# taz.de -- Mahnmal für Opfer von Nazi-Schergen: Der Waldkircher Hitler | |
> Nach 30 Jahren Diskussion wurde im südbadischen Waldkirch ein Mahnmal | |
> gebaut. Die Initiative ging von den Bürgern aus. | |
Bild: Die Wende in der öffentlichen Meinung in Waldkirch sei gelungen, sagt ei… | |
Waldkirch taz | Nach Günzburg, dem Heimatort des KZ-Arztes Josef Mengele, | |
gedenkt als zweite Stadt in Deutschland das südbadische Waldkirch mit einem | |
Mahnmal der NS-Gräueltaten eines ihrer Bürger. Fünf Basalt-Stehlen sollen | |
an die 138.000 Menschen erinnern, die dem SS-Standartenführer Karl Jäger ab | |
1941 zum Opfer gefallen sind. Das Denkmal wird anlässlich des Gedenktags | |
der Opfer des Nationalsozialismus am kommenden Sonntag enthüllt. | |
Der Zeitpunkt könnte kaum besser gewählt sein. Nicht nur wegen des | |
Gedenktags – mehr noch, weil AfD-Mann Björn Höcke gerade eine | |
„erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hat und seine | |
Parteifreunde im Stuttgarter Landtag Taten folgen ließen. In der | |
vergangenen Woche forderten sie, die Förderung des Landes für die | |
Gedenkstätte im französischen Gurs im neuen Haushalt zu streichen. Jenem KZ | |
also, in das während der NS-Zeit viele der Juden aus Südwestdeutschland | |
deportiert wurden. | |
Der Fall Jäger ist noch dazu ein herausragender. Dessen Bericht aus dem | |
besetzen Litauen an die SS-Führung listet die 137.346 Juden akribisch auf, | |
die unter seinem Kommando ermordet wurden. Der „Jägerbericht“ gilt unter | |
Historikern als Schlüsseldokument der Judenvernichtung des Naziregimes. | |
Als Sohn des Leiters der örtlichen Blaskapelle wird Jäger von alten Bürgern | |
der Stadt dagegen als „kunstsinnig und stets korrekt“ beschrieben. Dabei | |
trat er schon in den 20er Jahren in die NSDAP ein, baute eine eigene | |
SS-Truppe in Waldkirch auf. In der Region nannten sie ihn den Waldkircher | |
Hitler. Dann machte er Karriere im Reichssicherheitshauptamt in Berlin. | |
1941 wurde er als Polizeichef nach Kaunas in Litauen geschickt. Dort begann | |
er sein mörderisches Werk. | |
Historiker sehen Litauen heute als Versuchsfeld der Nazis für die | |
Judenvernichtung im Osten an, die erst 1942 auf der Wannseekonferenz | |
generalstabsmäßig organisiert wird. Nach dem Krieg kann Jäger unter seinem | |
Namen noch 14 Jahre in der Nähe von Heidelberg leben, bevor ihn die | |
US-Armee festnimmt. Seine Vernehmung ist ein Dokument fehlender Reue. Noch | |
in Haft begeht er Suizid. | |
Waldkirch hat sich mit dem Umgang ihres Sohnes der Stadt lange schwergetan. | |
Der Historiker Wolfram Wette, der selbst in Waldkirch wohnt, hatte schon | |
1989 auf Jägers Nazi-Taten hingewiesen – und dafür Anfeindungen erhalten. | |
Nach fast 30 Jahren Diskussion ging die Initiative für das Mahnmal dann von | |
Bürgern aus. Einige von ihnen und Schüler des örtlichen Gymnasiums drehten | |
zudem den Dokumentarfilm „Jäger und wir“, der in der Stadt mit großer | |
Zustimmung aufgenommen wurde. Ein Enkel Jägers, der im Ort ein | |
Orgelbau-Unternehmen führt, hat mit einem Interview zu dem Film | |
beigetragen. Nun folgt das Denkmal. Einer der Projektteilnehmer sagt: „Wir | |
haben es geschafft. Die Wende in der öffentlichen Meinung in Waldkirch ist | |
gelungen.“ | |
28 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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