: Unsinn! Und bittet ihre | |
| Studentin, doch ein für allemal zu verstehen, dass feministisches | |
| Engagement unvermeidlich mit der Distanzierung von Religion einhergehe. | |
| Der Spruch erwischte Sarah Zouak wie eine kalte Dusche. Sie haderte schon | |
| immer mit dem Eindruck, einen Teil ihrer Persönlichkeit leugnen zu müssen, | |
| um akzeptiert zu werden. Bemerkungen – zum Beispiel, dass sie erstaunlich | |
| gut integriert und ausgeglichen wirke – ließen sie oft an der | |
| Kompatibilität ihrer verschiedenen Identitäten zweifeln: Sarah Zouak, 1989 | |
| in Paris geboren, Kind marokkanischer Eltern, wuchs im muslimischen Glauben | |
| auf und entwickelte parallel ihre feministische Ader. | |
| Anfangs führte sie die Vorurteile auf Ignoranz zurück. Als ihr dann sogar | |
| eine feministische Forscherin erklärte, wie sie zu denken habe, wurde es | |
| ihr zu viel. 2014 startet Sarah Zouak ihre „Women SenseTour – in Muslim | |
| Countries“: Obwohl sie über keinerlei Filmerfahrung verfügt, schnappt sie | |
| sich eine Kamera und zieht fünf Monate lang kreuz und quer durch Marokko, | |
| Tunesien, die Türkei, den Iran und Indonesien – auf der Suche nach | |
| Musliminnen, die sich für die Rechte und Emanzipation von Frauen | |
| engagieren. | |
| Mittlerweile tourt der erste Teil ihrer Doku seit knapp einem Jahr durch | |
| Frankreich. Die über 50 Vorführungen fanden teils unter chaotischen | |
| Bedingungen statt. Aber wichtiger als ein funktionsfähiger Kinosaal ist | |
| ihr, ein vielfältiges Publikum zu erreichen und Vorurteile abzubauen – ob | |
| in einer renommierten Hochschule, einem Unternehmen oder einem | |
| Jugendzentrum. | |
| Diesen April präsentierte Zouak die 50-minütige Marokko-Episode an der | |
| Pariser Sorbonne. Eine knappe Stunde vor Beginn steht sie mit drei | |
| Studentinnen im Saal, um alles für den Abend vorzubereiten. Plötzlich heißt | |
| es, die Veranstaltung müsse in ein benachbartes Amphitheater verlegt | |
| werden. „Ohne Probleme läuft es leider nie“, meint Zouak mit einem Lächel… | |
| Mit einem Auge die Vorbereitungen überwachend, berichtet sie, wie schwer | |
| ihr die Auswahl inspirierender Musliminnen gefallen sei: „Es gibt einfach | |
| so viele!“ Komplizierter wurde es jedoch, auch welche in ländlichen | |
| Gebieten zu finden: „Da hilft kein Google mehr.“ So erfuhr sie von Khadija | |
| Elharim durch die zufällige Begegnung mit einer ihrer fünf Töchter. Die | |
| geschiedene und analphabetische Frau gründete 1997 die erste weibliche | |
| Genossenschaft zur Arganproduktion in der Kleinstadt Tafraoute im | |
| Antiatlasgebirge. Sie brach damit etliche Tabus. | |
| „Schwierig war es auch im Iran“, berichtet Zouak. „Unsere Recherchen | |
| ergaben zunächst, dass wir unser Glück nur im Exil oder im Gefängnis finden | |
| würden.“ Wir, das sind Sarah Zouak und Justine Devillaine, die gerade mit | |
| den Studentinnen versucht, das Bild auf der Leinwand größer zu bekommen. | |
| „Dozenten am Iris Sup’, die die Region kannten, rieten uns von der Reise | |
| ab“, erinnert sich Zouak. Doch Devillaine und sie hatten zwei interessante | |
| Frauen identifiziert, darunter Fatemeh Ashrafi, die Flüchtlinge unterstützt | |
| – und sowieso wollten die beiden schon immer in den Iran. Also fuhren sie | |
| hin. „Als wir Ashrafi fragten, ob sie vielleicht eine weitere Aktivistin | |
| empfehlen könnte, da lachte sie kurz, holte ihr Handy heraus und nach ein | |
| paar Anrufen waren wir für den ganzen Monat verplant!“ | |
| ## Frauen im Labor | |
| Zurück in Frankreich, spitzt sich die Lage um den islamistischen Terror zu. | |
| Parallel steigt die Anzahl der islamophoben Angriffe, wobei sich davon über | |
| 80 Prozent gegen Frauen richten. Im Dezember 2015 gründen Zouak und | |
| Devillaine den Verein Lallab (aus Lalla, Frau auf Arabisch, und Labor), der | |
| im Mai darauf an die Öffentlichkeit tritt. „In den klassischen | |
| feministischen Vereinen wird oft übersehen, dass Musliminnen nicht nur | |
| unter Sexismus, sondern auch unter Rassismus leiden“, begründet Zouak die | |
| Entscheidung. „Zwar wird die ganze Zeit über muslimische Frauen gesprochen, | |
| doch sie persönlich kommen nie zu Wort.“ Das will Lallab ändern – mit | |
| Workshops und einem [1][gleichnamigen Internetmagazin], für und von | |
| Musliminnen. | |
| Bei Lallab herrscht eine Regel: Die Betroffenen sprechen immer für sich | |
