# taz.de -- Investor in Prenzlauer Berg: Letzte Schlacht um den Schlachthof | |
> Die letzten Reste des Alten Schlachthofs sollen nach 25 Jahren einem | |
> Einkaufszentrum weichen. Eine Bürgerinitiative will das verhindern. | |
Bild: Hauptsache Shoppen: Am Alten Schlachthof soll noch ein Einkaufszentrum en… | |
25 Jahre hatten die Sträucher Zeit, am rotbraunen Gemäuer emporzuwachsen. | |
Der Wind pfeift um die drei Hallen, die Fenster sind mit Pappe und Holz | |
notdürftig geflickt. Die Überreste des Alten Schlachthofs an der | |
S-Bahnstation Landsberger Allee verrotten Jahr für Jahr. | |
„Die warten so lange, bis alles einfach in sich zusammenfällt“, sagt Filip | |
Stahl und schüttelt beim Anblick der tristen Brache den Kopf. Zusammen mit | |
Doreen Bialas hat er vor einem Jahr die Bürgerinitiative „Nichtnochncenter“ | |
gegründet. Sie wollen das Einkaufs- und Kongresszentrum, das auf dem | |
Gelände geplant ist, verhindern. | |
Stattdessen fordern sie die gemeinschaftliche und offene Planung eines | |
Kulturgeländes, wo lokales Handwerk, Gastronomie und soziale Projekte | |
zusammenkommen – finanziert zum Beispiel durch eine Stiftung und Gelder aus | |
dem Stadtentwicklungsfonds. Ein Konzept, das im Sinne der nachhaltigen | |
Stadtentwicklungspolitik Berlins wäre – und doch gibt es viele Probleme. | |
Nachdem der Vieh- und Schlachtbetrieb 1991 eingestellt wurde, übernahm der | |
Senat die Ausfertigung des Bebauungsplans – eine Aufgabe, die sonst der | |
Bezirk selbst wahrnimmt. Doch damals ging es um Großes: Berlin hatte sich | |
um Olympia 2000 beworben. Neben den Sportstätten auf der anderen Seite der | |
Landsberger Allee sollte deshalb mit der Aufwertung des Viertels | |
weitergemacht werden. | |
Es entstanden Wohnungen, Hotels, Town Houses und ein Park. Für das nun noch | |
freistehende Gelände sah der Plan Einzelhandel, Gewerbe und Gastronomie | |
vor. 1998 wurde er festgesetzt, 2001 geringfügig angepasst. Der große Wurf | |
mit Olympia blieb aus, die Verantwortung für die Bebauungspläne trotzdem | |
weiterhin in der Hand des Senats. | |
Im Jahr 2008 kaufte die Gesellschaft UBX 2 Objekt Berlin das rund 35.000 | |
Quadratmeter große Areal mit den drei Hallen, das direkt an der Grenze zu | |
Friedrichshain-Kreuzberg liegt. Mit knapp 2,4 Millionen Euro ein | |
Schnäppchen. Hinter der UBX 2 Objekt steht ein ständig wechselndes Geflecht | |
von Immobiliengesellschaften aus Österreich, darunter Warimpex AG und UBM | |
Development AG, die in ganz Europa hochpreisige Immobilien verwalten. | |
Eine Tochterfirma von UBM ist die Münchner Grund AG, die neben dem | |
Schlachthofprojekt auch das Andel’s Hotel nebenan sowie weitere Luxushotels | |
in Berlin betreut. In einem Hochglanzportfolio aus dem Jahr 2015 preist das | |
Unternehmen die Investitionsmöglichkeiten: „Attraktiver Einzelhandelsmix“ | |
mit direktem Brückenzugang zum Kongresshotel Andel’s. Allein 6.000 | |
Quadratmeter Verkaufsfläche in den Hallen, dazu ein über 12.000 | |
Quadratmeter großer Neubau und 270 Autostellplätze. | |
Die Architektenträume stimmten offenbar mit den Vorgaben aus dem | |
Bebauungsplan IV 2a – wie das Gelände in Amtsdeutsch heißt – überein. UB… | |
Objekt stellte 2015 drei Bauanträge, allen stimmte das Bezirksamt 2016 zu. | |
„Das war ein herber Schock für uns“, berichtet Doreen Bialas, die sich | |
