# taz.de -- Philosoph über Digitalisierung: „Algorithmen sind gefährlich“ | |
> Der Philosoph Luciano Floridi warnt: Wir passen unser Leben zu sehr der | |
> digitalen Welt an – und verlieren die Freiheit, die Gesellschaft zu | |
> verändern. | |
Bild: Der digitale schaut auf den analogen Menschen herab | |
taz: Herr Floridi, in Ihrem jüngsten Buch „Die 4. Revolution“ vergleichen | |
Sie die Revolution, die die Computertechnologie ausgelöst hat, mit der von | |
Kopernikus, Darwin und Freud. Warum halten Sie das für so wichtig? | |
Luciano Floridi: Vor 20 Jahren ist die digitale Revolution, die | |
Computerrevolution, als rein technologische beschrieben worden. Es ging um | |
die tollen Dinge, die wir tun können – schneller, besser, mehr, anders. Sie | |
wurde verglichen mit der Revolution, die das Rad oder der Buchdruck | |
ausgelöst haben. Das Internet wurde als Massenmedium missverstanden. | |
Und worum geht es eigentlich? | |
Unser Selbstverständnis verändert sich. Wir verbringen den größten Teil | |
unseres Lebens in einer Umwelt, die von Technologie erschaffen wurde – man | |
lebt zwar nicht in Massenmedien, aber online. Wir müssen darüber reden, wie | |
diese neue informationelle Gesellschaft gestaltet werden soll. | |
Sie haben auf der re:publica am Montag mit Edward Snowden diskutiert. Ist | |
er nicht das perfekte Beispiel für ein Leben, das untrennbar verknüpft ist | |
mit Informationstechnologie? | |
Ganz sicher. Snowden hat den Übergang vom Analogen ins Digitale bereits | |
komplett vollzogen. Er gehört zur neuen Stufe der Zivilisation: der | |
digitalen. | |
Was ist mit denen, die keinen Zugang zum Internet haben? | |
Es gibt diesen digitalen Graben – der die Menschen, die in dieser | |
Infosphäre leben, von denen trennt, die draußen bleiben. Aber das Leben von | |
denen außerhalb ist stark beeinflusst von dem auf der anderen Seite der | |
Welt. Welche Rolle das spielen kann, sehen Sie zum Beispiel in Indien, wo | |
Facebook das Internet halb gratis raushauen wollte – und die Regierung das | |
abgelehnt hat, wegen mangelnder Netzneutralität. Hier geht es darum, wer | |
Gatekeeper für Informationen in unseren Gesellschaften sein soll. Die, die | |
drinnen sind, bestimmen über das Leben derer, die es nicht sind. | |
In den letzten Jahren gab es im Bereich der künstlichen Intelligenz große | |
Fortschritte – denken wir an die Google-Maschine AlphaGo. Sie bezweifeln | |
trotzdem, dass es starke künstliche Intelligenz geben kann. | |
Wenn Sie mich fragen, ob ich das für unmöglich halte, ist die Antwort nein. | |
Ich kann es nicht ausschließen. Aber glaube ich, dass es passiert? Nein. | |
Denn es würde einen ganz dramatischen Wandel in der Technologie | |
voraussetzen, den wir uns nicht einmal vorstellen können. Das ist reine | |
Spekulation. Ganz ehrlich: Echte künstliche Intelligenz, so wie im Film | |
„Terminator“ – das ist ein Witz. Ich verstehe nicht, warum Leute ernsthaft | |
glauben, dass wir kurz davor stehen. Denn das letzte Mal, als ich | |
nachgeschaut habe, da konnte mein Computer sich nicht einmal mit meinem | |
Drucker verbinden, obwohl der direkt daneben stand. | |
Den Einsatz von dummen Maschinen halten Sie auch für gefährlich? | |
Momentan sehe ich vor allem ein fundamentales Risiko: die große Verführung, | |
an Maschinen zu delegieren. Und zwar Aufgaben, die nicht delegiert werden | |
sollten. Nicht weil die Maschinen es nicht können – sondern weil man | |
immense Fehler machen kann. Zum Beispiel wenn Algorithmen entscheiden, ob | |
man einen Kredit bekommt und zu welchen Konditionen. Der Bankkaufmann, der | |
