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# taz.de -- Transparenz bei Drittmitteln: Die freiwillige Vernunft der Unis
> In Niedersachsen legen die Hochschulen ihre Drittmittelkooperationen
> offen – freiwillig. Mehr Transparenz schafft kein Gesetz.
Bild: Schlau: Gabriele Heinen-Kljajić, Niedersachsens Ministerin für Wissensc…
Die grüne Oppositionsabgeordnete hatte den richtigen Riecher: Als 2011
herauskam, dass sich die Deutsche Bank ein erhebliches Mitspracherecht an
zwei Berliner Unis erkauft hatte, wollte Gabriele Heinen-Kljajić wissen, in
welchem Umfang Wirtschaftsunternehmen auch in ihrem Bundesland Professuren
bezahlen – und welche Gegenleistung sich die Stifter per Vertrag zusichern.
Mit einer parlamentarischen Anfrage zwang sie die niedersächsische
Regierung, Vertragsdetails der staatlichen Hochschulen abzufragen. Die
Antwort gab ihrem Misstrauen recht: Mehrere Universitäten im Land räumten
den Geldgebern Stimmrecht bei der Besetzung der Professur ein – ein klarer
Verstoß gegen das deutsche Grundgesetz.
Das garantiert die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre. Sie zu wahren
hatte der Verband der deutschen Lehrstuhl-Stifter – der Stifterverband für
die Deutsche Wissenschaft – erst wenige Monate zuvor empfohlen. Für die
wachsame Abgeordnete war klar: Eine bloße Selbstverpflichtung der
Kooperationspartner reicht nicht aus.
Fünf Jahre später ist Heinen-Kljajić Niedersachsens Ministerin für
Wissenschaft und Kultur. Für die Hochschulen im Land sind Drittmittel in
der Zwischenzeit noch wichtiger geworden. Zwischen 2010 und 2014 stiegen
sie von 493 auf 591 Millionen Euro. Sie machen heute jeden dritten Euro
aus, den niedersächsische Hochschulen einnehmen. Doch wer erwartet hatte,
die Ministerin würde die Unis nun per Gesetz zur Offenlegung der
Kooperationen zwingen, hat sich geirrt. Heinen-Kljajić setzt beim Thema
Transparenz auf die Vernunft der Hochschulen – auf Freiwilligkeit. Mit
erstaunlichen Resultaten.
Die Ministerin hat die Rektoren der 20 staatlichen Hochschulen dazu
gebracht, sämtliche laufenden Drittmittelkooperationen – mehr als 7.500
Projekte – online zu stellen. Seit Anfang April können Interessierte
nachlesen, wer an niedersächsischen Hochschulen in wessen Auftrag zu
welchem Thema forscht – und wie viel er dafür zahlt. Öffentliche Geldgeber
wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Bundesministerien oder die
EU sind genauso darunter wie private Stiftungen oder
Wirtschaftsunternehmen.
## Springen Wirtschaftspartner bei zu viel Transparenz ab?
Die seitenlangen Listen offenbaren Einblicke, die Unis selten gewähren. Ein
lokales Steuerforum fördert Nachwuchswissenschaftler an der Uni Osnabrück:
15.000 Euro für ein Jahr. BMW lässt an der TU Braunschweig die Rentabilität
eines E-Shuttles erforschen: 787.411 Euro für zwei Jahre. Der Pharmakonzern
Novartis beauftragt Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover
mit einer Studie zum Einfluss bronchialerweiternder Therapie auf die
Herzfunktion. 500.000 Euro für drei Jahre.
Solche Einblicke gibt es in Deutschland bislang nur, wenn der Gesetzgeber
es anordnet – wie in Bremen und Rheinland-Pfalz. Im vergangenen Jahr haben
die Landesregierungen der beiden Bundesländer eine Transparenzpflicht
beschlossen – mit großem Widerstand der Uni-Rektoren. Die Hochschulen
versuchten zu verhindern, dass sie künftig von sich aus
Drittmittelkooperationen veröffentlichen müssen.
Das Argument: Die Wirtschaftspartner springen ab, wenn sie im Internet
lesen müssten, wie viel sie den Unis für einen Forschungsauftrag zahlen –
und woran genau geforscht wird. Erst vor ein paar Wochen beklagte der
Rektor der Uni Bremen gegenüber dem Weserkurier, dass die neuen
Transparenzregeln Auftraggeber aus der Wirtschaft abschrecken würden. Ende
Mai muss die Hochschule ihre Wirtschaftskooperationen ins Netz stellen. Die
Zahlen sollen zeigen: Die Drittmitteleinnahmen aus der Industrie sind stark
gesunken.
