# taz.de -- Migrationsforscherin über Ostdeutsche: „Angst, auf Platz drei zu… | |
> Ostdeutsche fühlen sich von der westdeutschen Mehrheit ausgegrenzt. | |
> Deshalb reagieren sie abwertend gegenüber Muslimen, die sie als Rivalen | |
> sehen, sagt Naika Foroutan. | |
Bild: 30 Jahre nach dem Mauerfall findet eine Art Migrantisierung der Ostdeutsc… | |
taz: Frau Foroutan, ähneln sich die Vorurteile in Westdeutschland gegenüber | |
Ostdeutschen und MigrantInnen? | |
Naika Foroutan: Ja, nicht nur Vorurteile, auch Stereotype und Abwertungen | |
ähneln sich. Wir haben festgestellt, dass Westdeutsche den MuslimInnen und | |
Ostdeutschen vorwerfen, sich zum Opfer zu machen. Das sagt mehr als ein | |
Drittel der Westdeutschen über Muslime, und noch mehr über Ostdeutsche. | |
Das ist der Versuch, strukturelle Ungleichheiten abzuwehren – Ihr jammert | |
ja bloß. Doch auf das, was diese beiden Gruppen aufmerksam machen, ist kein | |
Jammern: Migranten und Ostdeutsche sind bekanntlich stärker von Armut und | |
Arbeitslosigkeit betroffen und haben deutlich weniger Vermögen als | |
Westdeutsche. | |
Aber knapp Zweidrittel der Westdeutschen sagen das nicht über Muslime… | |
Ja, aber in der Sozialwissenschaften gilt ein Drittel als kritische Masse, | |
die politische Stimmungen stark beeinflussen kann. Es gibt auch noch mehr | |
Ähnlichkeiten. So rückt rund ein Drittel der Westdeutschen Muslimen und | |
Ostdeutschen in die Nähe zum Extremismus. | |
Und ein Drittel glaubt, dass die Ostdeutschen noch nicht in Deutschland | |
angekommen sind: Die müssen sich also noch eingewöhnen, sind noch fremd. | |
Das ist, dreißig Jahre nach Mauerfall, eine Art Migrantisierung der | |
Ostdeutschen. | |
Was hat Sie an der Studie überrascht? | |
Dass Ostdeutsche sich selbst auf gleicher Ebene in der Gesellschaft sehen | |
wie Muslime. Die Hälfte der Ostdeutschen denkt von sich selbst, dass sie | |
als Bürger zweiter Klasse behandelt werden – und sie denken dies auch von | |
Muslimen. Da ist eine starke Ähnlichkeit. | |
Warum ist das überraschend? | |
Weil die soziale Wirklichkeit anders ist. Ostdeutsche sind weniger stark | |
von Rassismus betroffen als Muslime und bekanntermaßen strukturell deutlich | |
besser gestellt. Aber offenbar sind die Stereotype über Ostdeutsche so | |
wirksam, dass sie sich ähnlich weit unten und ausgegrenzt verorten. | |
Das ist ein Grund für antimuslimische Haltungen im Osten: Man fühlt sich | |
von der westdeutschen Mehrheit ausgegrenzt – und fürchtet deshalb den | |
sozialen Aufstieg der anderen Außenseitergruppe. | |
Knapp die Hälfte der Ostdeutschen lehnt mehr muslimische ChefInnen ab… | |
Das zeigt die Angst, möglicherweise auf dem dritten Platz zu landen und von | |
der anderen Minderheit, den Muslimen, überholt zu werden. | |
Gleichzeitig ist die Hälfte der Deutschen, in Ost und West, der Meinung, | |
dass Muslime benachteiligt werden. Ist dies nicht das Gegenteil von | |
Konkurrenz – ein Ausdruck von Empathie mit einer benachteiligten Gruppe? | |
Ja, vermutlich. Aber trotzdem möchten viele nicht, dass Muslime sozial an | |
ihnen vorbeiziehen. Auch dieses Phänomen gibt es öfter. Viele Männer sagen: | |
Es gibt nur ein Drittel Frauen im Bundestag, die Frauen sind benachteiligt. | |
Aber trotzdem sind diese Männer nicht für ein Parite-Gesetz. | |
Solche Widersprüche zwischen Erkenntnis und dem Gefühl, selbst irgendwie | |
bedroht zu sein, wenn Gleichheitsrechte wirklich umgesetzt werden, sind | |
häufig. | |
28 Prozent der Ostdeutschen sagen, dass sich Ostdeutsche zu sehr als Opfer | |
sehen. Die Studie liest daraus, dass fast ein Drittel den Opfervorwurf aus | |
dem Westen verinnerlicht hat. Kann es sich hier nicht auch um Selbstkritik | |
an dem Opferbild handeln? Oder um einen Generationskonflikt – Ältere sehen | |
sich als Opfer der Umstände, Jüngere lehnen das ab? | |
Wir wissen, dass Hispanics in den USA zu 30 Prozent Trump gewählt haben, | |
obwohl Trump Hispanics als Kriminelle diffamiert hat. Es gibt Frauen, die | |
misogyne Bilder übernehmen. | |
Ein solcher Effekt liegt auch in diesem Fall nahe – dass ein Teil der | |
Ostdeutschen den Opfervorwurf herauspickt und gegen die eigene Gruppe ins | |
Spiel bringt, um sich so damit über die negativ stigmatisierte eigene | |
Gruppe zu erheben – nach dem Motto, ich bin keiner von denen. Aber Sie | |
haben Recht: Es kann auch andere Gründe geben. | |
Sehen Sie, angesichts der Ähnlichkeiten der Bilder von Muslimen und | |
Ostdeutschen mögliche politische Gemeinsamkeiten? Oder Bündnisse? | |
Das ist eine politische Frage, die über die Studie hinaus geht. Es mag | |
attraktiv klingen, dass sich zwei marginalisierte Gruppen gegen den Hegemon | |
verbünden. Aber diese Gruppen sind sehr unterschiedlich. Die Studie zeigt | |
allerdings, dass fast jeder Dritte in West und Ost eine Quote für Migranten | |
für gerechtfertigt hält. Eine so große Zahl hatte niemand von uns im | |
DeZIM-Institut erwartet. Dieses Drittel kann ansprechbar für Allianzen | |
sein, um Benachteiligungen abzubauen. | |
2 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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