bereits Anfang 2013 zusammen mit Filip Stahl initiativ an die | |
Bezirkspolitik gewandt hatten. Sie wollten die Fläche zumindest in der | |
Zwischenzeit für Stadtteilprojekte öffnen. Der Kontakt zu den Eigentümern | |
sei jedoch nicht möglich gewesen – selbst auf die Einladung des damaligen | |
Entwicklungsstadtrates Jens-Holger Kirchner (Grüne) hätten diese nicht | |
reagiert. | |
„Als dann die Bauanträge vorlagen, haben wir die Bürgerinitiative | |
‚Nichtnochncenter‘ gegründet, damals noch mit acht Leuten“, sagt Stahl. … | |
war Anfang 2016. Heute sind sie 30 Aktive mit fast 300 Personen im | |
Emailverteiler. In monatelanger Kleinarbeit haben sie Informationen | |
zusammengetragen und auf ihrer Website gesammelt. | |
Sie wollen das Zentrum nicht aus Prinzip verhindern, das ist ihnen wichtig. | |
Vielmehr müsse man über eine Anpassung der Bebauungspläne nachdenken. | |
„Handel lohnt sich hier an der Stelle nicht mehr. Wir brauchen nicht noch | |
ein Einkaufszentrum in Berlin“, meint Filip Stahl. Eine Grünfläche und | |
offen gestaltetes Gelände würden dem Viertel mehr Lebensqualität geben – | |
ein Einkaufszentrum hingegen mehr Verdichtung und Verkehrsbelastung. | |
„Man könnte die Attraktivität solcher Großcenter generell kritisch | |
hinterfragen“, meint auch Karl Brenke vom Deutschen Institut für | |
Wirtschaftsforschung in Berlin. Es gebe zwar einen Bevölkerungszuwachs in | |
der Stadt, dieser wirke sich aber nicht auf die Kaufkraft aus. Auch bei | |
guter Konjunktur stagniere der Umsatz im Einzelhandel deshalb. „Eine bloße | |
Ausweitung der Verkaufsfläche ist da vielleicht die falsche Maßnahme“, so | |
der Wirtschaftsforscher. | |
Da sich die rund 60 Berliner Einkaufscenter kaum unterschieden, würden | |
viele Kund*innen auf den Onlinemarkt oder das Fachgeschäft in der | |
Nachbarstraße ausweichen. Und Tourist*innen, die die großen Malls in der | |
Stadtmitte maßgeblich über Wasser halten, gibt es in den Wohnbezirken | |
weniger. Warum der Eigentümer dennoch an den Plänen für das Einkaufszentrum | |
festhält, bleibt unklar. | |
Anfang des Jahres brachte die Initiative „Nichtnochncenter“ dann über | |
Bezirksverordnete der SPD und Linken einen Antrag in die | |
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) ein, in dem sie die Überarbeitung der | |
Bebauungspläne forderte, da mittlerweile „veränderte Rahmenbedingungen und | |
aktuelle Bedarfe an sozialer und schulischer Infrastruktur“ vorhanden sein | |
könnten. | |
Gemeint ist damit auch die Unterversorgung an Kitas und Grundschulen im | |
Bezirk, wodurch viele Schüler*innen mit der S-Bahn in andere Bezirke | |
pendeln würden. Der Antrag forderte außerdem, dass der Eigentümer die | |
denkmalgeschützten Hallen instandhalten solle und eine Öffnung der | |
Otto-Ostrowski-Straße zur Landsberger Allee vermieden wird. | |
Am 25. Januar wurde der Antrag in der BVV angenommen, nachdem er vorher im | |
Stadtentwicklungsausschuss beraten wurde. Selbst die sonst wirtschaftsnahe | |
FDP votierte nicht explizit gegen diesen. „Man müsste das nochmal | |
überprüfen, aber ein Einkaufszentrum halten wir nicht für sinnvoll – ein | |
Kongresszentrum hingegen schon“, sagt dazu Sophie Regel von der FDP Pankow. | |
## Ball beim Bezirksamt | |
Der Beschluss der BVV ist ein Arbeitsauftrag an das Bezirksamt, sich für | |
die Überprüfung der Bebauungspläne bei der Senatsverwaltung für Wohnen | |
