# taz.de -- Wachsender Markt der Elektroautos: Deutschlands Mister E-Mobility | |
> Aachen ist mittlerweile zur deutschen Hauptstadt der Elektromobilität | |
> geworden. Zwei Professoren setzen hier Innovationen für mehr | |
> Nachhaltigkeit. | |
Bild: Achim Kampker hat noch viele Ideen für den E-Markt | |
AACHEN taz | Aachen, Neumarkt: Wenn Achim Kampker samstags auf dem | |
Wochenmarkt am Gemüsestand steht, vor allem jetzt im Winter mit seiner | |
dicken Wollmütze, kann man ihn auch für einen Master-Studenten halten. | |
Wobei: Hochschule stimmt schon. Nur: Kampker, der jungenhafte Mann mit dem | |
spitzbübischen Lächeln, ist 41, Professor für Maschinenbau an der RWTH | |
Aachen – und zu Deutschlands Mister E-Mobility geworden. | |
Kaum drei Kilometer weiter, Jülicher Straße, ein stadtnahes altes | |
Industriegebiet: In einem mächtigen rotbraunen Gründerzeit-Bau, dem | |
„Talbot-Gelände“, wurden seit 1838 an die 100.000 Eisenbahn- und | |
Straßenbahnwagen und über 1.000 ganze Triebzüge gefertigt. Zuletzt war hier | |
der kanadische Zughersteller Bombardier Hausherr. 2013 machte die Firma zu. | |
Großes Wehklagen setzte ein, Hunderte Arbeitsplätze futsch, Imageverlust, | |
massive Gewerbesteuerausfälle. | |
Heute residiert hier die Deutsche Post. Als Autobauer. Autos statt Züge – | |
das klingt wenig verkehrsökologisch. Aber hier wird der Streetscooter | |
gebaut – ein kastenförmiges Lieferfahrzeug mit Elektroantrieb, für die Post | |
selbst. Der Scheinstudent Professor Kampker ist der Ideen-Entwickler und | |
Streetscooter-Chef. | |
6.500 solcher Nutzfahrzeuge werden in diesem Jahr gebaut sein. Und Aachen | |
wird zu klein. Ab dem zweiten Quartal 2018 laufen auch in einem zweiten | |
Werk nebenan in Düren die Bänder: Kapazität dann zusammen 20.000 Stück pro | |
Jahr, weitere 250 Arbeitsplätze inklusive. Das E-Wunder von Aachen: „Sie | |
sprechen mit einem stolzen, glücklichen, rundum zufriedenen Menschen“, sagt | |
Kampker fröhlich. | |
## Auf die Arbeit der Paketboten zugeschnitten | |
Als er 2009 gerade Lehrstuhlinhaber für Produktionsmanagement an der | |
Technischen Hochschule geworden war, hatte Kampker zusammen mit seinem | |
Kollegen Professor Günther Schuh, Direktor des renommierten | |
Werkzeugmaschinenlabors, über E-Mobilität nachgedacht. „Auslöser war die | |
Frage: Wie können wir in Deutschland Innovationen entwickeln und dauerhaft | |
wettbewerbsfähig bleiben?“, erzählt Kampker heute. „Unser Anspruch war: in | |
der Hälfte der Zeit, mit einem Zehntel an Investitionen wie üblich. Das hat | |
keiner geglaubt. Beweist das mal, hieß es.“ | |
Die Beweisführung ging dann rasend schnell: Im Juni 2010 war die | |
Streetscooter GmbH gegründet. Entwicklung des Autos bis 2013, Testlauf, | |
2011 beißt die Post an, testet im Liefer-Alltag in Bonn, ist begeistert. | |
2014 kauft die Post die Firma. „Ja, im Nachhinein hört sich das so einfach | |
an. Mittlerweile sind wir Marktführer in Deutschland bei elektrischen | |
Nutzfahrzeugen.“ Kampker ist derzeit von seiner Hochschultätigkeit | |
beurlaubt, auf Postdeutsch nennt er sich „Geschäftsbereichsleiter | |
