# taz.de -- Linkspolitiker Lederer vor Wahl in Berlin: „Nicht erotisch, aber … | |
> Klaus Lederer führt die Linke als Spitzenkandidat im Wahlkampf. Er | |
> spricht über Sahra Wagenknecht – und warum Rot-Rot-Grün nicht nur für | |
> Berlin gut wäre. | |
Bild: Wahlziel: Die große Koalition in Berlin ablösen | |
taz: Herr Lederer, was würde Rot-Rot-Grün in Berlin für den Bund bedeuten? | |
Klaus Lederer: Es wäre nicht schlecht, wenn von Berlin das Signal ausgehen | |
könnte, dass schwarz-rote Koalitionen nicht alternativlos sind. Ich glaube | |
ja, dass angesichts der Probleme in Europa Deutschland als | |
wirtschaftsstärkstes Land insbesondere nach dem Brexit in hohem Maße | |
Verantwortung dafür trägt, wie die Weichen in Europa gestellt werden. | |
Was denken Sie, sind SPD und Grüne dazu bereit? | |
Wenn sich die SPD, derzeit in die Rolle des Juniorpartners gedrängt, wieder | |
alternative Spielräume eröffnen will, wenn bei den Grünen der soziale und | |
ökologische Gestaltungsanspruch tatsächlich aufrechterhalten werden soll, | |
müssen alle drei überlegen, was man gemeinsam bewegen kann. | |
Und wie sähe eine rot-rot-grüne Republik aus? | |
Sozialer Zusammenhalt und Demokratisierung sind zentrale Aspekte. Wenn ich | |
mir die Entwicklung der letzten Jahre ansehe, stelle ich fest, dass | |
Wahlenthaltung und Politikverdrossenheit einen klaren sozialen | |
Klassencharakter haben. | |
Wenn Sie heute für sozialen Zusammenhalt kämpfen – wer glaubt Ihnen? Den | |
hat die Linkspartei auch 2001 gefordert und dann als Senatspartei | |
zugestimmt, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften verkauft wurden. | |
Es wurde damals eine einzige Wohnungsbaugesellschaft verkauft, die GSW. | |
Die größte. | |
Angesichts des damals enormen Haushaltsdefizits und einer erfolgreichen | |
Verfassungsklage der CDU, der FDP und der Grünen gegen den Haushalt wäre | |
die Alternative gewesen, die soziale Infrastruktur komplett plattzumachen. | |
Die Opposition hat damals noch viel radikalere Wohnraumprivatisierung | |
gefordert und Teile der SPD waren durchaus bereit dazu. Dennoch war der | |
Verkauf ein Fehler, das räumt bei uns jeder ein. | |
Die Linke war nicht in der Lage, einen strategischen Konflikt mit Wowereit | |
und der SPD zu riskieren. Warum soll das künftig anders sein? | |
Öffentlich haben wir zu wenige Konflikte gewagt. Damals spielten die Sorge | |
und das Wissen eine Rolle, sobald wir einen Konflikt mit der SPD riskieren, | |
folgt ein Konterfoul. Das ist eine Frage des Politikstils der SPD, die hier | |
seit 27 Jahren regiert. Deren Selbstwahrnehmung ist nach wie vor: Wir sind | |
hier die große Volkspartei, und wenn wir anderen die Gnade erweisen, mit | |
uns gemeinsam zu regieren, sollen sie gefälligst zufrieden sein. | |
Und dennoch wollen Sie mit genau dieser SPD und den Grünen den nächsten | |
Berliner Senat stellen. Warum? | |
Das ist keine Frage des Wollens. Als politische Partei haben wir das Ziel, | |
Berlin politisch zu verändern. Und nach fünf Jahren katastrophalen | |
Stillstands ist es unsere Aufgabe, darum zu kämpfen, dass wir möglichst | |
viel von unseren Anliegen durchsetzen. Wenn das mit Rot-Rot-Grün | |
funktioniert, dann ist das gut. Falls es nicht funktioniert, dann ist das | |
für die Stadt nicht gut. Aber dann ist es so. | |
Vor allem im linken Flügel Ihrer Partei wird Rot-Rot-Grün sehr kritisch | |
gesehen. Auf der KandidatInnenliste sind KritikerInnen kaum vertreten. Wäre | |
es nicht klug gewesen, diese Leute ins Boot zu holen? | |
Der Parteitag hat eine bunte Liste gewählt, die sowohl fachpolitische | |
Kompetenz als auch regionale Verankerung berücksichtigt. Auch an kritischen | |
Geistern herrscht kein Mangel. Eine Grundbedingung war für den | |
Nominierungsparteitag aber offenbar schon, dass Wahlstrategie und | |
Wahlprogramm mitgetragen werden. | |
Ohne Kompromiss? | |
Es gibt schwerlich einen Kompromiss in der Frage, ob ich definitiv | |
Opposition machen oder gegebenenfalls Inhalte auch in einer Koalition | |
durchsetzen will. | |
Welche Inhalte und Überschrift hat Rot-Rot-Grün denn für Berlin? | |
Wir haben ein Angebot gemacht, das auf drei Säulen fußt. Eine | |
Grundbedingung für uns ist, dass man sich darauf verständigt, langfristig | |
Personalentwicklung im Land Berlin zu betreiben. | |
Klingt nicht nach einer guten Schlagzeile. | |
Ist nicht erotisch, aber dringend nötig. Bis 2025 wird die Hälfte der | |
Berliner Verwaltung altersbedingt in den Ruhestand gehen. Einer unserer | |
