# taz.de -- Imam Mohamed Taha Sabri im Interview: „Die Gesellschaft ist bunt … | |
> Der Imam der Dar-as-Salam-Moschee des Vereins Neuköllner Begegnungsstätte | |
> über den interreligiösen Dialog und den Verfassungsschutz. | |
Bild: Mohamed Taha Sabri, der Imam der Dar-as-Salam-Moschee des Vereins Neuköl… | |
taz: Herr Sabri, Sie sind ein ziemlich bekannter, weil aktiver Imam in | |
Berlin: In Ihrer Gemeinde finden viele Veranstaltungen statt, Diskussionen | |
über den Islam ebenso wie politische Debatten. Warum? | |
Mohamed Taha Sabri: Der Mensch ist ein politisches Wesen. Aber meine | |
Aktivitäten sind gesellschaftspolitisch, nicht machtpolitisch. Ich bin | |
nicht Mitglied einer Partei und will das auch nicht sein. Ich bin politisch | |
in dem Sinne, dass ich gesellschaftlich aktiv bin. | |
Sie könnten als Imam sagen, Sie haben Verantwortung nur für die religiöse | |
Betreuung Ihrer Gemeindemitglieder. | |
Ich möchte Kontakt zur Gesellschaft haben, unabhängig von meinen religiösen | |
Aufgaben. Vielleicht könnte ich ruhiger leben, wenn ich die Türen der | |
Moschee nach außen zumachen würde … | |
… jedenfalls würden Sie dann vielleicht nicht in den Fokus von | |
Verfassungsschutz und Medien geraten, die Ihnen immer wieder Verbindungen | |
zu den Muslimbrüdern unterstellen. Wie stehen Sie zu dieser Bewegung? | |
Ich war bis 1988 in der arabischen Welt. Seither war ich nur fünf Mal in | |
Tunesien, ich habe da nicht mehr viele Kontakte. Und ich habe hier auch gar | |
keine Zeit mehr, die Entwicklung der arabischen Länder intensiv zu | |
betrachten. Aber ich denke, die Muslimbruderschaft als theologische | |
Denkschule hat einiges geleistet, was die Bildung einer eigenen Identität | |
in der arabischen Welt betrifft. | |
Die arabische Welt von der Südgrenze der Türkei bis nach Marokko ist ja | |
kulturell unterschiedlich. Was meinen Sie mit einer eigenen Identität? Eine | |
islamische? | |
Ja, eine gemäßigte islamische Identität. Da hat die Muslimbruderschaft | |
einen Beitrag geleistet, durch Institutionen und Bücher, die zu einem | |
gemäßigten Islamverständnis angesichts orthodoxer Strömungen wie dem | |
Salafismus aufrufen. | |
Das sehen viele anders. | |
Es gibt große und berechtigte Kritik an der Muslimbruderschaft. Besonders | |
die Politisierung und die fehlende Differenzierung zwischen Staat und | |
Religion hat in vielen arabischen Ländern Konflikte und Polarisierung | |
vorangetrieben. Hier in Deutschland haben wir mit der | |
Entwicklungsgeschichte der CDU eine wichtige Erfahrung, von der man viel | |
lernen kann. Die verschiedenen religiösen Bewegungen haben sich zu einer | |
demokratischen Partei zusammengeschlossen, die zwischen Staat und Religion | |
differenziert, indem auf der Grundlage religiöser Werte Politik für alle | |
Menschen gemacht wird. Genau dahin muss sich die Bewegung der | |
Muslimbruderschaft entwickeln. Sie muss zu einer zivilen, demokratischen | |
Partei werden, die klar gegen jede Form der Gewalt ist und die nicht im | |
Namen der Religion spricht, sondern basierend auf den Werten der Religion | |
Politik macht. Solange das nicht geschieht, wird die Muslimbruderschaft | |
Teil des Problems der arabischen Welt sein. | |
Hier wünscht man sich einen speziellen deutschen Islam, einen „Islam der | |
deutschen Muslime“, wie Innenminister Horst Seehofer jüngst bei der | |
Islamkonferenz sagte. | |
Und das ist die weitaus wichtigere Frage. Ich finde, wir sollten uns | |
keineswegs von Entwicklungen in der arabischen Welt abhängig machen, zumal | |
wir als Muslime nicht an einen Klerus gebunden sind. Wir sollten als | |
Muslime in Deutschland ausgehend von unserer Realität eine eigene | |
Entwicklung einleiten. Außerdem gibt es keinen Staat auf dieser Welt, der | |