Elektromobilität“. | |
Die Wagen sind auf die Arbeit der Paketboten zugeschnitten. „Unser Wagen | |
ist ein Werkzeug“, sagt Kampker, gebaut in Modulbauweise, die (nicht | |
crash-relevanten) Außenhautteile sind statt aus Blech aus einem speziellen | |
robusten Gewebekunststoff gefertigt. Drei Modelle gibt es. Allesamt | |
Nutzfahrzeuge für die „letzte Meile“, wie das in der Branche heißt: für … | |
Transport im Nahverkehr. 120 Kilometer Reichweite am Tag reichen für die | |
Paketzustellung allemal. | |
In den ersten Jahren wurden immer neue Kleinigkeiten nach Wünschen der | |
Postauslieferer geändert: Ergonomie, Ladeflächendesign, Verstärkung der | |
viel beanspruchten Türscharniere, Heckklappendämpfung. Was Ingenieure nur | |
fast optimal entwickelt hatten, erlebten die Fahrer on the road und | |
äußerten Wünsche. Beifahrer? Gibt es nicht. Also ein Einsitzer. Und die | |
Postzusteller freuen sich: Bei den flüsterleisen Autos, sagt einer in Bonn, | |
schlagen auch Hunde nur selten an. Offenbar sind die Tiere auf | |
Dieselgeknatter konditioniert. | |
## „Die Nachhaltigkeit geht viel zu langsam“ | |
5.500 von 47.000 Postautos fahren mittlerweile elektrisch. Die | |
Verbundzustellung in Bonn findet bereits CO2-frei statt, auch in Städten | |
wie Berlin und Hamburg ist die klimafreundliche Zustellung gestartet. | |
Mittelfristig will die Post komplett elektrisch unterwegs sein – immer mit | |
100 Prozent Ökostrom. | |
Den geforderten Praxisbeweis haben die Aachener Professoren längst | |
erbracht. „Aber damit hören wir nicht auf“, sagt Kampker. „Die | |
Nachhaltigkeit geht viel zu langsam. Wir sind mittlerweile Meinungsbildner. | |
Wir können eine Richtung vorgeben.“ Und Vorbild sein nebenbei auch: Kampker | |
fährt einen elektrischen Opel Ampera und in der City ein Fahrrad mit | |
Elektromotor. In Stuttgart testet Streetscooter gerade den Prototyp eines | |
neuen Filters für den Abrieb von Bremsen und Reifen, in Vorbereitung sind | |
selbstfahrende Wagen. | |
Professorenkollege Günther Schuh macht derweil in Kleinwagen. Der schicke | |
e.Go Life, ein Viersitzer von 3,35 Meter Länge mit Reichweite von 104 bis | |
154 Kilometern, soll ab Frühjahr 2018 ausgeliefert werden. Kampfpreis ab | |
15.900 Euro, 4.000 Euro staatliche Elektroprämie gehen noch ab. Beworben | |
wird er als städtischer Kurzstrecken-Zweitwagen in Ergänzung zur großen | |
Dreckskarre – das hat Kritik ausgelöst. | |
Und ob diese Formulierung glücklich ist? Es werde möglich sein, ihn in | |
Aachen „direkt an seiner Geburtsstätte abzuholen“. Das Auto als Baby. | |
Mancher Unfug endet nie. | |
Nüchterner gesagt, kann so ein e.Go vor allem für Landpendler ohne ÖPNV | |
Sinn machen. Die Vorbestellungen laufen, die ersten knapp 2.000 Stück | |
sollen ab Frühjahr 2018 in Aachen produziert sein. 2019 sind 15.000 | |
geplant. | |
## Er will seine abgasbelastete Stadt elektrisieren | |
Was für Zahlen! Alle Dinos des Autobaus haben zwar Elektromobile im | |
Sortiment – aber weitgehend als teure Ladenhüter. Man werkelt weiter an der | |
