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# taz.de -- Shahak Shapira über Holocaust-Gedenken: „Sehen, wie schief es ge…
> Der israelische Satiriker montierte Selfies vom Holocaust-Mahnmal in
> Bilder aus Vernichtungslagern. Er erzählt, was das sollte und wie die
> Reaktionen dazu ausfielen.
Bild: Übers Gedenken nachdenken
taz: Herr Shapira, was ist falsch daran, Selfies am Holocaust-Mahnmal zu
machen?
Shahak Shapira: An normalen Selfies ist nichts falsch. Aber das Mahnmal
gedenkt der Ermordung von sechs Millionen Menschen. Ab einem gewissen Punkt
finden viele Menschen deshalb manches unpassend: darauf Yoga zu machen,
Bälle zu jonglieren …
Ist denn ein Selfie oder posendes Bild vor einem Mahnmal das Gleiche wie
ein Bild vor einem Haufen Leichen in einem Vernichtungslager?
Wonach sieht das Mahnmal für Sie aus?
Nach Grabmälern?
Die meisten Menschen würden das damit assoziieren, es ist angelehnt an
einen jüdischen Friedhof. Ob das Absicht war, weiß Peter Eisenman am
besten, er hat es entworfen. Mich erinnert es auch an den Ölberg in
Jerusalem. Aber ich setze es nicht gleich. Ich sage: Es könnte für manche
Menschen so aussehen. Natürlich ist das eine Übertreibung. Satire ist immer
eine Übertreibung. Von daher: Nein, über Stelen zu springen, ist nicht das
Gleiche wie über Leichen zu springen. Es ist eine Übertreibung.
Vielleicht nehmen manche Besucher das Mahnmal einfach als architektonisch
spannenden Ort wahr?
Die wissen alle ganz genau, was das für ein Ort ist, weil sie alle auf
Instagram oder Facebook einchecken und dort auch angezeigt wird: Holocaust
Memorial. Dass sie vielleicht nicht die Schwere dieses Ortes begreifen, ist
eine andere Sache.
[1][Peter Eisenman sagte, es sei für ihn okay, wenn dort auch Kinder
spielen] und Leute grillen. [2][Das Mahnmal solle kein heiliger Ort sein.]
Er sagt das, und das ist auch völlig legitim – aber es gibt Regeln dort. Du
darfst eben nicht grillen, du darfst nicht über die Steine springen,
Wachpersonal achtet darauf. Es gibt offensichtlich einen Widerspruch
zwischen Eisenmans Vorstellung und der Vorstellung der Menschen und den
Regeln an diesem Ort.
Wie sollte man ein Verbot bestimmter Sachen durchsetzen, soll da noch mehr
Wachschutz hin?
Das weiß ich nicht, das müssen die Wachleute selbst sagen, ob sie Hilfe
brauchen. Mein Interesse war, dass die Menschen, die da hingehen, sich
damit beschäftigen, dass sie sich Gedanken machen. Ich will Änderungen
nicht erzwingen, sondern, dass sie von alleine kommen. Du musst den Leuten
einen Denkanstoß geben – dann kommen sie darauf, dass manche Dinge dort
auch unpassend sein könnten.
Also ist das Mahnmal zu abstrakt?
Die Bedeutung des Mahnmals tritt in den Hintergrund. Es hat sich so
normalisiert, dass die Menschen sich gar nicht mehr damit beschäftigen,
wofür dieses Mahnmal da ist. Und wovor es warnen soll.
Hat es seinen Sinn verfehlt?
Was sollen wir tun, es abreißen? Ich habe da keine fertige Meinung. Das
Mahnmal zeigt, was für einen Bezug die Leute, vor allem junge Menschen, zum
Holocaust haben. Respektlose Selfies gibt es auch in Vernichtungslagern wie
Auschwitz. Ich finde Erinnerungskultur wichtig, was soll ich gegen Mahnmale
haben? Es gibt diese Debatte gerade ja auch nur, weil es das Mahnmal gibt.
Es liegt ein bisschen an den Deutschen. Das Mahnmal kann nicht die ganze
Arbeit machen. Das müssen sie auch selber machen.
Stimmt etwas mit der deutschen Gedenkkultur nicht, wenn die Leute sich an
solchen Orten danebenbenehmen?
Das werde ich oft gefragt. Ich will die Erinnerungskultur nicht schlecht
machen oder abtun. Sie ist wichtig, sie ist gut, sie ist nicht perfekt. Sie
wird niemals perfekt sein: Es wird immer Leute wie Bernd Höcke geben, die
das als Schande bezeichnen, die selbst eine Schande sind. Es wird immer
Menschen geben, die wenig Lust haben, sich damit zu beschäftigen, weil es
ein unangenehmes Thema ist. Der Holocaust war drastisch, so muss er auch
behandelt werden.
