| # taz.de -- Berlins Regierender im Interview: „Wir schätzen die Vorzüge von… | |
| > Egal wie der Volksentscheid im September ausgeht: Tegel müsse geschlossen | |
| > werden, sagt Michael Müller – und stellt eine verbesserte Anbindung des | |
| > BER in Aussicht. | |
| Bild: „Es gibt immer die Möglichkeit, etwas zu verbessern“: Michael Mülle… | |
| taz: Herr Müller, vor einem Jahr haben Sie eine Koalition aus drei Parteien | |
| noch klar abgelehnt. Nun regiert Ihre SPD seit sechs Monaten mit Grünen und | |
| Linkspartei. Können Sie damit leben? | |
| Michael Müller: Ja. Ich habe immer für ein Zweierbündnis geworben, weil ich | |
| glaube, dass es einfacher ist, in einer solchen Konstellation zu regieren. | |
| Aber wenn’s anders kommt, kommt es anders. Das ist okay. | |
| Sind alle Senatorinnen und Senatoren per Du? | |
| Ich glaube: Ja. (überlegt) Nein, Herr Behrendt [Justizsenator Dirk | |
| Behrendt, Grüne, d. Red.], Frau Günther [Verkehrssenatorin Regine Günther, | |
| d. Red.] und ich, wir siezen uns. Alle anderen sind wohl beim Du. | |
| Erleichtert das Du das Arbeiten oder suggeriert es nur eine Nähe? | |
| Das ist Zufall und hat sich aus der früheren parlamentarischen | |
| Zusammenarbeit ergeben. Bloß weil wir jetzt in einer anderen Konstellation | |
| zusammenarbeiten, wechselt man ja nicht wieder ins Sie. Mit Frank Henkel | |
| [CDU-Innensenator von 2011 bis 2016, d. Red.] habe ich mich die ganzen | |
| Jahre über gesiezt, weil es vorher nie Berührungspunkte gab, in denen wir | |
| zum Du gekommen sind. So wie jetzt bei Behrendt und Günther. | |
| Generell hat sich Rot-Rot-Grün eingegroovt? | |
| Doch. Muss man sagen. Die Haushaltsberatungen in den letzten Tagen, wo es | |
| durchaus mal schwierig wird, weil es für jedes Ressort um viel geht, wären | |
| noch vor einem Vierteljahr eine Belastungsprobe gewesen mit viel Streit. | |
| Jetzt gibt es einen Austausch unterschiedlicher Positionen, aber | |
| unaufgeregt und konstruktiv. Da hat sich etwas verändert in der | |
| Zusammenarbeit, es gibt ein deutliches Mehr an Kommunikation. | |
| Reden ist gut? | |
| Ja. (lacht) Manchmal ist es auch rustikal, aber es ist auf jeden Fall gut. | |
| Aber eigentlich wollte Rot-Rot-Grün schon viel weiter sein. Beispiel | |
| Radgesetz, ein zentrales Projekt: Ende März sollte es auf den Weg gebracht | |
| werden; nun kommt es nicht mal mehr vor der Sommerpause ins Parlament. | |
| Woran hakt es? | |
| An den Beteiligten. Man wünscht sich schnelleres Handeln der | |
| Senatsverwaltungen, es sind ja mehrere: Verkehr, Umwelt, Stadtentwicklung | |
| und die Bezirke. Zum anderen haben wir auch einen Partner: die | |
| Radinitiative. Und die Abstimmungsprozesse mit ihr sind nicht einfach. Da | |
| hat es Verstimmungen gegeben über den Umgang mit internen Informationen. | |
| Kommt es Ihnen als SPD-Parteichef nicht sogar entgegen, wenn das Radgesetz | |
| nicht mehr vor der Bundestagswahl im September behandelt wird? Die Anhänger | |
| Ihrer Partei sind doch eher Autonutzer als die der Grünen. | |
| Das ist jetzt aber eine böse Unterstellung. | |
| SPD-Fraktionschef Raed Saleh betont doch immer wieder, dass die SPD keine | |
| Politik gegen Autofahrer mache. Und von Ihnen haben wir Ähnliches gehört. | |
| Die Stadt kann nicht Rot-Rot-Grün wählen und dann eine schwarz-gelbe | |
| Verkehrspolitik erwarten. Wir machen bewusst etwas anders und setzen auch | |
| auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und Radverkehrs. Dafür muss ich | |
| mich nicht entschuldigen. | |
| Es ist doch eher anders herum: Salehs Satz klingt nach Besitzstandswahrung | |
| für Autofahrer … | |
| Wir müssen das eben in Einklang mit berechtigten Ansprüchen der Autofahrer | |
| machen. Und das sind nicht die, die 300 Meter zum Schrippenholen fahren. Es | |
| geht um jene, die lange Strecken zur Arbeit unterwegs sind. Und die | |
| Handwerker. Die Familie beim Großeinkauf. Auch das ist mir wichtig. Es geht | |
| um ein Mit- und kein Gegeneinander. | |
