| # taz.de -- Islamfeindliche Straftaten in Berlin: Sicherheitsbedürfnis wächst | |
| > Nach Christchurch fühlen sich Muslim*innen nicht sicher in Berlin. Der | |
| > Zentralrat fordert eine Bewachung von Moscheen rund um die Uhr. | |
| Bild: Dunkle Wolken ziehen auf über der Sehitlik-Moschee in Neukölln | |
| Berlin taz | S-Bahnhof Neukölln, Montag gegen 17.30 Uhr: Erst beleidigte | |
| ein unbekannter Mann zwei Frauen in Begleitung ihrer Kinder wegen ihrer | |
| Kopftücher, dann schlug er einer der beiden Frauen – sie ist schwanger – in | |
| den Bauch. Nach Polizeiangaben soll es davor Streit gegeben haben, weil der | |
| Mann seinen Hund zu dicht an den Frauen und ihren Kindern vorbeigeführt | |
| habe. Der Angreifer flüchtete nach der Tat. Die Schwangere musste ambulant | |
| ins Krankenhaus. | |
| 159 islamfeindliche Straftaten wurden in Berlin im Jahr 2018 laut Polizei | |
| angezeigt. Darunter sind neun Gewaltdelikte, 22 Propagandadelikte und 128 | |
| sonstige Delikte – etwa Beleidigungen oder Sachbeschädigungen. Das gab die | |
| Polizei auf Anfrage der taz bekannt. Die Zahlen sind gegenüber dem Vorjahr | |
| leicht gesunken. Zahlen zu Islamfeindlichkeit werden überhaupt erst seit | |
| zwei Jahren gesondert erfasst, 2017 waren es in Berlin 195 Taten, | |
| bundesweit sind es rund 1.000. | |
| Am Dienstag hatte der Zentralrat der Muslime nach den Anschlägen mit 50 | |
| Toten auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch auch in | |
| Deutschland verstärkte Sicherheit für muslimische Einrichtungen gefordert: | |
| „Neuseeland ist ein Weckruf. Es ist aber nicht erst jetzt erkennbar, dass | |
| die Situation akut ist“, sagte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats, | |
| am Dienstag. „Viele Eltern berichten mir, dass sie Angst haben, ihre Kinder | |
| in die Moscheen zu bringen.“ | |
| Während jüdische Einrichtungen und Synagogen – auch wegen anhaltend vieler | |
| antisemitischer Straftaten und Drohungen in Deutschland – permanent bewacht | |
| werden, gilt das für muslimische Einrichtungen nicht. Dort wird | |
| „lageabhängig“ die Bewachung hoch- oder heruntergefahren. | |
| ## „Gefährdungseinschätzung nicht verändert“ | |
| Laut Polizei Berlin ist man aktuell „sensibilisiert und im bundesweiten | |
| Informationsaustausch“. Details verrät die Polizei aus taktischen Gründen | |
| allerdings nicht. Martin Pallgen, Sprecher des Innensenators Andreas Geisel | |
| (SPD), sagt: „Natürlich haben wir den Schutz erhöht, die Polizei ist | |
| aufgerufen, wachsamer zu sein.“ Man sei im permanenten Kontakt mit Moscheen | |
| und muslimischen Vereinen. Auch Pallgen sagt, dass die Gefahr schon vor | |
| Christchurch groß war: „Durch den Anschlag hat sich die | |
| Gefährdungseinschätzung nicht verändert, aber wir haben jetzt noch mal ein | |
| größeres Augenmerk auf muslimische Einrichtungen.“ | |
| Während Bundesinnenminister Seehofer („Migration ist die Mutter aller | |
| Probleme“) aber ein generelles islamfeindliches Klima nicht erkennen will, | |
| ist der Zentralrat da anderer Meinung: Jede dritte Moscheegemeinde sei nach | |
| eigenen Zählungen bereits Ziel von Anschlägen, Übergriffen oder aber | |
