# taz.de -- Klausur der Berliner Linksfraktion: Linke auf R2G | |
> Die Linksfraktion lässt sich bei ihrer Klausurtagung in Erfurt von ihren | |
> Thüringer Parteifreunden erklären, wie Rot-Rot-Grün funktioniert. | |
Bild: Klaus Lederer, Landesvorsitzender und Spitzenkandidat der Berliner Linken. | |
Forelle, Klöße vom Fleischgericht, Spinat vom vegetarischen. Die | |
Dreierkombination auf Klaus Lederers Teller ist gewöhnungsbedürftig. | |
„Crossover“ nennt der Landesvorsitzende und Spitzenkandidat der Linkspartei | |
seine Kreation. Sie passt zu der Dreierkombi, die das zentrale Thema der | |
Linksfraktion bei ihrer Klausurtagung in Erfurt ist: eine rot-rot-grüne | |
Koalition, kurz R2G, bislang nur in Thüringen erprobt. Dort regiert sie | |
seit 15 Monaten, in Berlin ist R2G nach jüngsten Zahlen die einzig | |
realistische Alternative zu einem erneuten rot-schwarzen Bündnis nach der | |
Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Erfurt soll also | |
Anschauungsunterricht bieten an diesem Wochenende. | |
Schon im ICE auf dem Weg in die thüringische Hauptstadt ist es am | |
Freitagmorgen ein großes Thema, was die Berliner Morgenpost in einer | |
Umfrage hat untersuchen lassen: Für Rot-Rot oder Rot-Grün reicht es beim | |
aktuellen Berlin-Trend nicht mehr. Nicht etwa, weil Linkspartei oder Grüne | |
eingebrochen wären. Im Gegenteil, beide legen bei der Wählergunst um zwei | |
Prozentpunkte zu. Es liegt vielmehr am Anstieg der AfD auf nun 10 Prozent, | |
an der Fünfprozenthürde und an der Mathematik. | |
Vor einem halben Jahr noch blieb die AfD in Berlin, so wie die Piraten und | |
die FDP, unter dieser Hürde. Ihre Stimmen fielen unter den Tisch, eine | |
Mehrheit der Parlamentssitze war auch mit weit weniger als einer Mehrheit | |
der Stimmen zu haben. Noch im Herbst war die zentrale Frage im | |
Abgeordnetenhaus: Mit wem macht’s die SPD und vor allem ihr Regierungschef | |
Michael Müller, mit Grünen oder Linken? | |
## Politik auf Augenhöhe | |
Damit ist es vorbei, und nun werden sich die beiden kleineren Parteien mit | |
den seit Jahrzehnten regierenden Sozialdemokraten in R2G zusammenfinden | |
müssen, wenn sie regieren wollen. Das funktioniere nur bei gegenseitiger | |
Achtung, „diese Koalition lebt von Politik auf Augenhöhe“, mahnt die | |
thüringische Fraktions- und Landesvorsitzende Susann Hennig-Wellsow ihre | |
Berliner Parteifreunde. Und legt ihnen nahe, das Bündnis in den nächsten | |
Monaten emotional vorzubereiten: In Thüringen habe man ein halbes, | |
Dreivierteljahr vor der Landtagswahl aufgehört, die Koalitionspartner in | |
spe SPD und Grüne zu kritisieren. „Wir haben sie einfach ignoriert“, sagt | |
Hennig-Wellsow, „und das hat dazu geführt, dass es keine persönlichen | |
Verletzungen gab.“ | |
Klaus Lederer sieht das später beim Abendessen mit Journalisten über seiner | |
Crossover-Kreation anders. Udo Wolf, sein Fraktionschef, hatte im | |
taz-Interview bereits scharfe, wenn auch konstruktive Kritik an der SPD bis | |
zur Wahl angekündigt. Das hält auch Lederer für richtig – es würde der | |
Linkspartei doch keiner abnehmen, wenn sie so tun würden, als sei an allem | |
Schlechten im Senat nur die CDU schuld. | |
Die Sache mit der Augenhöhe allerdings fordern auch Lederer und Wolf – bloß | |
aus einer anderen Position heraus als die Thüringer Kollegin: In Erfurt ist | |
die Linkspartei anderthalb mal so stark wie ihre Partner SPD und Grüne | |
zusammen, in Berlin liegt die SPD deutlich vor ihren potenziellen Partnern. | |
Den Sozialdemokraten müsse man erst mal wieder beibringen, mit Partnern um | |
