| # taz.de -- Transparenz an Hochschulen: Die Forschung bleibt anonym | |
| > Die Verwaltung der Bundesländer wird immer transparenter. Nicht aber die | |
| > der Universitäten – zum Schutz mächtiger Sponsoren. | |
| Bild: Zu welchen Bedingungen wurde hier geforscht? Wer hat finanziert, was gesc… | |
| Berlin/Mainz taz | Der Präsident der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, | |
| Georg Krausch, hat guten Grund, zufrieden zu sein. Auch wenn ihm die | |
| Ausnahmeregelung für rheinland-pfälzische Hochschulen im geplanten | |
| Transparenzgesetz nicht weit genug geht. Im Juni hat die rot-grüne | |
| Landesregierung den Entwurf in den Landtag gebracht. Derzeit debattieren | |
| die Ausschüsse darüber. Wird er in der jetzigen Fassung verabschiedet, | |
| heißt das für Krauschs Uni: Sie muss geheime Kooperationsverträge mit dem | |
| Pharmakonzern Boehringer Ingelheim nicht offenlegen. | |
| Eine Studentin hatte wissen wollen, ob der Arzneimittelkonzern eine | |
| Gegenleistung für die 150 Millionen Euro erhält, die die formell vom | |
| Konzern getrennte Boehringer Ingelheim Stiftung der Hochschule gespendet | |
| hat. [1][Ihr Verdacht: Der Konzern hat sich die Rechte an etwaigen Patenten | |
| gesichert.] | |
| Am gesponserten Institut für Molekulare Biologie wird Genforschung | |
| betrieben, die für die Medikamentenherstellung relevant sein könnte. Für | |
| Uni-Präsident Krausch ist das bloße Spekulation: „Zwischen dem von der | |
| Stiftung finanzierten Institut für Molekulare Biologie und den | |
| Forschungskooperationen anderer Forscher der Uni mit dem Pharmakonzern | |
| bestehen keinerlei Verbindungen.“ | |
| Als Beweis dafür gewährte Krausch der taz Anfang Juli Einsicht in die | |
| Kooperationsverträge mit der Stiftung – unter der Auflage, nicht daraus zu | |
| zitieren. So privilegiert war die Studentin nicht. Ihr gegenüber | |
| verweigerte die Uni Mainz die Auskunft zu Kooperationsverträgen mit | |
| Boehringer Ingelheim. Zwar gilt die Auskunftspflicht in Rheinland-Pfalz | |
| schon seit 2009. Die Hochschule berief sich aber auf Anwendungshinweise des | |
| Innenministeriums, die anders als im Gesetz geschrieben Forschung und Lehre | |
| von der Informationspflicht ausnehmen. Die Studentin müsste vor Gericht | |
| ziehen, um die Hochschule zur Vertragseinsicht zu zwingen. | |
| ## „Forschung und Lehre fallen nicht unter Auskunftspflicht“ | |
| Hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, die Details solcher Verträge zu | |
| erfahren? Oder überwiegt der Schutz von Betriebs- und | |
| Geschäftsgeheimnissen? Für Präsident Krausch ist die Sache klar: „Forschung | |
| und Lehre sind vom Grundgesetz geschützt. Sie fallen nicht unter | |
| Verwaltungshandeln und damit auch nicht unter die Auskunftspflicht.“ Die | |
| Argumente der Gegenseite: Hochschulen sind mit Steuergeldern finanziert. | |
| Die Bürger haben ein Anrecht auf Informationen, auch wenn sie Forschung und | |
| Lehre betreffen. | |
| Die Kontroverse, die der Fall ausgelöst hat, spiegelt die Unvereinbarkeit | |
| zweier Grundrechte wider: das Informationsrecht der Bürger und | |
| „entgegenstehende Belange“ wie der Schutz persönlicher Daten, die Arbeit | |
| der Sicherheitsbehörden oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse Dritter. | |
| Ob Forschung und Lehre per se darunter fallen, das wird nicht nur in | |
| Rheinland-Pfalz kontrovers diskutiert. Elf Landesregierungen haben bislang | |
| Informationsfreiheitsgesetze erlassen, die den Bürgern Einblick in ihre | |
| Ämter gewähren. In Baden-Württemberg und Niedersachsen sollen sie noch in | |
| dieser Legislaturperiode kommen. Nur Bayern, Hessen und Sachsen halten | |
