# taz.de -- 15 Jahre Einsatz in Afghanistan: Die Mär von der Frauenbefreiung | |
> Lange nach dem Sturz der Taliban wird die Burka weiter viel verkauft. | |
> Frauen tragen sie auch aus Scham, weil sie arm oder Prostituierte sind. | |
Bild: Sobald die Extremisten entmachtet sind, wird auch die afghanische Frau be… | |
KABUL taz | Als der Westen in Afghanistan einmarschierte, hob er vor allem | |
die Frauenrechte hoch. Laut und deutlich hieß es damals seitens | |
europäischer und amerikanischer Politiker immer wieder, dass die | |
afghanischen Frauen von dem brutalen Regime der Taliban befreit werden | |
müssen. Der Tenor war eindeutig: Sobald die Extremisten entmachtet sind, | |
wird auch die afghanische Frau befreit sein. Fünfzehn Jahre nach dem Sturz | |
der Taliban zeigt sich jedoch ein anderes Bild. | |
Obwohl die Burka, im Afghanischen auch als Tschaderi bekannt, Kabuls | |
Stadtbild bei Weitem nicht mehr so prägt wie zu Talibanzeiten, fehlt in | |
vielerlei Hinsicht von Frauenrechten weiter jede Spur. „Obwohl die Taliban | |
hier nichts mehr zu sagen haben, werden Frauen immer noch massiv | |
benachteiligt und unterdrückt“, meint etwa die 24-jährige Studentin Zora. | |
„Dies hat auch damit zu tun, dass die Kriegsherrn und religiösen Führer, | |
mit denen sich der Westen 2001 verbündet hat, genauso wenig von | |
Frauenrechten halten wie die Taliban.“ | |
Zora trägt einen klassischen Hidschab, also ein schlichtes Kopftuch. Eine | |
Burka würde sie nur ungern in Erwägung ziehen. Außerdem, so merkt sie an, | |
werde der Ganzkörperschleier in Kabul heutzutage in vielen Fällen nur von | |
sehr armen Frauen, Bettlerinnen und Prostituierten getragen. | |
Das berüchtigte Kleidungsstück findet aber weiterhin guten Absatz. „Ich | |
mache damit sehr guten Umsatz. Doch merke ich, dass die meisten meiner | |
Kundinnen Frauen aus den unteren Schichten sind“, sagt der Burkahändler | |
Yusuf auf Kabuls großem Basar. Bei nicht aus Kabul stammenden Frauen sei | |
dies aber nicht der Fall. „Die kommen aus den Provinzen, in denen das | |
Umfeld konservativer ist. Meist herrschen dort auch die Taliban. Da muss | |
sowieso jede Frau – egal, ob arm oder reich – komplett verhüllt sein“, s… | |
der 30-Jährige. | |
Eine etwas andere Meinung vertritt Nawid, der ebenfalls Burkas verkauft: | |
„Ich kann keine sozialen Unterschiede feststellen. Bei mir kauft jede ein.“ | |
Im Schnitt kostet eine Burka umgerechnet 10 bis 15 Euro. Die meisten von | |
ihnen werden in den Großstädten Herat oder Masar-i-Scharif hergestellt. | |
Doch gibt es inzwischen auch zahlreiche Billigexemplare aus China. | |
## Burka aus Scham | |
Samira ist eine jener Frauen, die eine Burka tragen. Die 35-Jährige gehört | |
zu den vielen Bettlerinnen Kabuls. Sie betont, dass sie nur aus Scham ihr | |
Gesicht nicht zeigen möchte. „Ich sehe jeden Tag viele modern gekleidete | |
Frauen. Die meisten Frauen, die eine Burka tragen, sind wie ich. Sie sind | |
arm, betteln und schämen sich“, meint Samira. Auch sei für viele | |
Prostituierte die Burka zu einem Standardkleidungsstück geworden. „Die | |
Armut steigt von Tag zu Tag und mit ihr auch die Anzahl der Burka tragenden | |
Bettlerinnen und Prostituierten“, so Samira. | |
Dass Frauen auch in Städten wie Kabul weiterhin einen geringen Wert haben, | |
wurde im März vergangenen Jahres deutlich. Damals wurde die 27-jährige | |
Farchunda von einem wütenden Männermob im Zentrum Kabuls auf offener Straße | |
massakriert. Farchunda wurde vorgeworfen, ein Exemplar des Korans verbrannt | |
zu haben. Ihre Mörder waren jedoch keine bärtigen Turbanträger, sondern | |
junge, modern angezogene Männer. Viele von ihnen filmten die Schandtat | |
sogar mit ihren Smartphones. | |
Im Nachhinein stellten sich die Vorwürfe gegen Farchunda als falsch heraus. | |
Die junge Frau war vielmehr selbst eine gläubige Muslima gewesen. Doch | |
viele männliche Politiker und andere Würdenträger diffamierten Farchunda | |
weiterhin. Und ihre Mörder wurden nur milde bestraft. | |
„Das wäre nicht passiert, wenn sie ein Mann gewesen wäre“, ist sich die | |
Studentin Zora sicher. „In dieser Gesellschaft gibt es ein Frauenproblem. | |
Das hat im Grunde genommen nur wenig mit den Taliban zu tun, die nur ein | |
paar Jahre lang regiert haben. Frauen wurden hier schon zuvor unterdrückt – | |
und werden es auch weiterhin.“ | |
Kürzlich protestierten mehrere Frauen in Kabul öffentlich gegen das von der | |
Regierung unterzeichnete Friedensabkommen mit dem berüchtigten Kriegsherrn | |
Gulbuddin Hekmatjar. Er gilt als frauenfeindlicher Hardliner, dem | |
zahlreiche Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden. Während andere | |
Kriegsherrn sich im Jahr 2001 den Amerikanern anschlossen, stellte sich | |
Hekmatjar gegen deren militärisches Eingreifen. Bis vor Kurzem wurde er | |
deshalb noch als „Terrorist“ bezeichnet. Nun soll er neben den anderen | |
Warlords in Kabul seinen Platz finden. Für viele afghanische Frauen ist das | |
nur ein weiterer Schlag ins Gesicht. | |
7 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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