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# taz.de -- Fake News im Internet: „Es reicht nicht, zu dementieren“
> Im Internet können alle Nachrichten verbreiten. Falschmeldungen sind
> keine Seltenheit. Hoaxmap ist ihnen auf der Spur.
Bild: Bemüht um Richtigkeit: Hoaxmap dokumentiert Fake News im Netz
Karolin Schwarz kämpft gegen Falschmeldungen, die in Medien und sozialen
Netzen kursieren. Seit 2016 betreibt die 31-Jährige mit ihrem Kollegen Lutz
Helm die Internetseite hoaxmap.org. Dort greifen sie Gerüchte über
Geflüchtete auf und widerlegen sie mit seriösen Zeitungsartikeln und Fakten
auf einer interaktiven Deutschlandkarte.
taz: Frau Schwarz, was treibt Sie an?
Dass über [1][erfundene Meldungen im Netz] Stimmung gemacht wird. Das ist
eines der Werkzeuge, um die Diskussionskultur im Netz zu vergiften.
Und Sie wollen ein Gegengift sein. Wie machen Sie das?
Sehr viele Menschen melden uns Fälle auf Twitter oder per Mail. Außerdem
suchen wir im Internet. Dann arbeiten wir diese Liste ab, aber wir haben
lange nicht alles auf der Deutschlandkarte aufgenommen. Beim Widerlegen
beziehen wir uns besonders auf lokale Medien, denn die Glaubwürdigkeit ist
höher: Sie haben Leute vor Ort, kennen die lokalen Kontexte.
Wir achten dabei auf die Original-Story und darauf, wer zu Wort kommt, etwa
Polizei oder Betroffene. Und die Falschmeldung muss klar widerlegt sein.
Wir wollen ja nicht das nächste Gerücht verbreiten. Wir haben eine lange
Liste von Fällen, die es nicht auf unsere Seite geschafft haben, weil nicht
richtig klar war, was wirklich passiert ist.
Wie aktuell können Sie dabei veröffentlichen?
Es ist nicht unser Ziel, zeitnah wirklich alles auf der Karte zu haben:
Dinge entwickeln sich oft erst noch. Und wir haben nicht die Kapazitäten
dafür. [2][Wir entschleunigen definitiv.]
Welche Daten erheben Sie dabei?
Zum Beispiel Datum, Ort und Verbreitungsweg. Besonders wichtig ist die
Kategorie der Gerüchte. Man kann sehen, dass sie in drei große Kategorien
fallen. An erster Stelle stehen Diebstähle und Raub. Dann kommen Gerüchte
über sexualisierte Gewalt, vor allem Vergewaltigungen.
Am drittstärksten sind Geld- und Sachleistungen. Es gibt also viele
Gerüchte über Bordellgutscheine und Smartphones, wenige über Mord und
Totschlag.
Wie hat sich das verändert, seit Sie die Hoaxmap begonnen haben?
[3][Mit den Geflüchteten kamen auch die Gerüchte über sie]. Mitte 2015 ging
die Zahl der Falschmeldungen enorm nach oben, bis zum Höhepunkt im Januar
2016 nach Köln. Mit der Schließung der Balkanroute sind die Gerüchte erst
mal extrem eingebrochen. Aber es gibt immer mal wieder Uralt-Gerüchte, wie
die Umbenennung des Weihnachtsmarktes aus Rücksicht auf muslimische
Gefühle. Das ist ein Evergreen.
Insgesamt werden jetzt aber weniger Gerüchte über konkrete Straftaten
erfunden, sondern mehr auf der Metaebene: dass es etwa eine politische
Strategie gebe, Millionen von Afrikanern zu holen.
Wie entstehen Falschmeldungen?
Viele Fälle auf unserer Karte haben Falschanzeigen als Grundlage. Es werden
Straftaten über Asylsuchende oder „Südländer“ erfunden, dann geht man da…
zur Polizei. Teilweise um etwas zu vertuschen, teilweise wahrscheinlich aus
Boshaftigkeit. Ich glaube, nicht alle dieser Falschanzeigen sind
rassistisch motiviert, aber sie werden ausnahmslos rassistisch
instrumentalisiert.
Wenn die Polizei dann eine Pressemitteilung dazu rausgibt – mit der
Tatsachenbehauptung – dann hat das eine viel höhere Glaubwürdigkeit als
irgendein Facebook-Post von Hans von nebenan.
Und die Medien greifen die Mitteilungen dann ungeprüft auf?
Viele schreiben die Polizeiberichte einfach nur um. So kommt es zu vielen
Tatsachenbehauptungen. Außerdem gibt es selten Updates der Artikel, wenn
sich die Geschichte im nächsten Schritt um 180 Grad wendet oder widerlegt
wird. Oft werden die ursprünglichen Artikel in sozialen Netzwerken dann
noch immer als Tatsachenbehauptung weitergetragen, obwohl es schon neue
Entwicklungen gibt. Damit muss man einfach besser umgehen! Gerade bei den
lokalen Medien, die eine große Verantwortung haben.
