| # taz.de -- Kampf um den Prenzlauer Berg in Berlin: Konservative Übernahme | |
| > Ist die CDU dabei, Ostberlins einstiges proletarisches Viertel zu kapern? | |
| > Für Gottfried Ludewig ist sein Wahlkreis eine zutiefst bürgerliche | |
| > Gegend. | |
| Bild: Gottfried Ludewig wirbt um Stimmen | |
| BERLIN taz | Kürzlich war Peter Altmaier da. Der Kanzleramtsminister ist in | |
| den Prenzlauer Berg gekommen, um im Stadtbad Oderberger für den hiesigen | |
| CDU-Bundestagskandidaten zu trommeln. Der heißt Gottfried Ludewig, ist 34 | |
| Jahre jung und twitterte nach seinem Altmaier-Termin: „Werbung für die | |
| #Kanzlerin in #prenzlberg“. Und das macht einen Unterschied. | |
| Daran nämlich, ob einer den Bundestagswahlkreis 76 „Prenzlauer Berg“ oder | |
| „Prenzlberg“ nennt, ob jemand „im“, „in“ oder gar „auf dem“ Pre… | |
| lebt, erkennt man meist die Herkunft der Person. „In Prenzlberg“ ist eher | |
| neusprachliches Biedermeier; Alteingesessene bevorzugen „im Prenzlauer | |
| Berg“. Aber von denen sind eh nicht mehr allzu viele hier, seit dem | |
| Mauerfall sind drei Viertel der Bewohner Zugezogene. | |
| CDU-Kandidat Gottfried Ludewig ist einer der nicht mehr ganz Neuen, er kam | |
| 2003 aus Nordrhein-Westfalen zum Studieren nach Berlin. Seit 2011 ist er | |
| als Mitglied des Abgeordnetenhauses gesundheitspolitischer Sprecher der CDU | |
| (und glühender Verfechter der Masern-Impfpflicht für Kitakinder). | |
| Für das Treffen mit der taz hat Ludewig ein Frühstückscafé in der | |
| Kollwitzstraße vorgeschlagen. Tiefstes Prenzlberg-Biedermeier, Ludewig | |
| wohnt nicht weit entfernt. Er trinkt doppelten Espresso und muss kurz | |
| lachen, als er die Gentrifizierungsfrage hört. Ob nämlich der Erfolg seiner | |
| CDU in einer ursprünglich proletarischen und bohemistischen Gegend Ausdruck | |
| der politischen Übernahme Ostberlins durch die Konservativen sei. Ob also | |
| im Jahr 2017 die Macchiato schlürfende, schwarz-grüne Erbengeneration die | |
| politische Agenda des einst linken Bezirks bestimmt. „Das ist kein linker | |
| Wahlkreis“, sagt Gottfried Ludewig und winkt ab. „Pankow ist ein zutiefst | |
| bürgerlicher Bezirk.“ | |
| ## Matter Widerstand der Sozialdemokratie | |
| Wie kommt es dann, dass das Direktmandat bei den letzten beiden Wahlen an | |
| die Linke gegangen ist? Deren Kandidat Stefan Liebich hatte 2013 28,3 | |
| Prozent der Erststimmen geholt. Die Überraschung damals waren aber nicht | |
| die mageren 21,3 Prozent für den SPD-Kandidaten Klaus Mindrup, Nachfolger | |
| des Prenzlauer-Berg-Urgesteins Wolfgang Thierse. Die Überraschung war ein | |
| weitgehend unbekannte CDUler, der aus dem Stand mit 23,9 Prozent auf Rang 2 | |
| eingelaufen war. Viele fragten sich: Ist die CDU dabei, Ostberlins | |
| einstiges Alternativviertel zu kapern? | |
| Gottfried Ludewig hätte nichts dagegen, wenn am 24. September viele | |
| Grünen-Wähler ihr Kreuz bei seiner CDU machten. Von denen, nimmt er an, | |
| wollten eh viele, dass Merkel Kanzlerin bleibt. „Aber dafür müssten sie CDU | |
| wählen. Das ist für manchen ein Sprung über den eigenen Schatten, tut am | |
| Ende aber nicht weh.“ | |
| Stefan Gelbhaar würde das durchaus „wehtun“. Der Kandidat der Grünen kennt | |
| Ludewig. Er glaubt nicht, dass seine Grünen so leicht zu haben wären. „Am | |
| Ende des Tages müssen wir uns gegen konservative Politik durchsetzen, ob | |
| sie von rechts oder scheinbar von links kommt“, sagt er, nach Ludewigs | |