Eier legenden Wollmilchsau – alles in einem soll es sein: Kurzstrecke, | |
Urlaubsauto, groß, mit reichlich Luxus statt Basic. Dann fehlt es an | |
Reichweite, an Ladestationen oder wird mit Monsterbatterien | |
unwirtschaftlich. Der FAZ sagte Kampker kürzlich: „Deutsche Ingenieure | |
haben die Tendenz, sich immer das Schwierigste zuerst vorzunehmen.“ Große | |
Firmen suchten nach einer Lösung für große Stückzahlen. „Diese Hersteller | |
wollen ein Weltauto bauen, das sich überall verkaufen lässt“, auch in | |
Sibirien und der Wüste. | |
Auf Nachfrage der taz relativiert er: „Ich bin selbst Ingenieur und weiß, | |
dass man zu solchem Denken neigen kann, das aber selbstkritisch | |
hinterfragen muss.“ Um mit der Nonchalance des Erfolgreichen zu ergänzen: | |
„In unserem Selbstversuch haben wir gezeigt, dass es anders geht.“ Aachen, | |
die Printen- und Karlsstadt, ist zur deutschen Hauptstadt der E-Mobilität | |
geworden. Und so kommt Wertschätzung auch von denen, die die Autoindustrie | |
sonst hofieren: Die Welt schlagzeilte im Herbst: „Post führt Autobauer | |
vor“. Die FAZ gratulierte: „So einfach geht Elektroauto“. | |
Neue Zielgruppe der Streetscooter GmbH sind Handwerker, Lieferdienste, | |
städtische Einrichtungen. Das Modell für diese Zwecke modifizierte Modell | |
heißt Work, ein elektrischer Kastenwagen, der ab 32.000 Euro erhältlich | |
ist. Verkaufszahlen kommuniziere man derzeit nicht, sagt Kampker. „Aber die | |
Nachfrage ist höher, als wir bauen können.“ Der Fischhändler Deutsche See | |
hat allein 80 Stück geordert. Fast 500 Work sind über die GLS-Bank in | |
Bochum verleast. Zur Produktpalette gehören auch robuste Last-Bikes (3.800 | |
Euro, 60 Kilo Zuladung) und -Trikes (4.900 Euro, 90 Kilo). | |
100.000 E-Autos will die Post in den kommenden Jahren auf die Straße | |
bringen. „Der Drittmarkt ist dramatisch größer als unser eigener Bedarf“, | |
hatte Postvorstand Jürgen Gerdes kürzlich der SZ gesagt. Derzeit testet | |
Stuttgarts grüner Oberbürgermeister Fritz Kuhn die | |
Streetscooter-Modellpalette für den Fuhrpark der Stadtverwaltung, er will | |
seine abgasbelastete Stadt elektrisieren. Kampker weiß: Vier Millionen | |
Fahrzeuge in Deutschland fahren nie mehr als 100 Kilometer am Tag. Die | |
meisten davon sind Nutzfahrzeuge. Angesichts drohender Fahrverbote ein | |
riesiger Markt. Kampker ergänzt: „Unser Hauptthema ist im Moment: Wie die | |
Kapazitäten weiter hochfahren.“ | |
Und die Batterien? Kommen womöglich nicht mehr lange vornehmlich aus China. | |
17 deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute planen eine | |
Großserienproduktion von Lithium-Ionen-Zellen („Fab4Lib“), mit 5,5 | |
Millionen gefördert vom Forschungsministerium. Mit dabei: Günther Schuh und | |
Achim Kampker mit dem RWTH-Institut für Production Engineering of | |
E-Mobility Components. „Ich will unbedingt, dass wir diese Fabrik bauen“, | |
sagt Schuh. „Am liebsten bis 2019 und am liebsten hier in der Region.“ | |
25 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
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