| # taz.de -- Filmfestival Prenzlauerberginale: Kino Macchiato | |
| > Die Prenzlauerberginale zeigt Filme, die sich mit dem vielleicht meist | |
| > diskutierten und meist gehassten Kiez der Stadt beschäftigen. Dabei geht | |
| > es um das Jetzt und die Vergangenheit. | |
| Bild: Heute alles schick: im Prenzlauer Berg. | |
| Die Berlinale ist vorbei, und wem der Switch in die Wirklichkeit nicht ganz | |
| leicht fallen sollte, der kann am heutigen wie den drei kommenden | |
| Dienstagen einfach weiter machen: auf der dritten Prenzlauerberginale im | |
| Kino Babylon, auf der neun Filme und vier Videoclips zu besichtigen sind, | |
| inklusive zahlreicher Gäste, die anschließend über die Filme sprechen | |
| werden. Es geht dabei um Filme, die in Prenzlauer Berg spielen, die sich | |
| vielleicht sogar mit Prenzlauer Berg als ganz besonderes Pflaster befassen. | |
| „Berlin, Ecke Schönhauser“, „Sommer vorm Balkon“, „Oh Boy“: Fast j… | |
| fallen sofort zwei oder drei Kassenschlager ein, die in Prenzlauer Berg | |
| spielen, dem vielleicht meistdiskutierten und meistgehassten Kiez dieser | |
| Stadt. | |
| Von den Filmen aber, die auf der Prenzlauerberginale zu sehen sind, hat man | |
| bislang eher weniger gehört. Seit drei Jahren sucht der Historiker Stephan | |
| Müller, der das kleine Festival in Zusammenarbeit mit dem Kino Babylon | |
| Mitte kuratiert hat, immer weiter nach interessanten, ja überraschenden | |
| Beiträgen. „Ich interessiere mich einfach für Lokalgeschichte“, sagt der | |
| 1972 im Ruhrgebiet geborene Fan dieses Viertels, der selbst seit 21 Jahren | |
| in Prenzlauer Berg wohnt. | |
| Bis vor kurzem arbeitete er im Museum Pankow in der Prenzlauer Allee, wo | |
| auch die erste Prenzlauerberginale statt fand. Dort rechnet man allerdings | |
| üblicherweise an Filmabenden mit 20, 30 Besuchern. Bei der | |
| Prenzlauerberginale kamen an manchen Abenden eher mehr als 200, berichtet | |
| Stephan Müller. Der Umzug in ein Kino war also zwingend. | |
| ## „Filme für Nostalgiker“ | |
| Was aber sind das für Filme, die auf so viel Gehör stoßen, die Stephan | |
| Müller immer wieder ausgebuddelt hat? „Filme für Nostalgiker, die längst | |
| nicht mehr hier wohnen“, gibt Müller zu. In einem Bezirk, wo vor der Wende | |
| auch alte Leute, Studenten und Arbeiter lebten, wo dann binnen wenigen | |
| Jahren 90 Prozent der Menschen weg zogen, darf das auch erlaubt sein. | |
| Aber bei manchen Filmen geht es nicht nur um die Sehnsucht nach der | |
| Vergangenheit, manche fördern auch Überraschungen zutage: Zum Beispiel „Die | |
| Kollwitz und ihre Kinder“, ein Kurzfilm von Christa Mühle aus dem Jahr | |
| 1971, der sich mit dem Denkmal der Malerin auf dem Kollwitzplatz | |
| auseinandersetzt. Damals wie heute kletterten und klettern auf dem breiten, | |
| dicken Ding sehr gern Kinder herum. Damals wie heute beschweren sich | |
| Menschen darüber. | |
| Nur einen Unterschied gibt es: Vor knapp 50 Jahren sind es Bürger der DDR, | |
| die da in die Kamera sprechen – und sich offenbar aus Respekt vorm Filmteam | |
| ordnungsliebender inszenieren als sie es vermutlich im Privaten tun würden. | |
| Fände man heute Menschen, die sich wegen der Kinder genervt zeigten, würde | |
| die Kritik wahrscheinlich in eine andere Richtung gehen. Sie würde sich | |
| eher gegen die Mütter richten, die berühmten Mütter vom Kollwitzplatz, | |
| denen man gern Rücksichtslosigkeit nach außen und Inkonsequenz nach innen | |
| unterstellt – das Schlagwort lautet Wohlstandsvernachlässigung. | |
| Die Filme, die am heutigen Dienstag zu sehen sind, zeigen die Schönhauser | |
| Allee, wie sie sich heute zeigt – und wie vor 35 Jahren. Der fiktive | |
| Kurzfilm „Obst und Gemüse“ stammt von Duc Ngo Ngoc, einem Absolventen der | |
| Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Er hat als Drehort den Obst- und | |
| Gemüseladen seiner Eltern in der Schönhauser Allee gewählt, die einst als | |
| Vertragsarbeiter in die DDR gekommen sind. | |
| ## Scheitern der großen Träume | |
| „Obst und Gemüse“ erzählt vom Scheitern der großen Träume dieser | |
| Generation, und von den schwierigen Emanzipationsversuchen ihrer Kinder, | |
| die in Deutschland groß geworden sind und natürlich ihre eigenen Träume | |
| haben. Der Film erzählt aber auch von einem „Ureinwohner“ der Schönhauser | |
| Allee, der gar keine Träume mehr träumen kann – und mehr schlecht als recht | |
| vom Besitzer des Ladens durchgefüttert wird. Die Reaktionen der | |
| wohlgekleideten Passanten auf den betrunkenen Harry, der die Schönhauser | |
| singend hoch schwankt, werden nur sehr kurz eingeblendet. Und doch sprechen | |
| die pikierten Gesichter Bände. | |
| Schauspieler Jaecki Schwarz – bekannt etwa aus dem „Polizeiruf 110“ – f… | |
| durch die Fernsehsendung „Links und rechts der Schönhauser“, den Hauptfilm | |
| am heutigen Dienstag. Er zeigt die Schönhauser Allee als Kudamm des Ostens, | |
| der er einmal war, als gehobene Amüsiermeile, an der es weder an | |
| Gaststätten noch an Einkaufsmöglichkeiten mangelte: Überall die einladenden | |
| roten Kunstledergartenstühle mit den weißen Schnörkeln vor den Eisdielen, | |
| schicke Damen in kurzen Röcken, sogar Schallplattenläden. | |
| Im Grunde, denkt man also nach diesem Film, ist die Straße mit ihren immer | |
| teurer werdenden Boutiquen und Cafés heute nur wieder da angelangt, wo sie | |
| schon einmal war. Das heruntergerockte, provisorische Dazwischen, bei dem | |
| es nach der Wende zwanzig Jahre lang um mehr als nur ums Einkaufen ging, | |
| war offenbar nur eine temporäre Durststrecke. | |
| 27 Feb 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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