Inhalte und die beste Lösung zu streiten, sagt Lederer. Der Linkspartei | |
kommt dabei allerdings zugute, dass die SPD angesichts der immer tieferen | |
Gräben zum Nochkoalitionspartner CDU kaum mit einer Fortsetzung von | |
Rot-Schwarz drohen kann. | |
## „Der Bodo macht das“ | |
Es ist da noch ein Punkt, der die Erfurter Konstellation von der Situation | |
in Berlin unterscheidet. Und der heißt Bodo Ramelow. Wenn Fraktionschefin | |
Hennig-Wellsow von den Thüringer Erfahrungen mit R2G berichtet, dann ist | |
das geprägt von „Bodo macht …, Bodo sagt …, Bodo will ...“. Der | |
Ministerpräsident, das sagt sie ganz offen, sei der Einzige, den die Leute | |
wirklich kennen würden aus der seit über einem Jahr arbeitenden | |
Regierungsmannschaft. Und ist offenbar auch der, der R2G letztlich | |
zusammenhält: „Wenn’s hart auf hart kommt, dann macht der Bodo das schon.�… | |
Der Bodo soll am Abend vorbeischauen, ist aber schon vorher auch im Bild | |
präsent, das ein Beamer an die Wand wirft: Ramelow, der bekennende | |
Protestant, neben Papst Franziskus, dem obersten Katholiken. Der hat ihn | |
Stunden zuvor in Rom zu einer Privataudienz empfangen. Das habe er sich bei | |
seiner Vereidigung im Dezember 2014 gewünscht, erzählt Ramelow, als er am | |
Abend in Fleisch und Blut im Raum steht. | |
Schier ins Schwärmen über Franziskus kommt er, der als | |
Bundestagsabgeordneter Religionsbeauftragter der Linksfraktion war. „Man | |
muss die Kirche nicht mögen, man muss nicht an Gott glauben, aber dieser | |
Mann ist hoch spannend”, empfiehlt Ramelow den Berliner Sozialisten, gerade | |
in der Flüchtlingspolitik, die auch in Thüringen das zentrale Thema ist. | |
Nicht Zäune müsse man bauen, sondern Brücken, habe der Papst gesagt, | |
während andere mit Hinweis aufs christliche Abendland auf Abschottung | |
setzen. Es gebe viel Angst in Thüringen, weil es eben vorher fast keine | |
Ausländer im Land gab. „Wenn sich ein Thüringer gruseln will, dann fährt er | |
nach Kreuzberg“, sagt Ramelow und wünscht sich durchaus ein bisschen | |
Einfluss anderer Kulturen: „Manchem, der hier rumläuft mit Arschgeweih, dem | |
würde ich einen Tschador wünschen.“ | |
## Linke Aufbruchstimmung | |
Sie hören das alles, die Berliner Parteigenossen, und fühlen sich durch die | |
Aufbruchstimmung der immer noch jungen R2G-Koalition Thüringens an ihre | |
ersten rot-roten Jahre ab 2002 in Berlin erinnert. Sogar eine wie Ramelow | |
über allen stehende charismatische Gestalt hatten sie damals mit Gregor | |
Gysi, der seine Partei auf über 22 Prozent brachte. Die haben sie derzeit | |
nicht, aber das ist auch bei den möglichen Partnern SPD und Grüne so. | |
Deshalb geben sie sich durchaus selbstbewusst. | |
In Sachen Flüchtlingsintegration sieht Fraktionschef Wolf die Linken | |
„konzeptionell Meilen voraus gegenüber dem, was der Senat da veranstaltet“. | |
Ein anderer Abgeordneter sagt, „dass uns der Zusammenbruch des Lageso in | |
dieser Form nicht passiert wäre“. Es sind auch die Umfragewerte, auf die | |
sich dieses Selbstbewusstsein stützt: 16 Prozent sind es aktuell, 11,7 | |
Prozent waren es bei der Wahl 2011. | |
„Wieland III” heißt der Raum, in dem sich dieses Selbstbewusstsein | |
manifestiert. Die Thüringer Parteifreundin Hennig-Wellsow erzählt, man habe | |
genau hier 2014 die R2G-Verhandlungen mit SPD und Grünen geführt. „Als Omen | |
für eure Klausur ist das vielleicht nicht schlecht“, sagt sie, „wie ihr | |
wisst, waren unsere Koalitionsverhandlungen erfolgreich.“ | |
28 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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