| Der Straßenraum bleibt aber gleich groß – wenn Sie zugunsten der Radfahrer | |
| umverteilen, bedeutet das zwangsläufig, dass Autofahrern Raum weggenommen | |
| werden muss. | |
| Stimmt. Das geht natürlich nicht konfliktfrei. Und es gibt | |
| Beharrungskräfte. Aber es ist eben die Aufgabe und Kunst der Politik, | |
| diesen Ausgleich zu organisieren. Wir werden Straßenraum zulasten des | |
| Autoverkehrs und zugunsten des Radverkehrs umorganisieren. Sonst kann das | |
| nicht funktionieren. Auf der anderen Seite muss genauso selbstverständlich | |
| gesagt werden, dass wir mehr Investitionen für die Sanierung der | |
| Autostraßen als für Radwege aufwenden und auch Straßen neu bauen werden. | |
| Sie haben vorhin betont, dass Rot-Rot-Grün eine progressive Politik macht. | |
| Gleichzeitig tun Sie sich schwer, die Berliner Koalition als Vorbild oder | |
| Modell für eine eventuelle Zusammenarbeit der drei Parteien auf Bundesebene | |
| zu sehen. Warum eigentlich? | |
| Da müssen Sie doch nur auf die Ergebnisse des Linken-Bundesparteitags vor | |
| einer Woche schauen. Die erklären das doch. | |
| … Sie meinen die Forderungen in der Außen- und Verteidigungspolitik wie | |
| etwa die Auflösung der Nato … | |
| Man kann sich eine Situation, die nicht da ist, doch nicht herbeireden! | |
| Offensichtlich gibt es große Vorbehalte der Linkspartei gegenüber einer | |
| Zusammenarbeit mit der SPD. Und zu glauben, dass die SPD über das Stöckchen | |
| von Frau Wagenknecht [Sarah Wagenknecht, Linke Franktionschefin im | |
| Bundestag, d. Red.] springen muss, ist ein Trugschluss. Das werden wir | |
| nicht. | |
| Damit nimmt sich die SPD die derzeit einzige realistische Machtoption. | |
| Das tut eher die Linkspartei. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Welt | |
| auf Bundesebene eine andere ist. Das bedauere ich, weil ich glaube, dass | |
| Optionen und Machtperspektiven dazugehören. Aber wenn die Linkspartei das | |
| nicht will, dann ist das eben so. | |
| Eine Herausforderung für Rot-Rot-Grün wird der Volksentscheid Tegel | |
| parallel zur Bundestagswahl Ende September. Umfragen zufolge ist sogar eine | |
| Mehrheit der Grünen- und Linken-Anhänger für den Weiterbetrieb des | |
| Flughafens. Wie gehen Sie damit um? | |
| Konstruktiv. (lacht) Natürlich ist diese Situation nicht einfach. Als | |
| Bürger dieser Stadt kann ich die Emotionalität nachvollziehen. Wir haben | |
| Jahrzehnte mit dem Flughafen Tegel gelebt und schätzen auch seine Vorzüge. | |
| Es wäre doch albern, das wegzudiskutieren. Das ist ein Flughafen der kurzen | |
| Wege. Doch das kann keine verantwortungsvolle Politik aus gesamtstädtischer | |
| Verantwortung ersetzen. | |
| Aber es ist doch verheerend, wenn das Ziel der SPD, Tegel zu schließen, | |
| offenbar bei so wenig Anhängern ankommt. | |
| Das Ziel wird von allen drei Koalitionspartnern vertreten. Aber man kann | |
| diese Emotionalität nicht wegbeschließen. Es kommt darauf an, jenseits | |
| davon mit rationalen Argumenten und Fakten deutlich zu machen, dass ein | |
| dauerhafter Tegel-Betrieb kein gangbarer Weg ist. Dafür gibt es | |
| finanzielle und juristische Gründe, es geht um Lärmschutz und | |
| Stadtentwicklung. Ganz viel werden wir im Rahmen unserer | |
| Informationskampagne in den nächsten drei Monaten auf den Tisch legen. | |
| Die juristischen Fakten sind durchaus umstritten. Ihr ehemaliger | |
| Koalitionspartner CDU, der fünf Jahre lang die gleiche Position wie Sie | |
| vertrat, sagt jetzt, man könne den Flughafen doch offen halten. | |
| Meine Erfahrung ist, dass die Wählerinnen und Wähler ein solches rein | |
| wahltaktisches – und auch unredliches – Verhalten, innerhalb eines halben | |
| Jahres Meinungen so hin und her zu schieben, wie es parteipolitisch passt, | |
| nicht honorieren. Aber die CDU muss mit sich ausmachen, welche Position sie | |
| da hat. Ich kenne viele Unionspolitiker, die gerade aus | |
| stadtentwicklungspolitischen und wirtschaftlichen Gründen für die | |
| Schließung sind. | |
