| # taz.de -- Wahlkampf der Linken in Berlin: Der „nette Kollege“ Liebich | |
| > Im Berliner Wahlkreis Pankow ist die CDU dem Direktkandidaten der Linken | |
| > auf den Fersen. Gentrifiziert Schwarz-Grün die Linke weg? | |
| Bild: Wie rot kann Stefan Liebich im Prenzlauer Berg sein, um dort als Direktka… | |
| Berlin taz | „Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht eben auch | |
| verwirkt“, lautet ein bekannter Satz von Sahra Wagenknecht. Ein anderer ist | |
| der vom „eklatanten Staatsversagen“. Gesagt hat sie die | |
| Linke-Fraktionschefin auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Ende 2015. | |
| Heute, im Wahlsommer 2017, wirbt [1][die Linkspartei] mit dem Slogan | |
| „Entschieden gegen rechte Hetze“. [2][So, so]. | |
| Genau dieses Poster hängt in der Breiten Straße in Ostberlin. Gleich | |
| daneben lächelt der dazugehörige Abgeordnete Stefan Liebich ins | |
| Straßenbild. „Pankow: Liebich“. Und so wie es ausschaut, liebt auch Pankow | |
| Stefan Liebich. Bei der letzten Bundestagswahl war es jedenfalls noch so, | |
| da hat er hier zum zweiten Mal sein Direktmandat geholt. 2017 aber wird es | |
| spannend. | |
| Beim ersten Mal, 2009, siegte Liebich über das sozialdemokratische | |
| Urgestein Wolfgang Thierse. Der SPD-Politiker, einst Bürgerrechtler und | |
| später Bundestagspräsident, gehört zur Ausstattung des Prenzlauer Bergs wie | |
| der glutenfreie Latte macchiato und die Käthe-Kollwitz-Plastik. Dass ihm | |
| ein brav wirkender kommunistischer Jungspund den Wahlkreis abgenommen | |
| hatte, galt damals als Sensation. | |
| Doch schon bei der nächsten Wahl kam Liebichs Konkurrenz aus einer anderen, | |
| unerwarteten Ecke. Ein No-Name von der CDU holte aus dem Stand 23,9 | |
| Prozent. Beobachtern galt der zweite Platz für den Konservativen als | |
| sicheres Zeichen für den politischen Durchmarsch schwarz-grüner | |
| Gentrifizierer im Bionadebezirk. | |
| ## „Ich werde hier nicht weggentrifiziert“ | |
| Und tatsächlich: Leute, die ihr Erbe in Baugruppen investieren, die Mieten | |
| von 17 Euro kalt pro Quadratmeter oder Mondpreise für Eigentumswohnungen | |
| zahlen können, gelten eher nicht als WählerInnen der Linken. Könnte nicht | |
| also am 24. September deren Kandidat von der schwarz-grünen Wählerschaft | |
| einfach weggentrifiziert werden? | |
| „Ich werde hier nicht weggentrifiziert“, sagt Stefan Liebich und lächelt. | |
| Er sitzt auf der schwarzen Couch seines Wahlkreisbüros im eher | |
| bodenständigen Quartier Pankow-Kirche, es gibt Sprudel und Filterkaffee. | |
| Alle vier Minuten ballert der Lärm eines Flugzeugs im Landeanflug auf Tegel | |
| durchs geöffnete Fenster. „Wenn in meinem Wahlkreis jemand weggentrifiziert | |
| wird, dann ist das die SPD.“ | |
| Mag sein. Aber was ist mit dem CDU-Kandidaten? Gottfried Ludewig, 34 Jahre | |
| alter Wirtschaftsberater, zugereister Bonner, könnte noch mehr ruhe- und | |
| ordnungsbedürftigen Prenzlauer-BergerInnen ein Kreuzchen wert sein als bei | |
| der letzten Bundestagswahl. | |
| Liebich vertraut auf sein Profil, auf seine Bekanntheit bei den 350.000 | |
| WählerInnen. 2013 war er einer von nur vier Linke-KandidatInnen mit | |
| Direktmandat, so was trägt. Und er gilt als eigensinniger Realo innerhalb | |
| seiner Fraktion. Seit Sahra Wagenknecht mit dem blassen [3][Dietmar | |
| Bartsch] die Fraktion führt, ist der Ton dort [4][deutlich schriller], auch | |
| schon mal populistischer geworden. „Viele sagen, na ja, Linkspartei | |
| [5][finden wir nicht so toll]. Aber der Liebich, der geht schon“, umreißt | |
| Liebich die Lage. | |
| ## Liebich widerspricht auch mal | |
