# taz.de -- Debatte E-Mobilität: Wettrüsten in der Tiefgarage | |
> Elektroautos vergrößern ständig ihre Reichweite, verschlechtern die | |
> Ökobilanz und bleiben sündteuer. Es geht anders. Auch in Deutschland. | |
Bild: Der E-Flitzer Polestar 1 von Volvo | |
Der weißrussische Diktator war voll entflammt. Der von ihm getestete | |
Elektrorenner Tesla S sei „ein exzellentes Auto“, das „wie eine | |
Weltraumrakete“ beschleunige und sämtliche deutschen Autos mit | |
Verbrennungsmotor locker abhänge. „Well done!“, befand Machthaber Alexander | |
Lukaschenko. Seinen eigenen Leuten befahl er, sich an Tesla ein Beispiel zu | |
nehmen und ein ähnliches Auto zu entwickeln. | |
Das Statement des Weißrussen ist nicht untypisch. Die als ökologische | |
Erlöser von der fossilen Klimaplage gefeierten Elektroautos sollen den | |
Verbrenner ersetzen, ohne an der Erotik des 12-Zylinders zu kratzen. | |
Autofahrer, mit viel Benzin im Blut, wünschen sich einen möglichst großen | |
Radius und schwer was unter der Haube, damit die Elektrokisten abgehen wie | |
Schmidts Katze. Das zumindest glauben die Autokonzerne. Mit diesem | |
Glaubenssatz im Kofferraum läuft gegenwärtig einiges verkehrt in der | |
verkehrspolitischen Debatte. | |
Auch auf der Frankfurter Automesse IAA wurde die Qualität der neuen Modelle | |
ziemlich einseitig interpretiert. Wer hat den Längsten? Die einschlägigen | |
Internetportale für Elektroautos verstärken den verengten Blick auf die | |
Durchdringung des Raums. So wird der neue Chevrolet-Bolt vor allem deshalb | |
als bestes Elektroauto gefeiert, weil er mit einer einzigen Batterieladung | |
angeblich bis zu 500 Kilometer weit kommen soll. Sagt der Autohändler: Wenn | |
Sie um 8 Uhr in Stuttgart losfahren, sind Sie ohne Stopp um 12 Uhr in | |
Bielefeld. | |
Nur: Was soll ich um zwölf in Bielefeld? Meistens wollen wir gar nicht nach | |
Bielefeld, sondern nur Brötchen holen beim guten Bäcker im Nachbarort. Oder | |
die Tochter zum Hata-Yoga-Kurs bringen. Neun von zehn Fahrten im Auto sind | |
kürzer als 50 Kilometer. Müssen Autos ausschließlich auf die wenigen | |
Fahrten über 100 Kilometer ausgerichtet werden? Der durchschnittliche Weg | |
im deutschen Individualverkehr ist 16 Kilometer lang. | |
## Auf der Strecke bleiben Eleganz und Ökobilanz | |
Das unsinnige Wettrüsten um die Reichweite führt dazu, dass viele neue | |
Modelle mit tonnenschweren Akkus vollgestopft sind. Auf der Strecke bleiben | |
die Eleganz des Elektroantriebs und die Ökobilanz. Naturgesetze gelten auch | |
für die Stromer; ihr Energieverbrauch hängt direkt von der Masse ab. | |
Deshalb wird die ökologische Performance mit dem hohen Gewicht der | |
Batterien und dem entsprechenden Ressourcenverbrauch immer schlechter. Der | |
Effizienzvorteil gegenüber dem Verbrennungsmotor schrumpft. Und | |
Elektroautos bleiben trotz sinkender Batteriepreise teuer, weil die | |
Einsparungen von noch mehr Batterieleistung wieder aufgefressen werden. | |
Jetzt soll ein Elektrobus ohne Halt 1.772 Kilometer weit gefahren sein. Ist | |
da noch Platz für Passagiere, oder werden nur noch Batterien spazieren | |
gefahren? Es klingt kurios, aber ein Teil des Batteriesatzes dient vor | |
allem dazu, die schweren Batterien zu befördern. | |
Ist jetzt die ganze Automobilwelt verrückt geworden? Nein, ein kleines Dorf | |