Davon erzählt auch Ihr Buch „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!“…
Ein großer Teil handelt vom Holocaust, von meinem Großvater. Ich zeige
Bilder, und es ist nicht bequem. Es ist nicht nett, gerade wenn ich den
Leuten vorher eine Stunde Witze erzählt habe. Aber es muss sein. Du musst
den Menschen zeigen, was passiert ist. Die Nazis sagten ihren Opfern:
„Niemand wird sich an euch erinnern. Niemand bekommt mit, was hier
passiert.“ Deswegen müssen wir es zeigen und sehen. Es ist unvorstellbar,
wie viele Leute da umgebracht wurden. Ich habe viele Bilder aus
Vernichtungslagern für mein Projekt gesichtet. Da sind Berge von Leichen
drauf. Du denkst, es sind vom Computer generierte Bilder, du kennst es
nicht mal aus Filmen. Und es ist wichtig, dass Menschen sehen, wie schief
es gehen kann. Wie eine halbe Welt so etwas machen kann.
Kürzlich sprach Björn Höcke, dem Sie einen anderen Vornamen verpassen, vom
„Mahnmal der Schande“, am Tag darauf haben Sie [3][yolocaust.de]
präsentiert. Zufall?
Die Wahrscheinlichkeit, dass Bernd Höcke an einem ganz normalen Dienstag
etwas Dummes zum Nationalsozialismus sagt, ist sehr hoch. Also war es kein
allzu großer Zufall. Aber geplant war es nicht.
Yolocaust.de ging mit 12 Bildern online, mittlerweile sind keine mehr zu
sehen. Warum?
Mich haben die Leute auf den Bildern kontaktiert und gebeten, sie
runterzunehmen. Die meisten haben sich entschuldigt und verstanden, was ich
damit sagen wollte. Sie haben sie zum größten Teil auch von ihren eigenen
Profilen gelöscht. Manche ihrer Reaktionen werde ich noch auf der Website
veröffentlichen.
Woher kamen die Selfie-Bilder?
Von Facebook und Instagram. Es waren öffentliche Bilder, die konnte sich
jeder anschauen. Ich habe Tausende Bilder gesichtet. Da war eines dabei von
einer Frau mit Schwimmflossen und einem Mann im Tütü und mit freiem
Oberkörper. Und ich dachte: Okay, ihr seid jetzt dran. Dann habe ich die
Bildunterschrift gesehen, da stand auf Spanisch: „Man muss Freude selbst an
den traurigsten Orten finden.“ Ich wusste nicht, wie ich dazu stehe, aber
sie haben sich darüber Gedanken gemacht. Sie wussten, wo sie sind und warum
das unpassend sein könnte. Deswegen habe ich sie nicht genommen.
Das erinnert an das Video, das der Auschwitz-Überlebende Adolek Kohn
gedreht hat. [4][Er tanzt mit seinen Enkeln im Vernichtungslager zu „I will
survive“].
Ich fand das großartig! Und es war so dreist, dass Menschen diesem Mann,
der Auschwitz überlebt hat, seinen Humor und seine Art damit umzugehen
absprechen. Das fand ich richtig krass. Niemandem schadet das. Auch das,
was ich mache, ist nur eine Empfehlung.
Den Namen „Yolocaust“ könnte man ähnlich lesen: You only live once,
zelebrier das Leben, gerade angesichts des Massenmordes.
Die Leute sollen sich austoben? Aber das können sie überall anders auch.
Auf einem Friedhof tanzt du ja auch nicht oder denkst, du musst deine
Lebendigkeit zeigen.
Wie waren die Reaktionen auf yolocaust.de?
Ich habe viele Reaktionen bekommen. Lehrer haben mich gefragt, ob sie die
Bilder im Unterricht verwenden dürfen. Es gab E-Mails von Nachkommen von
Holocaust-Überlebenden. Sie fanden es sehr wichtig, dass man dieses Mahnmal
ernst nimmt. Es gab Reaktionen aus der israelischen Holocaust-Gedenkstädte
in Jerusalem, Yad Vashem, von Leuten, die am Mahnmal gearbeitet haben,
Touristenführern, Juden aus aller Welt, überhaupt Menschen aus aller Welt …
Auch von Nazis?
Nichts, was ich nicht auch sonst täglich bekommen würde. Dann gab es
natürlich Leute, die sagen: „Ey, mach das doch mit Palästina, weil ihr
zionistischen Kindermörder auch den Holocaust in Israel macht! Oder mit den
Indianern!“ – also billiges Whataboutism. Aber auch das kommt oft. Unter
fast jedem Beitrag, den ich auf Facebook poste, schreibt irgendein Schmock:
„Wie stehst du zu Siedlungen?“ Obwohl jeder, der auf meiner Timeline
runterscrollt, sehen kann, wie ich zu Siedlungen stehe, und dass das nichts
mit dem Thema zu tun hat. Es ist grenzwertig: Ich kann nichts kritisieren,
Stellung zu was beziehen, ohne dass ich mich für israelische Politik
rechtfertigen muss. Dabei ignoriere ich sie nicht! Das ist nervig. Das wird
wahrscheinlich immer so sein.
27 Jan 2017
## LINKS
[1] http://www.morgenpost.de/berlin/article104142463/Warum-man-am-Holocaust-Mah…
[2] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/interview-mit-mahnmal-architekt-p…
[3] http://yolocaust.de/
[4] https://www.youtube.com/watch?v=cFzNBzKTS4I
## AUTOREN
Malte Göbel
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