| # taz.de -- Debatte Diskriminierung von Minderheiten: Rassismus ist Rassismus | |
| > Eine Konferenz des Jüdischen Museums zu Islamophobie sorgt für Kritik. | |
| > Doch genau diese Freund-Feind-Schemata gilt es, zu überwinden. | |
| Bild: DemonstrantInnen fordern eine Koalition der Religionen | |
| Vom 11. bis 12. Oktober findet im Jüdischen Museum Berlin die | |
| internationale Konferenz [1][„Living with Islamophobia“] statt. Thema: die | |
| Diskriminierung und Stigmatisierung von Muslimen in Europa und Nordamerika. | |
| Die Konferenz ist jüngst auf Kritik gestoßen. Der Journalist Alan Posener | |
| monierte [2][Anfang September in der Welt], dass sich das Jüdische Museum | |
| „in einer Atmosphäre des steigenden Antisemitismus“ mit Islamfeindlichkeit | |
| beschäftige. Und: Bei der Tagung erhielten „eliminatorische Kritiker“ | |
| Israels eine Stimme, „Verteidiger Israels, Kritiker des muslimischen | |
| Opferdiskurses und des Islamismus“ kämen bei der Tagung aber nicht zu Wort. | |
| Man könnte diese Kritik rasch beiseiteschieben: Das Jüdische Museum | |
| beschäftigt sich selbstverständlich fortlaufend mit Antisemitismus. | |
| Antisemitismus ist ein enormes Problem in der Gesellschaft und muss als | |
| solches behandelt werden. Das Gleiche gilt für den antimuslimischen | |
| Rassismus. Dennoch ist die Kritik interessant. Das, was in ihr | |
| zusammengedacht wird, ist keineswegs selbstverständlich. Was heute sagbar, | |
| denkbar und damit auch verhandelbar ist, wäre es vor zwanzig Jahren nicht | |
| gewesen. Es lohnt sich, einmal zurückzublicken. | |
| Vor Beginn der 2000er Jahre war der Standpunkt, der gerade auch von den | |
| jüdischen Gemeinden vertreten wurde, ein anderer: Man ging davon aus, dass | |
| es sich bei Antisemitismus und „Ausländerfeindlichkeit“ im Grunde um zwei | |
| Erscheinungsformen einer „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ handele. | |
| (Damals sprach noch niemand von Rassismus.) Aus dieser Haltung heraus | |
| geißelten die jüdischen Gemeinden und viele jüdische Intellektuelle jeden | |
| Angriff auf Minderheiten – ganz gleich, ob es sich dabei um | |
| Moscheeschändungen, Angriffe auf Gastarbeiterwohnheime oder Gewalt gegen | |
| Menschen handelte. Es galt, allen rassistischen Tendenzen mit | |
| Entschiedenheit entgegenzutreten. Dies war die Lehre, die aus dem | |
| Nationalsozialismus zu ziehen war. | |
| Sicher fanden nicht alle die Verbindungslinie zwischen | |
| „Ausländerfeindlichkeit“ und Antisemitismus unproblematisch, weil dadurch | |
| zum Beispiel die Gefahr bestand, den Holocaust zu relativieren. Dennoch: | |
| Das Signal, das von diesem gemeinsamen Engagement ausging, lässt sich in | |
| seiner Tragweite kaum überschätzen. | |
| ## Verschiebung der Wahrnehmung | |
| Bei meiner Untersuchung zu der konservativen Islamischen Gemeinschaft Millî | |
| Görüş wurde ich öfter damit konfrontiert, dass die jüngeren Mitglieder die | |
| jüdischen Gemeinden als wichtigste Bündnispartner im Kampf gegen | |
| rassistische Tendenzen sahen. Genau deshalb stellten sie sich gegen den | |
| Antisemitismus der ersten Generation. Sie kritisierten ihn und suchten neue | |
| Wege der Partnerschaft mit jüdischen Gemeinden, als sie selbst in die | |
| Führungspositionen rückten. | |
| Anfang der 2000er Jahre änderte sich der Diskurs: Muslime wurden weniger | |
| als potenzielle Opfer, sondern als potenzielle Täter gesehen. Mehrere | |