| Hassbotschaften gewesen, so Mazyek. Deswegen forderte er nun auch feste | |
| Streifen vor Moscheen. | |
| Mohamad Hajjaj vom Berliner Landesverband des Zentralrats sieht die Lage | |
| mit Blick auf die Hauptstadt ähnlich: „Wie soll Seehofer die | |
| islamfeindliche Stimmung sehen, wenn er sie selber schürt?“, fragt er. Beim | |
| Freitagsgebet nach Christchurch habe er sich sehr unwohl gefühlt, die | |
| Unsicherheit sei in der Community deutlich spürbar. | |
| Im vergangenen Jahr hätte der Zentralrat seine Geschäftsstelle in Berlin | |
| aufgrund von Morddrohungen sogar zeitweise geschlossen. Immer wieder | |
| trudelten Mails ein mit Drohungen wie „Wir werden euch vergasen, wie wir | |
| die Juden vergast haben“ oder mit religiösen Herabwürdigungen. Mittlerweile | |
| hält auch Hajjaj dauerhafte Bewachung für sinnvoll. „Es ist eigentlich | |
| schon ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass Synagogen rund um die | |
| Uhr bewacht werden müssen. Für Moscheen muss ich mich erst mit diesem | |
| Gedanken anfreunden.“ Für notwendig hält er es dennoch, weil das | |
| Sicherheitsbedürfnis derzeit außerordentlich hoch sei: „Einige Moscheen | |
| haben schon selbst freiwillige Ordner aus ihrer Community organisiert.“ | |
| Bislang sei man bei den Behörden allerdings damit eher auf taube Ohren | |
| gestoßen, so Hajjaj. Er wünscht sich dort eine größere Sensibilität. | |
| Er spricht zudem davon, dass die Dunkelziffer für islamfeindliche Vorfälle | |
| und antimuslimischen Rassismus hoch sei, eine eigene Zählung in Berlins | |
| Gemeinden des [1][Bündnisses gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit], | |
| an dem auch Hajjaj beteiligt ist, komme für 2018 auf 250 bis 300 Meldungen, | |
| wobei viele, vor allem ältere der 300.000 muslimischen Menschen in Berlin, | |
| für Diskriminierungen etwa im Jobcenter und auf dem Wohnungsmarkt nicht so | |
| sensibilisiert seien, dass sie diese meldeten oder gar Anzeige erstatteten. | |
| ## Sichtbarmachen und Einschreiten | |
| Ein intolerantes Klima machen auch die Berliner Register aus, die seit | |
| Jahren systematisch rassistische Vorkommnisse von der Gewalttat bis zum | |
| faschistischen Sticker auf dem Laternenpfahl zählen. Für 2018 zählte das | |
| Bündnis 3.405 Vorfälle – rund neun pro Tag. Während die Register für 2018 | |
| einen Rückgang von Taten aus der organisierten Neonaziszene ausmachten, | |
| hätten sich alltägliche Bedrohungen, Beleidigungen und Pöbeleien von 459 | |
| auf 899 nahezu verdoppelt. Die Hemmschwelle, rassistische Einstellungen | |
| auch in der Öffentlichkeit zu äußern, sei deutlich gesunken. | |
| „Alltagsrassismus begleitet Betroffene immer: beim Busfahren, beim Suchen | |
| einer Anstellung, in der Schule. Man kann es nicht ausblenden“, sagt Kati | |
| Becker vom Register Berlin. Als Strategie und Gegenmaßnahme empfiehlt sie | |
| das Sichtbarmachen von Diskriminierung und Einschreiten bei Vorfällen, etwa | |
| in der S-Bahn. Becker sagt: „Das Schlimmste ist für Betroffene von | |
| Rassismus in öffentlichen Verkehrsmitteln häufig, dass die ganze Bahn nur | |
| zugeguckt hat.“ | |
| 21 Mar 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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