| selbst. Das gilt auch für Sarah Zouak, die inzwischen etliche Preise für | |
| ihr Engagement gewonnen und dadurch einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt | |
| hat. Als sie im letzten Januar zu einer Debatte im öffentlich-rechtlichen | |
| Fernsehen mit dem damaligen Premierminister Manuel Valls zum Thema Kopftuch | |
| eingeladen wird, entgegnet sie: „Ich bin nicht die beste Wahl, denn ich | |
| trage kein Kopftuch. Aber unser Vereinsmitglied Attika Trabelsi kann von | |
| ihrer Erfahrung erzählen.“ Nach einer Woche Verhandlungen setzte sie die | |
| Änderung durch und mit Trabelsi wurde anstatt ihrer eine kopftuchtragende | |
| Muslimin in die Sendung geladen. „Es war ein kleiner Sieg“, freut sich | |
| Zouak, „auch wenn uns seitdem die rechtsextreme Blogosphäre auf dem Kieker | |
| hat.“ | |
| Gerade läuft der Soundcheck, und der klingt nicht gut. „Das macht mich zu | |
| nervös, ich muss mich kurz kümmern“, entschuldigt sie sich – und bittet | |
| zunächst die paar Besucher, die bereits in den ersten Reihen Platz genommen | |
| haben, doch draußen zu warten, bis alles fertig ist. | |
| Vor dem Eingang bildet sich langsam eine beachtliche Schlange, an deren | |
| Spitze eine junge Frau mit rosa Kopftuch steht. Ihre Mutter habe ihr von | |
| Lallab erzählt, als einem feministischen, jedoch nicht antireligiösen | |
| Verein. Das sei selten. „In meiner Familie geht fast jeder einer | |
| ehrenamtlichen Tätigkeit nach“, erzählt die Studentin. Auch im Magazin | |
| finde sie sich wieder, besonders weil es durchaus Humor zulässt. | |
| Hinter ihr balanciert ein Junge mit blondem Strubbelkopf auf schlaksigen | |
| Beinen. Julien, auch Student, hat von der Filmvorführung zufällig über | |
| Facebook erfahren. Das Thema, das seiner Meinung nach in den Medien viel | |
| Quatsch generiert, interessiert ihn. Von Lallab wiederum wusste er nichts. | |
| „Danke für die Info!“, sagt er, während er sich zum Saal aufmacht. Die | |
| Türen sind jetzt offen, die Stühle füllen sich mit einem jungen, relativ | |
| gemischten Publikum. | |
| ## Coole Musliminnen | |
| Der Film porträtiert fünf Frauen, die sich engagieren. Sie bieten | |
| Alleinerziehenden ein Dach, verhelfen verstoßenen Frauen zu einer | |
| Ausbildung oder interpretieren den Koran aus einer feministischen | |
| Perspektive. Der Film fragt nach dem Ursprung ihres Engagements, ihrer | |
| Beziehung zur Religion und zum westlich geprägten Feminismusbegriff. | |
| Manchmal kommen die jeweiligen Gedanken zu kurz, aber man erfährt viel über | |
| die Protagonistinnen. | |
| Man lacht mit Aïcha Ech-Channa, wenn sie erzählt, wie sie den Ausgang ihrer | |
| Krebserkrankung im Zwiegespräch mit Allah aushandelte. Man zweifelt mit | |
| Maha Laziri, wenn sie fragt, ob Bildung gut sein kann, wenn sie doch zur | |
| Landflucht führt. Und man lernt mindestens genauso viel über Sarah Zouak | |
| selbst, deren persönlicher Werdegang das Drehbuch durchzieht. | |
| Während der anschließenden Diskussion bedankt sich das Publikum bei Zouak | |
| und Devillaine und überhäuft sie mit Fragen: Ob die Frauen auch mit Männern | |
| zusammenarbeiten würden? Die sieht man im Film nirgendwo. Und die nächsten | |
| Episoden, wann kann man die sehen? Ob das Ganze denn auch mal im Fernsehen | |
| gezeigt werden könnte? „Nichts hält euch selbst von so einer Reise ab“, | |
| ermuntern Zouak und Devillaine das Publikum. | |
| „Es ist gleich 22 Uhr, ihr müsst raus“, unterbricht der Hausmeister das | |
| Gespräch – und schon liegt der halbe Saal im Dunkeln. Draußen zwischen den | |
| prachtvollen Säulen der Sorbonne verteilt eine Frau mit braunen Locken | |
| Flyer für ihr eigenes Theaterstück. „Ich komme aus Bolivien, bin nicht | |
| Muslimin, aber feministische Themen interessieren mich“, stellt sie sich | |
| vor. Auch sie hat den Film gesehen und ist begeistert: „Irgendwie hatte ich | |
| immer geahnt, dass es coole Musliminnen gibt“, meint sie. „Es fehlte mir | |
| nur der Beweis.“ | |
| Am 6. Mai feiert Lallab ihr Einjähriges mit einem feministischen Festival | |
| an der Bellevilloise in Paris. Mehr Informationen: [2][www.lallab.org] | |
| 29 Apr 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.lallab.org/ | |
| [2] http://www.lallab.org | |
| ## AUTOREN | |
| Elise Graton | |
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