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# taz.de -- Berlins Linksparteichef im Interview: „Der Senat wird Reparaturbr…
> Klaus Lederer ist sich sicher: Nach der Wahl wird sich der Ton ändern und
> Linke, Grüne und SPD mehr Verständnis füreinander entwickeln.
Bild: „Vieles, was jetzt gesagt wird, ist nichts als Wahlkampf“: Klaus Lede…
taz: Herr Lederer, SPD und Grüne sind sich einig, miteinander koalieren zu
wollen. Die Linke scheint nur die ungeliebte Mehrheitsbeschafferin zu sein.
Wie fühlen Sie sich als drittes Rad am Wagen?
Klaus Lederer: Ich nehme das ganz entspannt zur Kenntnis. Vor einer Wahl,
bei der sicher ist, dass es für eine Zweierkoalition nicht reichen wird,
ist es nicht so schlau, solche Ansagen zu machen. Für eine Koalition mit
uns treibt das den Preis nach oben. Wir werden nicht das dritte Rad am
Wagen sein. Und wir werden nur Teil einer Regierung, wenn sich der Stil
wesentlich von dem unterscheidet, wie SPD und CDU momentan miteinander
umgehen.
Schaut man in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linken, hat man das
Gefühl, die Unterschiede liegen höchstens im Detail. Wozu braucht es denn
da die Linke?
Wenn man sich die Überschriften der Programme anguckt, gibt es in der Tat
eine Nähe. Entscheidend ist aber, was sich hinter den Überschriften
verbirgt. Das SPD-Wahlkampfmotto „Alles bleibt“ muss sich für viele wie
eine Drohung anhören. Berlin ist längst nicht mehr bezahlbar, die soziale
Spaltung nimmt zu, Dinge laufen aus dem Ruder.
Die Antworten sind doch aber dieselben: Alle drei Parteien wollen die
steigenden Mieten begrenzen und den Bestand der Wohnungsbaugesellschaften
auf 400.000 Wohnungen erhöhen.
Wir stehen vor dem Problem, dass Menschen in prekären Verhältnissen um den
letzten knappen, verfügbaren Wohnraum konkurrieren. Bausenator Andreas
Geisel will in den nächsten zehn Jahren 16.000 Wohnungen mit
Einstiegsmieten von 6,50 Euro bauen. Es fehlen aber nach unseren
Untersuchungen derzeit 130.000 Wohnungen im unteren und mittleren
Preissegment. Das reicht also hinten und vorne nicht. Außerdem ist der Plan
keine Antwort darauf, dass Transferleistungsbeziehern heute nur 5,71 Euro
pro Quadratmeter zugestanden werden. Diese Klientel hat Rot-Grün nicht im
Blick.
Bei aller Kritik ist eine Nähe aber nicht abstreitbar. Mit wem sind die
Schnittmengen größer, Grüne oder SPD?
In Fragen von direkter Demokratie oder der Verkehrspolitik stehen wir den
Grünen näher, in anderen Themenfeldern sind die Überschneidungen mit den
Sozialdemokraten größer. Was aber wichtiger ist: Der nächste Senat wird
angesichts der vielen Probleme dieser Stadt eine Reparaturbrigade sein.
Herausforderungen wie die Unterbringung von Geflüchteten, Investitionen in
die Infrastruktur oder das Personal des öffentlichen Dienstes, kann man
nicht im Scheuklappendenken von Einzelressorts bewältigen. Diese müssen als
Gesamtherausforderung betrachtet werden, ohne dass man sich gegenseitig
beim Scheitern zuschaut. Wir brauchen einen neuen Stil des Miteinanders.
Den erreicht man nicht, wenn man sich jetzt gegenseitig Mindestbedingungen
diktiert, so wie es SPD und Grüne tun.
Wäre es jetzt, wo eine Regierungsbildung ohne Die Linke kaum möglich
scheint, nicht an der Zeit, mutigere Forderungen zu stellen?