| nichts von Ämtertransparenz. | |
| Welche Auskünfte speziell die Hochschulen geben müssen, ist von Bundesland | |
| zu Bundesland verschieden. Staatliche Hochschulen sind Körperschaften des | |
| öffentlichen Rechts. Die Auskunftspflicht gilt damit auch für sie. | |
| Zumindest in der Theorie: In Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, | |
| Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind Forschung und Lehre explizit | |
| von den jeweiligen Informationsfreiheitsgesetzen ausgenommen. | |
| ## Geheimhaltungsgründe vs. Auskunftspflicht | |
| „Das Grundproblem ist immer, dass durchaus berechtigte Schutzbereiche oft | |
| zu breit gefasst werden“, sagt Manfred Redelfs vom Netzwerk Recherche. 2001 | |
| haben Redelfs und andere Journalisten den Verein gegründet, der sich für | |
| die Recherche starkmacht und sich daher auch für bessere Auskunftsrechte | |
| gegenüber deutschen Behörden einsetzt. Redelfs hat schon dutzende Anfragen | |
| gestellt. Seiner Erfahrung nachführen zu weit gefasste Schutzbereiche dazu, | |
| dass der eigentliche Zweck des Informationsfreiheitsgesetzes ausgehöhlt | |
| wird. | |
| Auch in den Bereichen, in denen prinzipiell Auskunftspflicht besteht, | |
| können Geheimhaltungsgründe überwiegen. Das regeln sogenannte | |
| Abwägungsklauseln. Ob Schutzrechte oder Informationsrechte höher zu | |
| bewerten sind, wird von Fall zu Fall vor Gericht neu bewertet. Vor drei | |
| Wochen urteilte etwa das Bundesverwaltungsgericht, dass der | |
| Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, der Gutachten für Abgeordnete | |
| erstellt, Bürgeranfragen beantworten muss. Das Oberverwaltungsgericht | |
| Berlin-Brandenburg hatte zuvor gegenteilig beschieden. | |
| Ähnlich unklar ist der Ausgang der Klage gegen die Universität Köln, die | |
| einen Kooperationsvertrag mit dem Pharmakonzern Bayer unter Verschluss | |
| hält. In erster Instanz wurde sie abgewiesen. Ob sich das Revisionsgericht | |
| dieser Auffassung anschließt, ist offen. Im August wird das Urteil | |
| erwartet. | |
| „Das Informationsfreiheitsrecht ist in Deutschland ein relativ neues | |
| Rechtsgebiet, und daher ist es nicht verwunderlich, wenn bestimmte Punkte | |
| durch Rechtsprechung geklärt werden“, sagt Pia Schellhammer, die für die | |
| Grünen im Mainzer Landtag sitzt. | |
| ## „Kulturwandel in der Verwaltung“ | |
| Schellhammer hat am Entwurf des neuen Transparenzgesetzes mit gearbeitet, | |
| der juristische Auslegungsspielräume beseitigen soll. Er soll aber noch | |
| mehr: einen regelrechten „Kulturwandel in der Verwaltung“ herbeiführen. So | |
| formulierte es Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, bei | |
| der ersten Lesung im Landtag vor zwei Wochen. Die Ämter sollen nicht nur | |
| wie bisher angefragte Informationen preisgeben, sondern aktiv eine Vielzahl | |
| von Dokumenten wie Sitzungsprotokolle oder Vorstandsgehälter in ein | |
| Informationsregister eintragen. | |
| Das bestehende Auskunftsrecht der Bürger würde um eine | |
| Veröffentlichungspflicht der Behörden erweitert. Den Kulturwandel will die | |
| Regierung vorleben. Sämtliche Ministerratsbeschlüsse werden künftig im | |
| Internet einsehbar sein. Noch in diesem Jahr soll das Gesetz in Kraft | |
| treten. Rheinland-Pfalz wäre nach Hamburg und Bremen das dritte Bundesland | |
| mit derart weitreichenden Verpflichtungen. | |
| Verpflichtungen, gegen die sich Hochschulen und Unternehmen wehren. Als das | |
| rheinland-pfälzische Kabinett um Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf bat, | |
| forderten die Hochschulpräsidenten eine komplette Ausnahme von Forschung | |
