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# taz.de -- Soziologe Didier Eribon in Berlin: Gegen einen linken Populismus
> Warum man nicht zwischen Kämpfen wählen, aber von sozialen Klassen
> sprechen muss: Eribon sorgte in den vergangenen Tagen für volle Säle in
> Berlin.
Bild: Eine Auster macht noch keinen Bourgeois
Über 2.000 Menschen haben in dieser Woche Didier Eribons Veranstaltungen in
Berlin besucht. Mit der Finanzkrise ist der öffentliche Intellektuelle
zurückgekehrt, seitdem sahen wir David Graeber, Thomas Piketty und Paul
Mason in vollen Theatersälen – Kapitalismus- oder Reichtumskritik, da ging
was.
Von Eribon will man nun Konkreteres wissen, seit im Frühjahr sein Buch
„Rückkehr nach Reims“ auf Deutsch erschienen ist, in dem er die Erosion der
Arbeiterklasse und ihrer Bezugssysteme beschreibt. Man will von ihm nicht
weniger wissen als: Wie konnte die Rechte in Europa und den USA so stark
werden, warum hat sie Zulauf aus der Wählerschaft der Linken, was kann man
aus der französischen Situation lernen?
In Frankreich gab es eine starke kommunistische Partei (PCF), aber Bildung,
Medien, Politik sind noch immer zutiefst von einem starren Klassensystem
geprägt, das versteht man in Deutschland kaum. Nur beim Essen ist das
anders. Austern gibt’s tendenziell für alle, aber Austern machen noch
keinen Bourgeois.
## Arbeitslose und Prekäre
Klassensystem also. Davon sprach lange niemand mehr so öffentlich. Eribon
sagt: Seit den 80ern ist die Arbeiterklasse systematisch aus dem Diskurs,
auch dem linken, verdrängt worden – zugunsten des autonomen Individuums. Er
ist kein Marxist. Arbeiterklasse, das sind heute die Arbeitslosen,
Prekären, er fasst darunter auch bestimmte kulturelle Praktiken, die können
mit Geschmack zu tun haben.
Er sagt: Wer von sozialen Klassen nicht spricht, kann auch von Widerstand
nicht sprechen. Was bedeutet das im Zusammenhang mit aktuellen Debatten, in
denen soziale Frage und feministische, LGBTI- und antirassistische Kämpfe
gerne gegeneinander ausgespielt werden?
Der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke sagte er in der Berliner
Schaubühne, jede Bewegung tendiere dazu, ihre Wahrnehmung der Welt
hegemonial zu machen, aber für ihn gebe es keine Hierarchie der Kämpfe:
Warum sollten wir zwischen verschiedenen Kämpfen gegen verschiedene Formen
der Unterdrückung wählen müssen, wenn das, was wir sind, sich an der
Schnittstelle mehrerer Subjektivierungsweisen abspielt?
Vor der Linkspartei, drei Tage später, sprach er vehement gegen jeden
linken Populismus. Podemos und Syriza schrieb er ins Album: Jeder
Populismus öffne nach rechts einen Raum, der nicht mehr kontrollierbar sei.
Wie überhaupt die Partei eine eigentlich paradoxe Angelegenheit sei: Sie
lässt die Mobilisierung andauern, während die Bewegung verschwindet.
## Das Schulsystem ändern
Das alles formuliert er zugewandt und nie moralisierend. Immer wieder kommt
er auf die nötige Reform des Schulsystems zurück. Das könnte neue Brisanz
erlangen: Der nächste Präsident Frankreichs heißt wohl François Fillon. Er
will 500.000 Beamtenstellen streichen. Vor allem in der Bildung.
5 Dec 2016
## AUTOREN
Tania Martini
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