# taz.de -- Arbeitsbedingungen an Hochschulen: Professoren zweiter Klasse | |
> Mit befristeten Verträgen für Lehrende stopfen die Universitäten ihre | |
> Finanzlücken – auch auf Kosten der Studierenden. Ein unfaires System. | |
Bild: Betreuung auch in den Semesterferien? Das hängt von der Anstellung des P… | |
BERLIN taz | Wenn die [1][Universität der Künste Berlin] am Freitag ihre | |
Ateliers und Hörsäle für Besucher öffnet, werden sechs Professoren vom | |
Fachbereich Bildende Kunst brisante Einblicke in den Alltag der Lehre und | |
der Betreuung von Studenten gewähren: An der größten deutschen | |
Kunsthochschule leisten sogenannte Gastprofessoren die Arbeit fehlender | |
„ordentlicher“ Professoren. | |
Diese Vertreter werden jedoch schlechter bezahlt und nur jeweils für das | |
laufende Semester angestellt. Sie bekommen keinen Vertrag, kein Büro, keine | |
Sicherheit. Und seit vergangenem Semester werden sie nur während der | |
Vorlesungszeit bezahlt. | |
Neben den 6 gesprächsbereiten Hochschullehrern sind weitere 3 der insgesamt | |
17 Professuren an der Fakultät von den Sparplänen betroffen – und damit | |
unmittelbar die Studierenden. Diese unterbezahlten Professoren sollen wie | |
ihre besser bezahlten Kollegen Gutachten schreiben, Prüfungen abnehmen, | |
Themenabende und Ausstellungen organisieren, auch in den Semesterferien. | |
„Gerade in der vorlesungsfreien Zeit kommen die Studenten ins Atelier“, | |
sagt ein Gastprofessor, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. | |
„Die Ausbildung der Studenten ist wissentlich nicht gesichert.“ | |
## Ein Drittel der Professoren | |
Unterbezahlte Professuren haben System an staatlichen Hochschulen. Rund | |
jeder zehnte Lehrstuhl dort ist nicht besetzt, weil sich Berufungsverfahren | |
Jahre hinziehen können. Die vakanten Stellen sind jedoch im Budget der | |
Hochschulen eingeplant. So beschäftigen die Universitäten mehr Personal, | |
als sie tatsächlich bezahlen können. Dafür muss die Verwaltung beim Etat | |
für Vertretungen sparen. | |
An der Berliner Universität der Künste sind fast ein Drittel der 166 | |
Professoren schlechter vergütete Gastprofessoren. Statt einer üblichen | |
W3-Besoldung erhalten sie für 18 Semesterwochenstunden Lehrverpflichtung im | |
Monat 3.549 Euro brutto. Das sind 2.200 Euro weniger als das Grundgehalt | |
der Kollegen. Die Lehrstühle am Kunstinstitut sind teilweise seit mehreren | |
Jahren unbesetzt. Und mit jedem Semester, in dem kein ordentlicher | |
Professor berufen wird, spart die Hochschule Geld. | |
Wie die Sparvorgaben der Verwaltung das Lehrangebot beeinflussen, zeigt | |
eine Regelung an der Freien Universität Berlin. Danach dürfen freie Stellen | |
ein Semester lang nicht neu besetzt werden. Ausnahmen müssen schriftlich | |
vom Dekanat begründet werden. Schriftlich begründet werden muss auch, warum | |
Vertretungen für das gesamte Semester bezahlt werden sollen. Mit 4.000 Euro | |
brutto bleibt auch die FU bei Vertretungshonoraren weit unterhalb der | |
regulären Besoldung. | |
Dass Vertretungsprofessoren prekäre Verhältnisse in Kauf nehmen, weiß Maria | |
Schuster aus eigener Erfahrung. Seit sieben Jahren nimmt die | |
Philosophieprofessorin Vertretungen an. Ohne Vertrag, ohne Aussichten auf | |
eine feste Stelle. Dafür pendelt sie von Dresden nach Gießen, Marburg und | |
auch nach Wien. Zuletzt übernahm sie an der FU Berlin am Fachbereich | |
Philosophie für ein Semester eine halbe Vertretung. | |
## Die Hochschule kassiert | |
Netto bekam Schuster dafür 1.310,12 Euro ausbezahlt. Fahrt- und | |
Übernachtungskosten musste sie selber zahlen. „Seit Ende das Studiums hatte | |
ich nie mehr als anderthalb Jahre Sicherheit“, erinnert sich Schuster, die | |
in Wahrheit anders heißt. Seit vergangenem Jahr ist sie arbeitslos. | |
Selbst den Professor, den Schuster während eines Forschungsprojektes | |
vertrat, „schmerzt“ diese Bezahlung heute, wie er der taz sagt. Zumal die | |
Hochschule von der Deutschen Forschungsgemeinschaft deutlich mehr Geld für | |
die Freistellung des Professors bekommt, als sie in Form der Gastprofessur | |
weitergibt. Den Differenzbetrag kassiert die Hochschule ein. Für Schusters | |
Nachfolger hat der Professor eine höhere Vergütung bei der Uni-Verwaltung | |
ausgehandelt. | |
Wie viel die Hochschulen für Vertretungsprofessuren zahlen, setzen sie | |
selbst fest. Viele Universitäten lehnen sich bei einer W3-Professur an die | |
tiefer liegende Besoldungsstufe W2 an. Je nach Bundesland sind das zwischen | |
400 und 1.000 Euro weniger Grundgehalt. Weiteres Geld sparen die Unis, | |
indem sie den Vertretern die üblichen Zuschläge nach Erfahrungsstufen | |
vorenthalten. | |
Vor allem versuchen die Hochschulen, mögliche Folgeansprüche | |
auszuschließen. „Die Beauftragung begründet kein Beschäftigungsverhältnis | |
im Sinne des Arbeitsrechts, sondern ein öffentlich-rechtliches | |
Dienstverhältnis besonderer Art“, steht beispielsweise in einer | |
Beauftragung der Uni Marburg, die der taz vorliegt. | |
## Dauernde Unsicherheit | |
Aus Angst vor Klagen nach dem Arbeitsrecht beschränken Hochschulen die | |
Vertretungen auf vier oder sechs Semester, gestückelt in Semesteraufträge. | |
Folge: Studierende wissen oft nicht, ob ihr Seminarleiter auch die | |
Hausarbeiten bis zur Abgabe betreut oder die Nachholklausuren im neuen | |
Semester stellt. | |
Mehrere Vertretungsprofessoren haben der taz beschrieben, dass sie über | |
eine Verlängerung erst zu Beginn des neuen Semesters erfahren haben. | |
Auf Anfrage bezeichnet die Hochschulleitung der Berliner Universität der | |
Künste die Lehre als „gesichert“. In einem Brief an besorgte | |
Studierendenvertreter räumt Präsident Martin Rennert allerdings ein, mit | |
einer „Durchbezahlung“ der Gastprofessoren für das ganze Semester wäre die | |
„flächendeckende Aufrechterhaltung der Lehre nicht mehr möglich“. | |
Für das laufende Semester hat der Präsident nun doch Mittel bereitgestellt, | |
um die Gastprofessoren an der Fakultät Bildende Kunst bis Semesterende zu | |
bezahlen. Vielleicht, um am Freitag eine harmonische Kunsthochschule | |
präsentieren zu können. Womöglich rücken ab nächstem Semester wieder neue | |
Gastprofessoren nach, die die schlechteren Konditionen akzeptieren. | |
16 Jul 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.udk-berlin.de/sites/content/themen/aktuelles/index_ger.html | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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