| Gründe spielten in diese Diskursverschiebung hinein: Die zweite Intifada, | |
| die im Herbst 2000 ausbrach, führte zu einer erneuten Polarisierung im | |
| Nahen Osten und zu einem zunehmenden Gefühl der Bedrohung durch Muslime. | |
| Dann kam der Terrorangriff vom 11. September 2001. Er wurde nicht nur als | |
| Angriff auf die Vereinigten Staaten, sondern auf die gesamte westliche | |
| Wertegemeinschaft und damit als Kulturkampf gedeutet. Hinzu kamen in ganz | |
| Europa Übergriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen durch Täter mit | |
| muslimischem Hintergrund. Und mit der Reform des Staatsbürgerrechts im Jahr | |
| 2000 wurden viele „Türken“ und „Araber“ zu deutschen Staatsbürgern, w… | |
| sie immer öfter mit der Zuschreibung „Muslime“ versehen wurden. | |
| Die negativen Stigmata, die im neuen (und gleichzeitig alten) | |
| Muslime-Kontext bis heute auftauchen, kann man zusammenfassen unter: | |
| Frauenfeindlichkeit, Kriminalität und Integrationsunwille. Seither | |
| diskutieren wir in Deutschland auffällig oft die Frage, ob der Islam zu | |
| Deutschland gehört oder nicht. Mit besorgniserregenden Folgen: Das | |
| SVR-Jahresgutachten 2016 zeigt beispielsweise, dass über die Hälfte der | |
| Befragten die Aussage „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“ ablehnten. In | |
| diesem Kontext rückte auch der Antisemitismus unter Muslimen immer mehr in | |
| den Fokus der öffentlichen Debatten. In den Universitäten ging man in | |
| Seminarreihen den „muslimischen“ Antisemitismus an, während der „deutsch… | |
| Antisemitismus in den Hintergrund trat. | |
| Auch für viele Juden sind in dieser Zeit Muslime von Teilen der Wir-Gruppe, | |
| mit denen man sich solidarisierte, zu Teilen der „anderen“ geworden, gegen | |
| die man sich verteidigte. | |
| ## Fokus auf Geimeinsamkeiten | |
| Was mit der Diskursverschiebung verloren ging, war die spezifische Chance | |
| für das Verhältnis von Juden und Muslimen. Diese liegt darin, dass beide in | |
| einem Drittland leben, in diesem Fall Deutschland, und hier ein neues | |
| Kapitel aufschlagen können. Angehörige von Minderheitenreligionen teilen | |
| viele Probleme – dies erlaubt es, Querverbindungen und Gemeinsamkeiten zu | |
| entdecken. Das beginnt bei der Wahrnehmung der strukturellen und | |
| inhaltlichen Parallelen von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus | |
| und reicht bis zur Wahrnehmung gemeinsamer Anliegen, etwa des Respekts vor | |
| religiösen Geboten wie dem Schächten oder Beschneiden. Über die Koalitionen | |
| und Kooperationen auf diesen Feldern können neue Beziehungen geknüpft und | |
| die Freund-Feind-Schemata überwunden werden. | |
| Viele Juden haben diese Wendung jedoch nicht mitgemacht – und üben Kritik | |
| an der Haltung der jüdischen Organisationen, die darauf drängen, | |
| Antisemitismus isoliert zu betrachten. Die Ausrichtung einer Tagung zu | |
| Islamophobie zeigt gerade nicht, dass „irgendetwas faul ist im Jüdischen | |
| Museum Berlin“, wie Alan Posener meint. Sie belegt, ganz im Gegenteil, dass | |
| es Fragen der jüdischen Minderheit in einen größeren gesellschaftlichen | |
| Kontext stellt. | |
| 11 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.jmberlin.de/konferenz-living-with-islamophobia | |
| [2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article181424992/Islamophobie-Was-is… | |
| ## AUTOREN | |
| Werner Schiffauer | |
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