| Beim Volksentscheid über die Bebauung des Tempelhofer Feldes 2014 – damals | |
| waren Sie Bausenator – zogen sachliche Gründe für einen Wohnungsbau am | |
| Feldrand nicht, Sie verloren die Abstimmung. Deswegen verwundert es uns, | |
| dass Sie so sehr auf die Zugkraft der Fakten setzen. | |
| Welche anderen Möglichkeiten gibt es denn?! Es ist Aufgabe der Politik, | |
| deutlich zu machen, was die Steuerzahler leisten müssten, wenn Tegel am | |
| Netz bliebe. Wir hoffen natürlich, dass der Funke auch überspringt im | |
| Rahmen der Informationskampagne. Aber mehr als für eine glaubwürdige und | |
| überzeugte Position einzutreten, kann man dann doch nicht tun. | |
| Beim Volksentscheid für den Weiterbetrieb von Tempelhof 2008 hatte Ihr | |
| Vorgänger Klaus Wowereit klargemacht, dass er das Ergebnis ignorieren | |
| werde, weil es rechtlich nicht bindend sei. Das ist auch dieses Mal so: Wie | |
| würden Sie mit einer Mehrheit für den Weiterbetrieb umgehen? | |
| Ein Erfolg der Tegel-Anhänger wäre für uns ein Auftrag, uns mit dem | |
| eigentlichen Wunsch nach Überprüfung der Verkehrspolitik ernsthaft | |
| auseinanderzusetzen: Wie schaffen wir ein wirklich gutes | |
| Flughafenserviceangebot, sodass die Vorzüge von Tegel – sprich die gute | |
| Erreichbarkeit und die kurzen Wege – auch in Schönefeld umgesetzt werden? | |
| Andererseits ist die rechtliche und finanzielle Situation am 24. September | |
| keine andere als am 23. September. | |
| Lässt sich denn in Sachen Service und Anbindung des BER etwas machen? | |
| Es gibt immer die Möglichkeit, etwas zu verbessern. Etwa was die | |
| Taktfrequenz der Anbindung mit der Bahn angeht oder den Ausbau der U-Bahn | |
| zwischen Rudow und dem Flughafen. Im Terminalbereich kann man darüber | |
| nachdenken, Wege zu verkürzen. | |
| Anderes Thema: Der Umgang mit der inneren Sicherheit ist mit dem Anschlag | |
| am Breitscheidplatz zentral geworden für Rot-Rot-Grün. Wie will die | |
| Koalition Sicherheit garantieren, ohne es wirklich zu können? | |
| Wir müssen auf veränderte Sicherheitslagen reagieren und – so weit es eben | |
| geht – Sicherheitsmaßnahmen hochfahren. Die zusätzlichen Möglichkeiten sind | |
| da, sie wurden umgesetzt, etwa beim Kirchentag Ende Mai. Es geht um | |
| Augenmaß und Besonnenheit, und diesen Weg wollen wir weitergehen. Das ist | |
| mir sehr wichtig. Was Berlin ausmacht, dürfen wir nicht aus überzogener | |
| Sorge oder Angst kaputt machen. | |
| Was ist denn überzogen? | |
| Wir machen uns natürlich Sorgen. Aber deswegen dürfen keine Freiheitsrechte | |
| eingeschränkt werden. Deshalb ist es eine alberne Formulierung, wenn immer | |
| wieder eine flächendeckende Videoüberwachung gefordert wird. Was soll das | |
| sein, wozu soll es gut sein, in Reinickendorf oder Lichtenrade | |
| flächendeckend Kameras aufzuhängen? Aber wir müssen die Chance haben, es | |
| dort zu tun, wo es nötig ist, und das sind etwa zehn Orte in der Stadt. Und | |
| da werden wir es dann auch tun. | |
| Das ist dann offiziell immer temporär, oder? | |
| Logisch. Sicherheitslagen ändern sich, und darauf muss man reagieren. | |
| Vielleicht ändern sich die Bedrohungsszenarien so, dass wir in zwei Jahren | |
| sagen: Kameras nützen überhaupt nichts, wir müssen etwas ganz anderes | |
| haben. | |
| Sie haben sich vor Kurzem einen Nachmittag lang mit Opfern des Anschlags am | |
| Breitscheidplatz und ihren Angehörigen getroffen … | |
| Ja, das war bewegend. Man ist selbst nicht Betroffener, erlebt dann aber | |
| doch sehr hautnah, was so ein Anschlag bei den Menschen auslöst. Ich selbst | |
| habe die Nacht des 19. Dezember am Breitscheidplatz mitverfolgt. Als ich | |
| jetzt Monate später die Opfer und Angehörigen traf, habe ich erlebt, wie | |
| präsent das Erlebte ist; dass jede Minute nacherzählt werden kann. Es | |
| bleibt unsere Aufgabe zu helfen, so gut es geht. | |
| 19 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| Bert Schulz | |
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