einzusetzen. Wie genau das passieren soll, bleibt dabei offen. Nach Angaben | |
der Senatsverwaltung sei bisher noch niemand von Seiten des Bezirksamtes | |
auf sie zugekommen, womit der Beschluss faktisch ohne Folgen ist. | |
Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) dazu: „Das Bezirksamt Pankow wird in | |
Kürze die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen von dem | |
BVV-Ersuchen in Kenntnis setzen und um Stellungnahme bitten.“ Das | |
Bezirksamt plane, den Antrag der BVV in der Sitzung am 17. Mai zu | |
beantworten. | |
Mike Szidat, der für die SPD in der BVV und im Stadtentwicklungsausschuss | |
sitzt, ist pessimistisch: „Bis zum Auslaufen der Baugenehmigung können wir | |
sowieso nicht eingreifen.“ Der Eigentümer habe gewisse Schutzrechte, die | |
auch die Senatsverwaltung nicht angreifen kann. Erst wenn das bestehende | |
Baurecht sieben Jahre nicht in Anspruch genommen wurde, könnte das | |
Bezirksamt in Erwägung ziehen, die Grundstücke zurückzukaufen. Das wäre | |
frühestens 2019. „Auch wenn die Einflussmöglichkeiten nicht groß sind, ein | |
politisches Statement ist der Beschluss trotzdem“, meint Szidat. | |
Kritiker*innen aus der Initiative äußern, dass die Baugenehmigung nur | |
eingeholt wurde, um den Investitionswert des Geländes zu steigern – ein Bau | |
also gar nicht geplant sei. Grundstücke mit bestehender Baugenehmigung sind | |
am Markt um ein vielfaches mehr wert – das Gelände könnte somit zum reinen | |
Spekulationsobjekt werden. Gegenüber der taz war keine der beteiligten | |
Immobiliengesellschaften bereit, über die geplanten Baumaßnahmen oder den | |
Stand der Finanzierung zu informieren. Die Senatsverwaltung für Wohnen gehe | |
davon aus, „dass UBX vertragskonform in diesem Jahr mit dem Bau beginnen | |
wird.“ Offenbar wartet man hier auf die anrollenden Bagger. | |
Sollten die tatsächlich bald kommen, wären die Anstrengungen der | |
Bürgerinitiative schlagartig Geschichte. Denn das hieße, dass die | |
Finanzierung der Baumaßnahmen durch den Eigentümer offensichtlich gesichert | |
wäre, dieser womöglich sogar schon in Vorleistung getreten ist. Würde die | |
Stadt dann trotzdem eingreifen, könnten die Investoren auf Schadensersatz | |
klagen – ein Risiko, das die Senatsverwaltung nicht eingehen wird. | |
Zieht sich der Baubeginn jedoch weiter hin und das Bezirksamt drängt | |
zeitnah auf eine Überprüfung der Bebauungspläne, bleiben zwei | |
Möglichkeiten: Entweder die Senatsverwaltung weist eine Überprüfung des | |
Bebauungsplans direkt ab – auch dann haben die Eigentümer freies Spiel. | |
Oder sie stimmt einer erneuten Überprüfung der Pläne zu. Kommt bei dieser | |
Überprüfung heraus, dass die Pläne nicht mehr den aktuellen Umständen | |
gerecht werden, kann ein Änderungsverfahren eingeleitet werden – und dann | |
ist wieder alles offen. Eine kleine Chance, aber immerhin eine. | |
„Die BVV Pankow hat sich gegen das Vorhaben entschieden, nun ist es auch | |
Aufgabe der Koalition, diese Belange zu berücksichtigen“, fordert Filip | |
Stahl. Die Bürgerinitiative hofft nun auf politischen Druck im | |
Abgeordnetenhaus: „Das bewirkt auf jeden Fall mehr, als | |
Hinterzimmerbürokratie.“ | |
28 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Fabian Franke | |
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