Mit dem Schutz privater Interessen argumentieren auch die Hochschulen in
Rheinland-Pfalz. Die Uni Mainz weigerte sich vergangenes Jahr vehement, den
Schenkungsvertrag mit der Boehringer Ingelheim Stiftung offenzulegen. 150
Millionen Euro flossen in jene Fachbereiche, in denen der gleichnamige
Pharmakonzern wirtschaftet. Eine Studentin wollte wissen, was in dem
Vertrag steht. Sichert sich der Konzern Patente? Die Hochschule verweigerte
die Auskunft. Vor allem bestritt sie, dass das Interesse der Öffentlichkeit
am Vertragsinhalt über dem Schutzinteresse des Unternehmens steht. Die
Auseinandersetzung wird seit dieser Woche vor dem Verwaltungsgericht Mainz
ausgetragen.
## Kein Transparenzgesetz garantiert volle Transparenz
Dass solche Auseinandersetzungen letztlich nur die Gerichte klären können,
wissen auch die Gesetzgeber in Bremen und Mainz. In den Gesetzestexten
schwächen deshalb Abwägungsklauseln die Transparenzpflicht ab. Für jede
Drittmittelkooperation muss im Einzelfall geklärt werden, was höher wiegt:
das im Grundgesetz verbriefte Schutzinteresse des Unternehmens, das von der
Nennung des Projekttitels Wettbewerbsnachteile erleiden könnte. Oder die
Auskunftspflicht der staatlichen Einrichtung gegenüber den Steuerzahlern.
Oder anders formuliert: Kein Transparenzgesetz garantiert vollständige
Transparenz.
Wissenschaftsministerin Heinen-Kljajić ist sich deshalb sicher: Mit der
freiwilligen Regelung kommt Niedersachsen weiter als mit einem Gesetz. „Der
Vergleich mit anderen Bundesländern zeigt, dass unser Weg der richtige
ist“, sagt sie. „Wir sind das erste Bundesland, das vollumfänglich alle
Daten veröffentlicht hat und an allen Universitäten Ethikkommissionen
eingerichtet hat.“ Vergangenes Jahr haben sich Unis und Ministerium darauf
in den „Leitlinien zur Transparenz“ verständigt. Und die sind ein
Kompromiss für alle Seiten.
Die Hochschulen veröffentlichen ihre Drittmittelkooperationen. Die Namen
der Unternehmen und des konkreten Forschungsauftrags können sie jedoch
verschlüsseln, sofern sie den Industriepartnern Vertraulichkeit zugesagt
haben. Dadurch bleiben die Schutzinteressen der Unternehmen gewahrt.
Gleichzeitig sollen die Hochschulen in den neuen Ethikkommissionen intern
abwägen, ob sie etwa Rüstungsforschung betreiben wollen – oder in welchem
Ausmaß sie ihre Drittmitteldaten anonymisieren.
## 267 Geldgeber anonymisiert
Manche Hochschulen haben von diesem Recht exzessiven Gebrauch gemacht. Die
Leibniz Universität Hannover etwa verschweigt fast alle Auftraggeber aus
der Wirtschaft. Bei 267 Kooperationen nennt sie statt des Unternehmers
einen Code, der auf den Wirtschaftszweig schließen lässt. Bei
Forschungsaufträgen aus der Industrie werde in der Regel Vertraulichkeit
über den Auftraggeber vereinbart, erklärt die Hochschule die hohe Zahl.
Kritiker dieser Regelung fürchten, dass alle Hochschulen im Land ihren
Partnern künftig Vertraulichkeit anbieten.
Das Ministerium hat das pauschale Anonymisieren von Industriepartnern
einiger Unis öffentlich nicht gerügt. Gegenüber der taz stellt die
Ministerin aber klar, dass sie diese Praxis nicht hinnehmen will: „Eine
Verschlüsselung darf nicht dazu führen, dass die Daten völlig ohne
Aussagekraft bleiben.“ Da sei „sicherlich eine weitere Debatte notwendig“.
Die Gelegenheit dazu bietet sich am Mittwoch. In Hannover kommen
Heinen-Kljajić und Hochschulen zusammen, um über die Umsetzung der
„Leitlinien“ zu sprechen. Eine Frage an die Uni Hannover könnte sein: Warum
verschweigt sie den Geldgeber Bundeswehr, der für die vier
Forschungsaufträge insgesamt 3,6 Millionen Euro zahlt? Heinen-Kljajić kann
nur auf Vernunft setzen.
11 May 2016
## AUTOREN
Ralf Pauli
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