| und Lehre. Gerade mittelständische Unternehmer könnten aus Angst vor | |
| Wettbewerbsnachteilen künftig ins Nachbarland Baden-Württemberg abwandern. | |
| Dort gibt es weder Auskunftsrechte noch Veröffentlichungspflichten. „Wenn | |
| ein Unternehmen nur wenige Produkte herstellt, könnte die Konkurrenz | |
| schnell vom Namen auf den Forschungsgegenstand schließen“, glaubt | |
| Uni-Präsident Krausch. | |
| ## Auskunftspflicht mit Ausnahmen | |
| Der Gesetzentwurf spiegelt diese Sorgen weiträumig wider. Im „Einzelfall“ | |
| darf die Hochschule ihren Projektpartner anonymisieren, wenn „vom Namen des | |
| Drittmittelgebers auf den Forschungsgegenstand geschlossen werden“ könne, | |
| heißt es im Entwurf. Woran genau geforscht wurde, bleibt geheim. Laufende | |
| Projekte sowieso. Lediglich der Geldgeber, die Höhe der Drittmittel sowie | |
| die Laufzeit abgeschlossener Drittmittelprojekte müssen veröffentlicht | |
| werden. | |
| Andere Bereiche sind ganz von der Auskunftspflicht ausgenommen: | |
| Informationen wie beispielsweise die Studierendenentwicklung, | |
| Mittelverteilung innerhalb der Hochschule oder Bepflanzung des Campus. „Ein | |
| Recht auf diese Informationen räumt der vorliegende Entwurf nicht ein“, | |
| erklärt Abgeordnete Schellhammer. | |
| „Es ist schon grotesk, wenn ein fortschrittliches Transparenzgesetz im | |
| Hochschulsektor einen Rückschritt bedeutet“, sagt Jonas-Luca König vom Asta | |
| der Uni Mainz. Dass ausgerechnet ein „Transparenzgesetz“ das geltende | |
| Auskunftsrecht einschränkt, bezeichnet König als „Skandal“. Die | |
| Studierendenvertretungen in Rheinland-Pfalz forderten vor wenigen Tagen in | |
| einer gemeinsamen Stellungnahme, dass der Hochschulpassus nachgebessert | |
| werden muss. | |
| ## Schritt zurück in Bremen | |
| Grünen-Abgeordnete Pia Schellhammer will die Regelung der Hochschulen | |
| prüfen: „Der Informationszugang muss meines Erachtens viel weiter gefasst | |
| sein“, sagte sie der taz. In den Fachausschüssen, in die der Entwurf zur | |
| weiteren Beratung überstellt wurde, erwartet Schellhammer eine hitzige | |
| Debatte. Ob sie dort am Ende ihre Wünsche gegen die eigene Regierung | |
| durchsetzen kann, ist jedoch zweifelhaft. | |
| Der Entwurf könnte sogar noch abgeschwächt werden wie in Bremen, wo im | |
| April das Informationsfreiheitsgesetz novelliert wurde. Ursprünglich | |
| sollten die Bremer Hochschulen Drittmittelverträge ab einer Summe von 5.000 | |
| Euro aktiv veröffentlichen. Letztlich hob die Bremische Bürgerschaft die | |
| Grenze wieder auf 50.000 Euro an. „Von Seiten der Universitäten gab es in | |
| der parlamentarischen Beratung Widerstand“, erinnert sich die | |
| wissenschaftspolitische Sprecherin der Grünen in Bremen, Silvia Schön. | |
| Immerhin hat Sie durchsetzen können, dass auch die wesentlichen Ziele der | |
| Drittmittelkooperationen veröffentlicht werden müssen. Das ist bundesweit | |
| einmalig. | |
| In Reinland-Pfalz werden nach derzeitigem Stand Bürger künftig nicht mehr | |
| erfragen können, was in Geheimverträgen steht. Auch die taz nicht. In den | |
| beiden Kooperationsverträgen zwischen der Uni Mainz und der Boehringer | |
| Ingelheim Stiftung steht von eventuellen Vorteilen des Pharmakonzerns kein | |
| Wort. Die Wissenschaftler am gesponserten Institut können aber | |
| Forschungsaufträge von Boehringer Ingelheim annehmen, räumt Präsident | |
| Krausch ein. Alles andere widerspräche dem Freiheitsgedanken von Forschung | |
| und Lehre. | |
| 17 Jul 2015 | |
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| Ralf Pauli | |
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