Mitarbeiter kam heute früh zu spät, weil er zwar um halb acht einen Termin | |
in der Zulassungsstelle hatte, aber zwei Stunden später immer noch nicht | |
dran war. | |
Unter Rot-Rot-Grün würde das anders? | |
Nicht sofort, aber Schritt für Schritt. | |
Und die zweite und dritte Säule? | |
Wir wollen, zweitens, den sozialen Zusammenhalt in der Stadt stärken. | |
Darunter fällt ein Programm für Langzeiterwerbslose und die Bereitstellung | |
von 400.000 städtischen Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen. Und | |
drittens wollen wir eine Veränderung des Politikstils im Verhältnis zu den | |
BürgerInnen durchsetzen. | |
Welches sind Ihre roten Linien gegenüber SPD und Grünen? | |
Ich bin kein Fan von roten Linien, weil ich, auch für mögliche Sondierungs- | |
und Koalitionsverhandlungen, der Gegenseite nicht schon vorher mitteilen | |
will, an welcher Stelle sie ein Scheitern herbeiführen kann. Klar ist aber: | |
Unser Wahlprogramm ist nicht fakultativ. | |
Ein Problem Ihrer Partei ist doch, dass die Linke die Rolle als | |
Protestpartei nicht mehr spielen kann. Protestwähler gehen heute zur AfD. | |
Haben Sie Verständnis für Leute, die sich von Flüchtlingen „überfremdet“ | |
fühlen? | |
Nein. Ich habe Verständnis für Menschen, die angesichts der Geschehnisse | |
der letzten Wochen Sorgen haben, aber null Verständnis für die Reproduktion | |
rassistischer Ressentiments. Überfremdung ist ein völkisches, rassistisches | |
Ressentiment. Was die Linke niemals tun darf, ist, Ressentiments | |
anzunehmen, zu reproduzieren und so den rechten Rand zu stärken. | |
Was haben Sie gedacht, als Wagenknecht nach dem Axtanschlag von Ansbach | |
mitteilte, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von | |
Flüchtlingen mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger sei, als | |
Merkels leichtfertiges „Wir schaffen das“? | |
Ich habe genau das gedacht, was ich eben sagte. | |
Hat Wagenknecht Ressentiments reproduziert und den rechten Rand gestärkt? | |
Ihre Äußerung – und dieses Missverständnis hat sie ja korrigiert – konnte | |
zumindest den Eindruck erwecken, sie würde Merkel von rechts kritisieren. | |
Ein Missverständnis? | |
Dazu ist von ihr selbst und vielen anderen Genossinnen und Genossen alles | |
gesagt worden. Wichtig ist jetzt: Sahra Wagenknecht muss dafür sorgen, dass | |
solche Missverständnisse nicht entstehen. Sie ist dafür Politprofi genug. | |
Kann man mit einer Fraktionschefin, die permanent die Position der Partei | |
unterläuft, seriös eine Koalition Rot-Rot-Grün anstreben? | |
Ich gehe davon aus, dass die Beschlüsse unserer Partei und Fraktion, die | |
Sahra ja mit herbeigeführt hat, von allen respektiert werden. | |
Viele taz-LeserInnen schrieben, Wagenknecht habe doch nur Fakten benannt. | |
Welche Reaktionen hören Sie denn an den Wahlkampfständen? | |
Unterschiedlichste. Viele Menschen bewegt die Frage, wie wir mit der | |
Herausforderung, die Flüchtlinge bedeuten, jetzt umgehen. Aber unsere | |
Partei wird mit Solidarität für alle identifiziert. Das müssen wir auch | |
erfüllen und das werden wir auch. Gerade hier in Berlin, wo viele | |
Mitglieder aktiv Initiativen für Flüchtlinge unterstützen. | |
In Sachsen-Anhalt hat der flüchtlingsfreundliche Kurs die Linkspartei | |
Stimmen gekostet. Offenbar hat Ihre Partei nur die Wahl zwischen schlecht | |
und ganz schlecht: Hält sie Kurs, geht sie bei Wahlen unter. Oder sie folgt | |
Wagenknecht … | |
Eine linke Partei muss konsequent bleiben. Der Versuch, rechts zu blinken, | |
um den Rechten den Boden abzugraben, führt zum genauen Gegenteil, nämlich | |
zu einer Stärkung der Rechten. Weil man schnell akzeptiert, dass die | |
Ausgangsposition der Rechten richtig wäre. Das ist kein Mittel gegen rechte | |
Populisten. Die Linke muss aufklären – auch wenn das bedeutet, zwei oder | |
drei Prozent zu verlieren. In Berlin wird Die Linke keine Konzessionen an | |
völkisch-nationalistisches Denken machen. | |
Unter dem Strich schadet Sahra Wagenknecht der Partei also mit solchen | |
Äußerungen? | |
Es schadet immer, wenn in zentralen Fragen Kakophonie herrscht. Pluralismus | |
und offene Diskussionen sind in einer linken Partei lebenswichtig. Aber es | |
gibt ein paar grundsätzliche Fragen, da müssen wir konsistent reden und | |
handeln, sonst sind wir nicht mehr erkennbar. | |
4 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Stefan Reinecke | |
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