es einer Bewegung mit einer ausländischen Agenda erlauben würde, innerhalb | |
seiner Grenzen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Das ist völlig | |
ausgeschlossen, auch hier. Es wird ja auch nicht erlaubt, dass eine Moschee | |
die politische Agenda eines anderen Staates vertritt. Das ist normal und | |
muss so sein. | |
Eine islamische Partei zu gründen, wäre ja hier nicht verboten. | |
Ich bin dagegen. | |
Warum? | |
A: Was soll das bringen, eine Partei für fünf Prozent der Bevölkerung zu | |
gründen? Und B: Wir sollten uns nicht so sehen – hier die Muslime, da die | |
anderen. Diese Gesellschaft ist bunt und vielfältig. Da funktionieren | |
solche Trennungen nicht. | |
Es gibt jetzt eine neue Initiative für einen säkularen Islam – einen Islam, | |
der nicht nach weltlicher Macht strebt. Das passt doch hervorragend zu dem, | |
was Sie sagen. | |
Aber eine Religion kann nicht säkular sein. Ein Staat kann säkular sein, | |
eine Religion nicht. In der Religion geht es doch nicht nur um das Hier und | |
Jetzt: Es geht um das Metaphysische, um Gott und um das, was nach dem Leben | |
kommt. Ich glaube, in dieser neuen Bewegung geht es eher um einen Islam, | |
der getrennt von Gott ist, um Islam als eine Kultur, als soziale | |
Erscheinungsform, nicht als Religion. Ich habe bei einer meiner letzten | |
Predigten darüber geredet, dass wir den säkularen Staat hier schützen | |
müssen, dass es gut ist, wenn sich die Religion nicht in den Staat und der | |
Staat nicht in die Religion einmischt. Aber dann sollten Politiker auch | |
nicht versuchen, einen Islam zu gestalten. Das ist eine Auseinandersetzung, | |
die innerhalb der Theologie stattfinden muss. | |
Der Vorwurf vieler Politiker*innen und Islamkritiker*innen lautet, dass | |
der Islam Vorschriften beinhalte, die mit hiesigen Gesetzen kollidieren. | |
Das sehe ich nicht. | |
Aber Herr Seehofer und viele andere sehen das! | |
In welchem Fall, dann sagen Sie mir konkrete Beispiele! | |
Gern: die Ablehnung von Homosexualität. Die Benachteiligung von Frauen. | |
Ah, ja, sehen Sie, das sind Fragen, die sind für viele Muslime neu. Und die | |
Religion, die Theologie muss darauf Antworten entwickeln. Das ist ein | |
Prozess. Aber hier läuft es so: Wenn wir hiesigen Muslime nicht schnell | |
Antworten geben, sucht man sich eine Antwort aus der arabischen Welt und | |
unterstellt auch uns diese Haltung. Dann haben wir einen Konflikt. Aber wir | |
brauchen auch eine gewisse Freiheit, uns als Muslime hier zu entwickeln. | |
Sie meinen, eine Antwort auf solche Fragen kann hier anders aussehen als in | |
Afghanistan oder Algerien? | |
Natürlich. | |
Das erlaubt der Islam? | |
Natürlich! Was ist der Islam am Ende? Der Islam ist ein Text – und der | |
Islam ist ein Mensch, der die Vernunft hat, mit diesem Text in einen Dialog | |
zu treten. Und dabei entsteht der Islam. Also der Islam ist nicht außerhalb | |
der Geschichte. Wir Muslime glauben, dass der Text außerhalb der Geschichte | |
ist. Aber der Text existiert ja wiederum nur in der Auseinandersetzung mit | |
der menschlichen Vernunft. Und die menschliche Vernunft ist zeitlich, ist | |
relativ – nicht konstant. Je nach Zeit und Ort kann der Text also anders | |
interpretiert werden. Dann haben wir den gelebten Islam, und da kann mir | |
niemand sagen, dass der nicht in Afrika anders ist als im Fernen Osten. | |
Deswegen sagt der Prophet Mohammed, dass sich der Islam in jedem | |
Jahrhundert erneuert. Weil er immer neu interpretiert wird. Das ist doch im | |
Christentum nicht anders. | |
Es gibt aber Muslime, die sagen: Im Koran steht genau, was Islam ist – da | |
gibt es nichts zu interpretieren. | |
Ja, und glauben Sie mir: Mit denen habe ich auch eine Menge Probleme. Es | |
sind oft Jugendliche, die mit solchen Ideen in die Moschee kommen. Sie | |