| Tatsächlich ist Liebich schon öfter aus der Fraktionsdisziplin ausgeschert. | |
| Als Sahra Wagenknecht ihren Gastrecht-Satz raushaute, widersprach er ihr. | |
| Als das Parlament 2014 über die Vernichtung von Chemiewaffen durch die | |
| Bundesmarine abstimmte, votierte er mit vier Fraktionskollegen für diesen | |
| Auslandseinsatz. Und wenn Wolfgang Gehrcke, sein Kollege im Auswärtigen | |
| Ausschuss, markige Erklärungen raushaut, die sofortige Herstellung des | |
| Weltfriedens betreffend, übersetzt Liebich anschließend schon mal ins | |
| Realpolitische. | |
| Mit derlei – und mit seiner offenen Neigung zu Rot-Rot-Grün – hat er sich | |
| den Hass so mancher [6][Fraktionsfundis] erarbeitet. Dabei wirkt Liebich | |
| eher brav. Immer nett lächelnd und adrett gekleidet, stets höflich. Was | |
| langweilig wirkt, zieht scheinbar bei der Wählerschaft; nicht jeder steht | |
| auf politisches Kläffen. | |
| Über seine Querschläge in der Fraktion sagt Liebich: „Das kann ich mir | |
| leisten, weil ich hier direkt gewählt bin.“ Er habe seinen eigenen Kopf , | |
| das würden seine Wähler schätzen. Unter den Klischee-Schwaben vom | |
| Prenzlauer Berg gebe es übrigens jede Menge progressive Wähler, die sich | |
| wünschten, dass Merkel abtritt. Für die seien – angesichts von Jamaika oder | |
| einer Wiederauflage der Großen Koalition – SPD und Grüne kaum noch wählbar. | |
| „Wir haben als einzige Partei keiner Asylrechtsverschärfung zugestimmt“, | |
| sagt Liebich. | |
| Sein Konkurrent von der CDU findet den Wettlauf um den Bezirk spannend. | |
| Gottfried Ludewig schätzt Liebich, er sei „kein typischer | |
| Linkspartei-Vertreter“, sagt er der taz. Was Liebich als Vorteil für sich | |
| verbucht, sieht Ludewig eher kritisch. Er frage sich, sagt er, für welche | |
| Politik der Linke nach der Wahl stehen werde. „Er versucht, bei allen eine | |
| gute Figur zu machen.“ Aber was habe der „nette Kollege“ tatsächlich für | |
| seinen Bezirk erreicht? Die Mieten stiegen und stiegen, die | |
| Verkehrssituation sei angespannt, sagt er. | |
| ## Liebich wohnt in der Einflugschneise | |
| Dazu muss man wissen, dass im Berliner Bundestagswahlkampf der Flughafen | |
| Tegel – eigentlich ein landespolitisches Thema – plötzlich ein Riesending | |
| ist. FDP und CDU halten es für eine gute Idee, Tegel offen zu halten. | |
| Selbst manche Pankower haben sich an den gesundheitsschädlichen Krach und | |
| Dreck gewöhnt; viele befürchten noch höhere Mieten, wenn ihr grüner Bezirk | |
| plötzlich auch noch ruhig wird. | |
| CDU-Mann Ludewig windet sich ein bisschen bei der Frage nach seiner Haltung | |
| zum Thema. Er weiß, wie gespalten die Wählerschaft ist, versucht es mit | |
| einer Sowohl-als-auch-Antwort. Er könne sich vorstellen, sagt er, „Tegel in | |
| reduziertem Ausmaß für eine begrenzte Zeit offenzuhalten“ – bis klar sei, | |
| ob der Pannenflughafen BER ausreichend funktioniert. | |
| In seinem Pankower Büro sitzt Stefan Liebich und grinst. „Tegel ist durch | |
| und muss geschlossen werden“, sagt er. Den maroden Flughafen plötzlich doch | |
| offen halten zu wollen sei die Einzelmeinung eines Ministers. „Was ist denn | |
| da los bei der CDU?“ Während der gefühlt zwanzigste Flieger eine | |
| Lärmschneise in den Raum schneidet, erzählt Liebich von der mangelnden | |
| Solidarität anderer Bundestagsabgeordneter. „Die finden das natürlich | |
| super, die sind von Tegel in zwanzig Minuten im Büro.“ Stefan Liebich hat | |
| es nicht so weit wie andere Parlamentarier. Er wohnt mitten in der | |
| Einflugschneise. | |
| 10 Aug 2017 | |
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