Eine Theorie besagt, dass man Fake News stärker glaubt, je öfter sie
widerlegt werden.
Ja, wenn man dabei das Gerücht wiederholt, um zu sagen, dass es falsch ist.
Wir versuchen deswegen ganz klar zu sagen: „XY hat ein Gerücht über
irgendwas erfunden“. Also ein bisschen abseits vom konkreten Gerücht zu
schreiben, mehr zum Urheber hin. Aber es ist sehr schwierig, da noch
journalistisch zu arbeiten, denn letztendlich musst du aufgreifen, was
verbreitet wurde.
Gibt es eine andere Möglichkeit, Gerüchte gut zu widerlegen?
Es ist gut, wenn betroffene Institutionen schnell widersprechen. Aber auch
die wiederholen ja eigentlich das Gerücht. Von einem Supermarkt hieß es,
dass er schließen müsse, weil Asylsuchende klauen würden. Der Chef hat vor
dem Laden ein Schild aufgestellt und auf Facebook gepostet hat, dass das
falsch ist. Das hat sich viel mehr verbreitet als die Falschmeldung, obwohl
auch er das Originalgerücht aufgreift!
Wichtig ist, dass ein Bewusstsein bei den betroffenen Institutionen
geschaffen wird. Es gab jetzt auch ein Gerücht zu C&A, das 1000-fach
geteilt wurde. Es heißt, in München würden Asylsuchende sich dort neu
einkleiden, ihre alten Klamotten liegenlassen und dann einfach
rausspazieren. Ich habe mal nachgefragt, wie C&A das in ihre
Öffentlichkeitsarbeit einbezieht: Sie antworten auf Presseanfragen und
dementieren, aber offensiv gehen sie damit nicht um.
Sie werden keine öffentliche Mitteilung rausgeben oder einen Facebook-Post
absetzen, in dem sie dem Gerücht vehement widersprechen. Das reicht nicht
aus!
Warum gehen Institutionen nicht offensiv mit Falschmeldungen um?
Bei vielen Behörden bin ich mir relativ sicher, dass sie es noch nicht
verstanden haben. Bei Unternehmen ist das unterschiedlich. In diesem Fall
will man – glaube ich – kein Fass aufmachen. Wenn sie jetzt einen
Facebook-Post absetzen, wird der vermutlich hundertfach kommentiert und ein
Social Media Team muss sich ransetzen und das überwachen. Das ist Aufwand!
Viele der Gerüchte haben eine enorme Reichweite. Kann die Hoaxmap da
mithalten?
Dazu sind wir zu entschleunigt. Wir können das nur sammeln, aggregieren und
zeigen, dass es ein Phänomen ist und mehr als nur Einzelfälle. Wir bieten
ein Nachschlagewerk für Menschen, die mit Uralt-Gerüchten konfrontiert
sind. Die Blase der Überzeugten, die sich eine alternative Realität
geschaffen haben, erreichst du einfach nicht. Aber es gibt viel mehr
Menschen, die verunsichert sind und nicht wissen, was sie glauben sollen.
Für die bieten wir eine Anlaufstelle. Ich bin froh über jeden einzelnen
Menschen, der am Gartenzaun mit dem Nachbarn diskutiert und dabei etwas in
der Hand hat.
Und was ist mit negativen Rückmeldungen?
Da kommen die unterschiedlichsten Sachen an. Oft Vermutungen darüber, dass
wir von irgendjemandem gesteuert oder finanziert werden. Vom BAMF, der
Nato, den Juden: alles, was man sich da so vorstellen kann, sogar von
Merkel persönlich.
Werden Sie denn finanziert?
Nein, eine Seite zu betreiben, das kostet ja fast nichts. Und die Arbeit an
der Hoaxmap ist ehrenamtlich. Manche werfen uns auch vor, wir würden
verheimlichen, dass Geflüchtete Straftaten begehen, was auch Quatsch ist.
Das haben wir nie behauptet und das wäre auch wirklich doof. Das Ziel ist
doch, die Dynamik hinter den gezielten Falschmeldungen und ihrer
Verbreitung offenzulegen. Zeigen, dass damit Politik gemacht wird, dass
damit das Klima im Internet vergiftet wird.
Viele Aktivisten gegen rechts werden momentan stark bedroht. Welche
Erfahrungen machen Sie?
Es gibt Leute, die mir Vergewaltigungen wünschen. Auch Männer, die mir das
androhen. Menschen, die meinen, uns sollte man auflauern und verprügeln.
Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Manche unterschreiben
sogar sehr prominent mit Doktortiteln. Aber bestimmt 90 Prozent von ihnen
sind männlich. Es war absehbar, dass so etwas passiert. Es ist in dem
Themenkomplex schon vorprogrammiert. Das alles ist nervig und nimmt einen
mit, aber es geht inzwischen in den Alltag über.
26 May 2017
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## AUTOREN
Johannes Drosdowski
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