in Gallien und ein tapferer Krieger beweisen, dass es auch anders geht. Das | |
Dorf heißt Aachen, und der Krieger ist Maschinenbauprofessor Günther Schuh. | |
Der Rebell mischt die Elektroautobranche seit einiger Zeit von unten auf. | |
Zuerst hat er für die Post den Scooter gebaut, ein Nutzfahrzeug, das mit | |
bescheidenen 80 Kilometern Reichweite (!) zum Topseller geworden ist. | |
Derzeit angepeilte Produktionskapazität: 20.000 bis 25.000 Wagen im Jahr. | |
Ein zweites Werk in Düren ist im Bau. | |
Jetzt hat der Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik den | |
intelligenten Kleinwagen Life entwickelt – die Besteller rennen ihm die Tür | |
ein. Spitzengeschwindigkeit: rasende 116 km/h! Die Kiste kostet nur einen | |
Bruchteil eines sündteuren Tesla, Bolt oder BMW i3. Abzüglich der | |
ausgelobten Prämie rutscht der Preis auf 12.000 Euro. Bei minimalen | |
Betriebskosten. Klein, effizient und günstig – Elektroautos können auch | |
anders. „Der Life ist heute die preiswerteste Art überhaupt, Auto zu | |
fahren“, sagt der selbstbewusste Professor der taz. Und wahrscheinlich hat | |
er sogar recht. Mit dem etwas größeren Booster und dem Kleinbus Mover | |
werden weitere Elektromobile aus der Aachener Garage rollen. Wieder mit | |
kleinen Batteriesätzen und 110 bis 150 km Reichweite. Als Ausgleich haben | |
sie einen „Range-Extender“, der zugeschaltet werden kann und die Batterie | |
wieder auflädt. Schuh bekommt Lob von allen Seiten. | |
Die etablierte Automobilindustrie ist dagegen in ihrem alten Paradigma | |
derart gefangen, dass immer neue Konkurrenten ermutigt werden, den Markt zu | |
entern. Gespannt sein darf man auf das Elektromobil des britischen | |
Staubsaugerherstellers Dyson. Es soll „radikal anders“ sein und ein | |
effizienteres Batterieset mitbringen, verspricht Firmenchef James Dyson. Er | |
hat noch eine Rechnung offen mit den Großen der PS-Branche. In den 90er | |
Jahren hatte er für den Diesel ein Abgasreinigungssystem entwickelt, das | |
keiner haben wollte. Jetzt verschwindet der Diesel hinter dicken | |
Abgaswolken, und Dyson avanciert selbst zum Autobauer. | |
Seit dem Höhenflug von Tesla und dem Erfolg des Postscooters wissen wir, | |
dass die sehr viel einfacher zu bauenden Elektroautos auch außerhalb großer | |
Autofirmen vom Band laufen können. Die Arroganz der alten Konzerne, die | |
sich für unverwundbar halten, ist kein Zeichen der Stärke. Sie verlieren | |
ständig Marktanteile. Im Busverkehr etwa sackt der chinesische Hersteller | |
BYD einen Großauftrag nach dem anderen ein. In Kanada und vielen Ländern | |
Lateinamerikas, in den USA, aber auch in London oder Turin fahren zunehmend | |
chinesische Elektrobusse durch die Citys. Die Fahrgäste sind begeistert. | |
BYD, weltweit erfolgreichster Hersteller von Elektromobilen, kündigt nun | |
eine Offensive mit dem Bau kleiner billiger Fahrzeuge an. BYD-Chef Wang | |
Chuanfu glaubt, dass die Kleinen 75 Prozent der Verkäufe ausmachen werden. | |
Ab 2019 gilt in China eine Elektroquote von 10 Prozent. Dann ist auf dem | |
größten Automarkt der Welt keine Megareichweite gefragt, sondern eine | |
möglichst attraktive Modellpalette bezahlbarer Stromfahrzeuge. | |
23 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Manfred Kriener | |
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