Vieles, was jetzt gesagt wird, ist nichts als Wahlkampf. Nach der Wahl
werden die Parteien ein viel größeres Verständnis füreinander entwickeln,
als das vorher der Fall war. Gerade wenn man weiß, dass es nötig sein wird,
miteinander zu kooperieren, sollte man die Gemeinsamkeiten betonen. Klar
ist dennoch: Unser Wahlprogramm ist nicht fakultativ. Der nächste Senat
muss sich um die soziale Spaltung und die Funktionsfähigkeit der Stadt
kümmern. Das müsste Rot-Rot-Grün stemmen. Sonst macht es keinen Sinn.
Gibt es denn Themen, an denen eine rot-rot-grüne Koalition noch scheitern
könnte, etwa der Weiterbau der A100?
Wir und die Grünen haben dazu eine ganz klare Position. Die SPD hatte mal
eine, neigt aber dazu, die immer mal zu verändern. Würden wir miteinander
versuchen, die Probleme der Stadt zu lösen, wäre der Weiterbau der A100 das
Letzte, was die Stadt braucht.
Viele der Probleme in der Stadt, etwa die mangelnde Versorgung mit
günstigem Wohnraum oder das Chaos in den Ämtern sind eine Folge der
Sparpolitk der vergangenen 15 Jahre. Sehen Sie sich da mit in der
Verantwortung?
Ich sage nicht, wir wären für nichts verantwortlich. Wichtig ist aber,
daraus zu lernen. Wir haben hier zehn Jahre regiert, die Stadt in einem
Zustand übernommen, wo sie vom Bankenskandal und Westberliner Mentalität an
den Abgrund gewirtschaftet worden war. Damals gab es Milliarden-Defizite,
heute gibt es dreistellige Millionen-Überschüsse. Der Kurs der
Haushaltssanierung war damals – das sage ich ungern – alternativlos. Dass
man in einer solchen Situation auch Fehler macht, gehört ein bisschen dazu.
Wir haben etwa die GSW verkauft, nachdem uns Grüne, CDU und FDP durch eine
Klage gegen den Haushalt zwangen, zusätzlich 2 Milliarden Euro zu kürzen.
Damals war der Wohnungsmarkt noch entspannt und alle außer uns hielten
Privatisierungen für eine prima Sache. Den heutigen Mietern der Wohnungen
hilft das natürlich überhaupt nicht weiter. Wir wie auch die anderen
Parteien sind in der Verantwortung, sie nicht allein zu lassen, sondern mit
ihnen nach Lösungen zu suchen.
Wollen Sie an der Sparpolitik festhalten?
Weder verstehe ich, noch bin ich zukünftig bereit zu akzeptieren, die
heutigen Überschüsse zur Hälfte ins Haushaltsloch zu werfen. In der
aktuellen Niedrigzinsphase haben wir noch nicht mal große Zinsersparnisse
dadurch. Auf der anderen Seite wächst durch unterlassene Investitionen in
die Infrastruktur der Sanierungsstau in exorbitanter Weise an. In den
vergangenen fünf Jahren wurden 3 Milliarden Euro getilgt, gleichzeitig ist
der Sanierungsstau im Schulbereich von 2,5 Milliarden Euro auf 5 Milliarden
angewachsen. Wie sinnvoll soll das sein? Für diesen Stillstand sind
ausschließlich SPD und CDU verantwortlich.
Apropos CDU. Im Konflikt um die Rigaer Straße war aus der Linkspartei, mit
Ausnahme von Hakan Taş, relativ wenig zu hören. Wieso eigentlich?