| Avancen an grüne Stammwähler gefragt. 2013 hat seine Partei hier 14 Prozent | |
| geholt. | |
| Wie es passieren konnte, dass die CDU im einstigen Arbeiterbezirk auf | |
| allenfalls matten Widerstand der Sozialdemokratie trifft, ist auch Ludewig | |
| ein Rätsel. „Es wäre für unsere Demokratie und die politische Kultur | |
| besser, eine starke SPD zu haben als eine zerstrittene Linke“, sagt der | |
| Volkswirt. Nein, Mitleid verspüre er nicht. Von der SPD höre er im | |
| Wahlkampf nun mal keinen Vorschlag, über den es sich zu diskutieren lohne. | |
| Schon deren Plakate findet er „seltsam blass“. | |
| Dazu muss man wissen, dass am Tag des Treffens von Ludewig selbst noch kein | |
| einziges Plakat den Straßenraum ziert. Wenn überhaupt, lächelt Angela | |
| Merkel auf die sanierten Granitplatten der Kollwitzstraße herab und stellt | |
| ein Deutschland in Aussicht, in dem „gut und gerne“ gelebt wird. Hier in | |
| der Gegend, wo selbst absurdeste Immobilienpreise den Hype befeuern statt | |
| zu schwächen, und Leute nach dreißig Jahren ihre Umzugskisten packen | |
| müssen, scheint politische Vagheit konzeptionell auszureichen. | |
| ## Mit Manufaktur-Rädern zum Indoor-Spielplatz | |
| Nur zwei Kilometer entfernt, in der Brunnenstraße, hat Ludewigs CDU einen | |
| gigantischen Indoor-Spielplatz eröffnet. Das „begehbare Wahlprogramm“ hat | |
| man erfolgsverwirrt #fedidwgugl-Haus genannt. Als Merkel kürzlich zum | |
| Nachbarschaftskaffee dort war, sahen ebendiese Nachbarn aus, als seien sie | |
| auf ihren Manufaktur-Rädern mal eben aus der Kollwitzstraße hergesaust: | |
| neugierige Menschen Mitte dreißig, Babys auf den Armen und | |
| Mehrweg-Kaffeebecher in den Händen haltend. Es sind die solventen Bewohner | |
| der Berliner Innenstadt, die wenig auszusetzen haben an diesem ihrem Leben | |
| und sich im Jahr 2017 vorstellen könnten, die CDU zu wählen. Also einen wie | |
| Gottfried Ludewig. | |
| Was die Gemüter in Ludewigs Wahlkreis aber tatsächlich in Wallung bringt, | |
| ist die für den Wahltag ebenfalls angesetzte Abstimmung zum Flughafen | |
| Tegel. Auf eine sehr bizarre, berlinerische Art hat es die Splitterpartei | |
| FDP (2013 in ganz Berlin: 3,6 Prozent) geschafft, den Lärmflughafen zum | |
| Gesprächsthema Nummer eins zu machen und sich selbst damit in den Fokus des | |
| öffentlichen Interesses zu rücken. Die Einflugschneise für Tegel liegt in | |
| Ludewigs Wahlkreis. Ist ihm die Lebensqualität dieses Viertels egal? | |
| Wieder lacht Ludewig kurz. Er wolle jedem ermöglichen, nach Berlin zu | |
| kommen, sagt er dann. Und weil nach fünf Jahren Bauverzögerung die | |
| Eröffnung des neuen Flughafens nicht absehbar sei, hält er es für „zwingend | |
| notwendig, Tegel aktuell offen zu halten. Wir sind eine internationale | |
| Metropole, nicht Kleinkleckersdorf.“ | |
| Exakt bei diesem, eigentlich ja landespolitischen Thema dürfte sich der | |
| Wettlauf zwischen dem Linke-Abgeordneten Stefan Liebich und seinem | |
| CDU-Konkurrenten entscheiden. Liebich sagt: „Tegel ist durch und muss | |
| geschlossen werden.“ Ludewig findet es „zwingend notwendig, Tegel aktuell | |
| offen zu halten“. Hier im Viertel übrigens ist nicht viel vom Fluglärm zu | |
| hören. Krach, das ist allenfalls das Rollkoffer-Rattern der Touristen. | |
| 5 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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