# taz.de -- Afghanischer Flüchtling in Berlin: Ein Praktikum in Bürokratie | |
> Seit einem Jahr versucht Ahmadullah Sediqi, in Berlin anzukommen. Er hat | |
> Freunde und eine Wohnung. Doch er überlegt, alles hinzuschmeißen. | |
Bild: Er ist auch Helfer für andere Flüchtlinge in der Hauptstadt: Ahmadhulla… | |
BERLIN taz | Anfangs hat Ahmadullah Sediqi andere oft gefragt, wie ihr | |
Wochenende war. Er hat gelächelt und geduldig zugehört, wenn es um | |
Kneipenabende, Konzertbesuche, Kaffee trinken mit der Oma ging. Fragte man | |
aber zurück, winkte er ab. „Flüchtlingswochenenden sind einsame, sehr | |
einsame Tage“, sagte er. Mit Anfang zwanzig ganz allein in ein neues Land | |
zu kommen – das war nicht einfach. | |
Inzwischen ist er fast ein Jahr in Berlin und hat viel erreicht. Das meiste | |
aus eigenem Antrieb. Er hat sich in Programmiersprachen und | |
Netzwerkadministration weitergebildet, sich ehrenamtlich bei „Moabit hilft“ | |
engagiert und Jugendliche unterrichtet. Seit ein paar Monaten hat er eine | |
eigene Wohnung. Auch Freunde hat er gefunden, die Wochenenden liegen nicht | |
als leere Zeit vor ihm. | |
Trotz allem fühlt er sich unter einem starken Druck. Ende September war er | |
kurz davor, seinen Asylantrag zurückzuziehen und alles hinzuschmeißen. Da | |
hatte die Ausländerbehörde seinen Antrag auf „Erlaubnis zur Ausübung einer | |
Beschäftigung“ zum zweiten Mal abgelehnt. „Ich habe mich bei einer IT-Firma | |
beworben und könnte dort ein Praktikum machen“, sagt Sediqi. „Da suchen sie | |
jemanden, der verschiedene Sprachen spricht, Computerskills hat und selbst | |
schon mal unterrichtet hat, und sie würden mich gern nehmen.“ | |
Das Unternehmen wolle jemanden ausbilden, der dann andere Menschen mit | |
Flucht- oder Migrationshintergrund in das Unternehmen integrieren könne. | |
Sediqi spricht Pashtu, Dari, Farsi und Englisch. Das Praktikum könnte ihn | |
auf eine Festanstellung vorbereiten. Doch die Arbeitsagentur sieht darin | |
keinen Sinn. Grundsätzlich muss sie Asylsuchenden eine Beschäftigung | |
genehmigen. „Das erste Mal haben sie es nicht erlaubt, weil ich zu wenig | |
verdienen würde für die Branche“, sagt er. „Dann haben wir geschrieben, | |
dass es nur ein Praktikum ist, worauf sie meinten, dass ich keine | |
ausreichenden Qualifizierungen nachgewiesen hätte“, sagt Sediqi. | |
## „Sie wollen, dass du aufgibst“ | |
„Ich habe mir selbst etwas aufgebaut. Und was ist die Antwort von der | |
Verwaltung?“, fragt er. Er stoße immer wieder auf Probleme, Papiere gingen | |
verloren oder seien fehlerhaft, Geldzahlungen kämen zu spät. Auf seinen | |
Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die über seinen | |
Asylantrag entscheiden, wartet er seit fast einem Jahr. | |
Eine Bekannte riet ihm davon ab, alles aufzugeben. Regierung und Verwaltung | |
würden mit dem Druck, den sie ausübten, genau das bezwecken. „Sie wollen, | |
dass du aufgibst. Also tue ihnen den Gefallen nicht“, habe sie gesagt, | |
erzählt Sediqi. „Der Gedanke hat mir gefallen.“ Nun will er weiter kämpfe… | |
Afghanistan ist laut BAMF-Statistik eines der Hauptherkunftsländer von | |
Flüchtlingen in Deutschland. In dieser Gruppe ist aber auch die Zahl der | |
sogenannten „anhängigen Erstanträge“, also der Zahl der Asylanträge, die | |
noch nicht bearbeitet werden, am größten. | |
Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, Flüchtlinge aus Afghanistan mit | |
langen Verfahren zu zermürben. Nach ihrer Einschätzung verfügt „die weit | |
überwiegende Mehrheit“ der afghanischen Staatsangehörigen in Deutschland | |
nicht über einen gesicherten Aufenthalt. Viele haben bisher nur eine | |
Aufenthaltsgestattung, und AfghanInnen müssen überdurchschnittlich lange | |
auf ihr Verfahren beim BAMF warten. | |
Dem stand bisher eine noch relativ hohe Schutzquote für Flüchtlinge aus | |
Afghanistan gegenüber, die allerdings nach Informationen von Pro Asyl im | |
ersten Halbjahr 2016 stark gesunken ist: von rund 78 auf rund 48 Prozent. | |
Allein im August wurden über 2.600 Asylanträge abgelehnt. Für Pro Asyl hat | |
sich damit die Entscheidungspraxis des BAMF drastisch gewandelt. Die | |
Anerkennungen gehen deutlich zurück, während die Sicherheitslage in | |
Afghanistan sich nicht verändert, sondern teilweise verschlimmert hat. | |
Gleichzeitig haben es AfghanInnen in Deutschland schwer, Integrationskurse | |
zu bekommen. | |
Sediqi ist vor allem fassungslos, dass er nicht weiterkommt. „Was für eine | |
Bürokratie ist das, dass sie mich das Praktikum nicht machen lassen?“, | |
fragt er. Eine Klage ist die einzige Möglichkeit, gegen den Bescheid | |
vorzugehen. Das will er nun machen. Er fürchtet, dass es teuer wird und am | |
Ende doch nichts bringt. Er möchte es aber zumindest versuchen. | |
7 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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