wollen einfache Antworten, schwarz/weiß, richtig/falsch. Ich habe da sogar | |
schon manche vor die Tür schicken müssen – was ganz falsch ist, eigentlich | |
müsste man viel Zeit in Gespräche mit diesen jungen Menschen investieren. | |
Aber angesichts meiner Aufgaben in dieser großen Gemeinde habe ich diese | |
Zeit leider nicht. | |
Angesichts Ihrer Definition ist Seehofers Idee von einem Islam der | |
deutschen Muslime gar nicht unrealistisch. | |
Nein, das ist sie nicht. Unrealistisch ist aber diese Erwartung, dass der | |
jetzt, in einem Moment entsteht. | |
Woher kommt dieses tiefe Misstrauen zwischen der so genannten deutschen | |
Mehrheitsgesellschaft und den Muslimen bzw.: Wie viel Schuld an diesem | |
Misstrauen tragen die Muslime selber? | |
Die Muslime hier haben lange geschlafen, sie haben sich nicht in einen | |
Dialog mit der Gesellschaft begeben. Die Türen der Moscheen waren zu. Das | |
war unser Fehler. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft, der Staat haben | |
lange geschlafen und die Muslime am Rand stehen lassen. Deshalb fehlt es an | |
der Anerkennung der Muslime als Teil dieser Gesellschaft. | |
Jetzt gehen die Muslime an die Öffentlichkeit, und jeder ihrer Schritte | |
dort wird von großem Misstrauen begleitet. Auch Ihre Aktivitäten – etwa in | |
der Flüchtlingshilfe – werden misstrauisch betrachtet. Der | |
Verfassungsschutz warnte Flüchtlingsheimbetreiber davor, Geflüchtete in | |
Ihre Moschee zu schicken. | |
Ich betrachte es als meine Aufgabe als Imam, diesen Weg zu gehen. Und er | |
lohnt sich. Aber ich kann das Misstrauen auch ein wenig verstehen: Wenn ich | |
als gebürtiger Deutscher nach der Arbeit in meinem Wohnzimmer sitze und im | |
Fernsehen Attentäter sehe, die bei ihren Taten Allahu Akbar schreien – in | |
Paris oder Kabul oder sonst wo – und dann habe ich eine Moschee nebenan, | |
dann muss ich das zusammenbringen. Und das spiegelt sich am Ende auch in | |
der Politik wider. | |
Nehmen Sie als Imam an institutionalisierten Dialogen zwischen Muslimen und | |
Verwaltung oder Politik teil? | |
Ja, wir waren zu Gesprächen beim Islamforum und beim Runden Tisch Islam des | |
Senats eingeladen. Da läuft der Dialog immer sehr gut. Das mündet aber | |
selten in konkrete Projekte oder gemeinsame Aktivitäten. | |
Ist Ihnen der Austausch mit Behörden und Politik wichtig? | |
Ja, auch der interreligiöse Dialog. Wir machen demnächst eine Veranstaltung | |
mit der Europäischen Rabbinerkonferenz. | |
Sie haben gegen Ihre Erwähnung im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes | |
erfolgreich geklagt. Der hatte Ihre Gemeinde dort in der Rubrik | |
„legalistischer Islamisten“ aufgeführt, die sich dadurch definierten, dass | |
sie „Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele“ ablehnten. | |
Erfreulicherweise gibt uns diese Gesellschaft solche Möglichkeiten. | |
Der Begriff des legalistischen Islamismus unterstellt Ihnen allerdings, | |
dass Sie genau auf diesem Wege – dem rechtlichen – den demokratischen in | |
einen islamischen Staat verwandeln wollen. | |
Am Ende ist das ein Urteil über unsere Absichten, eine Unterstellung. Und | |
solange es so läuft, können wir kein Vertrauen zueinander gewinnen. | |
Es lässt sich nichts ändern? | |
Der Verfassungsschutz ist ja nicht die Gesellschaft. Und die Politik müsste | |
sich einfach mal klarer darüber werden, was sie von den Muslimen will. Ich | |
bin Muslim und ich bin Bürger dieses Landes und bereit, meinen Beitrag hier | |
zu leisten, aber ich möchte auch meine Rechte in Anspruch nehmen dürfen. | |
Wir wollen keine Extrabehandlung für Muslime – nicht im Negativen und nicht | |
im Positiven. | |
25 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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