Als innenpolitischer Sprecher spricht Hakan Taş natürlich für die Partei –
und ich habe mich auch immer wieder dazu geäußert. Das Sicherheitsrisiko
Frank Henkel versucht mangels anderer Themen und unter dem Druck der AfD
mit innenpolitischem Säbelrasseln Punkte zu sammeln. Der Umgang von Rot-Rot
mit dem 1. Mai hat gezeigt, dass es bei zugespitzten stadtpolitischen
Konflikten auf eine transparente und rechtmäßige Arbeit der Polizei ankommt
als auch auf eine politische Deeskalationslinie. Stadtpolitik müsste sich
damit auseinandersetzen, dass die innerstädtischen Freiräume immer knapper
werden. Projekte in ehemals besetzten Häusern, wie der Supamolly, gehören
zu der lebendigen Szene, von der auch CDU und SPD sagen, dass sie die Stadt
so reizvoll und kreativ macht. Aber sie dürfen nicht als
Marketing-Instrumente gesehen werden. Kultur- und Begegnungsräume in den
Kiezen sorgen wesentlich für den Zusammenhalt von Stadt und Gesellschaft.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir Freiräume erhalten oder neue schaffen.
In der SPD wird überlegt, das Haus Rigaer94 zu kaufen. Sind sie dafür?
Na klar ist das sinnvoll. Das wäre auch dann sinnvoll, wenn da nicht die
Kadterschmiede drin wäre. Es ist immer gut, wenn die
Wohnungsbaugesellschaften durch Zukauf Wohnraum dem Markt entziehen.
Sprechen wir über die AfD. Fast die Hälfte ihrer Wähler in
Mecklenburg-Vorpommern nennt „soziale Gerechtigkeit“ als ein Wahlmotiv für
die AfD. Das ist doch Ihre Klientel. Wie halten Sie dagegen?
Wir dürfen nicht zulassen, dass die strukturell Benachteiligten
untereinander ausgespielt werden. Das müssen wir in einer Sprache
vermitteln, die verstanden wird, also etwa fragen: Glaubt ihr wirklich, ihr
hättet einen Cent mehr Hartz IV, wenn die Geflüchteten nicht gekommen
wären? Oder wäre die Suche nach Wohnraum, bei der Niedriglöhner,
Mindestrentner, Freiberufler und nun auch Geflüchtete konkurrieren, ohne
Letztere wirklich entspannter? Nein. Die Probleme waren alle schon da,
bevor die Flüchtlinge gekommen sind. Wir können der AfD beherzt
entgegentreten. Man muss das Gespräch mit den Leuten suchen.
Im Schweriner Landtag antwortete stets nur eine demokratische Partei auf
Anträge der NPD, dann wurden sie geschlossen abgelehnt. Stellen Sie sich so
einen Umgang auch mit der AfD im Abgeordnetenhaus vor?
Ob es möglich ist, sich auf gemeinsame Absprachen zur inhaltlichen
Auseinandersetzung zu einigen, wird man sehen. Was nicht hilft, sind
irgendwelche Geschäftsordnungstricks. Die würden die AfD in ihrer
Opferstilisierung noch befeuern. Mit Unruhe nehme ich aber wahr, dass in
der Union jetzt schon diskutiert wird, dass die Hürden ja langsam fallen
müssen. Und dass dort nicht mehr versucht wird, der AfD mit alternativer
Politik und vernünftigen Lösungen das Wasser abzugraben, sondern immer
stärker durch Übernahme ressentimentgeladener Propaganda. Frank Henkel hat
in den vergangenen Wochen gezeigt, dass er wild entschlossen ist, durch
Rechtsblinken Boden wiedergutzumachen. Damit tut er sich und der Demokratie
keinen Gefallen.
Frank Henkel wird ja bald nicht mehr viel zu sagen haben. Wie ist es mit
Ihnen? Liebäugeln Sie nach 13 Jahren im Abgeordnetenhaus und elf Jahren an
der Spitze der Berliner Linkspartei mit einem Senatorenposten?
Klar ist, ich bleibe die nächsten fünf Jahre hier in der Landespolitik.
Alles andere ist hochspekulativ. Üblich ist aber, dass das Spitzenpersonal
der Parteien im Falle von Koalitionen auch bereitsteht, diese mitzutragen.
16 Sep 2016
## AUTOREN
Erik Peter
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