vor ihnen sitzt und die Daten in eine Maske eintippt, kann weder ihnen noch | |
sich selbst erklären, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist. Es ist | |
eine magische Box. | |
Da ist die Frage natürlich: Wer hat hier die Handlungsmacht? | |
Ist die Maschine das Problem – oder der Idiot hinter der Maschine, der sie | |
für diese Sachen verantwortlich gemacht hat und das alles zulässt. Man gibt | |
Zahlen ein, dreht die Kurbel, und das ist, was man herausbekommt. Aber | |
irgendjemand hat diesen Algorithmus ja erschaffen. Jemand hat ihn | |
implementiert. Und jemand hat sich über all das nicht beschwert. Das waren | |
alles Menschen. In den USA, aber auch in Großbritannien kommen zunehmend | |
Predictive-Policing-Systeme zum Einsatz – eine Software, die Polizeiarbeit | |
unterstützt, indem sie voraussagt, wo es Straftaten geben könnte. | |
Unglücklicherweise arbeitet dieses System mit einem Algorithmus, der für | |
die Vorhersage von Erdbeben programmiert wurde. Und nun sagt die Software | |
eben nicht voraus, wo bald ein Erdbeben stattfinden wird, sondern das | |
nächste Verbrechen. So dass die Polizei ihre Ressourcen dort konzentriert. | |
Damit erzwingt man Wechselwirkungen. | |
Was meinen Sie damit? | |
Soziale Interaktionen sind keine Erdbeben. Erdbeben passieren – und man | |
kann nichts dagegen tun. Man kann damit umgehen, sie aber nicht vermeiden. | |
Gegen soziale Muster kann man etwas tun. Darum geht es bei Freiheit: Man | |
interveniert in der Gesellschaft. Man ändert ökonomische, soziale | |
Bedingungen – und plötzlich gibt es kein Verbrechen. Aber wenn man soziale | |
Muster wie Muster für Erdbeben behandelt – dann gibt man diese Freiheit, | |
Dinge zu verändern, auf. Das ist furchtbar. Wollen wir wirklich in diese | |
Richtung gehen? Unglücklicherweise ist es ziemlich wahrscheinlich, dass das | |
passiert. Weil wir faul sind. | |
Was ist die Lösung? | |
Zum einen brauchen wir sicherere Programmierung. Bei automatischen | |
Waffensystemen wäre es zum Beispiel am besten, sie erst gar nicht zu bauen. | |
Aber wo das nicht möglich oder einfach schon zu spät ist, müssen wir | |
Menschen zwei, drei Kontrollinstanzen einbauen. Nicht weil ich glaube, dass | |
Menschen intelligenter sind. Sondern weil sie Zweifel haben. Nachfragen. | |
Ein dummes Beispiel: AlphaGo, dieser Algorithmus, der in den letzten Wochen | |
in der Presse war, gewinnt Go. Jeden Tag. Er wird nicht aufhören. Würde ein | |
Feuer in dem Raum ausbrechen, in dem das Spiel stattfindet – dann würde der | |
Mensch, gegen den er spielt, aus dem Raum rennen. Der Computer spielt | |
weiter – und wird mit dem gesamten Gebäude abbrennen. Herzlichen | |
Glückwunsch. Ist das die Intelligenz, über die wir reden? Natürlich nicht. | |
Also stehen Sie auf der Seite von Technikpessimisten, die es ohnehin für | |
eine schlechte Idee halten, Computer so tief in unser Leben zu lassen? | |
Bis zu einem bestimmten Grad ja. Ich will zumindest sehen, dass jemand | |
formuliert, das etwas eine schlechte Idee ist. Diese ganze Debatte über | |
Maschinenethik in der Verteidigungsindustrie: Es gibt zahlreiche Programme | |
– besonders eines in den USA, die Möglichkeiten untersuchen, wie man | |
ethische Regeln in unbemannte Waffensysteme wie Drohnen implementieren | |
kann. Das ist eine derartig schlechte Idee! | |
Warum? Hört sich doch erst einmal besser an als eine Maschine ohne solche | |
Regeln. | |
Das ist, als würde man der AlphaGo-Maschine beibringen, den Raum zu | |
verlassen, wenn ein Feueralarm losgeht. Dann wäre sie auf einen Rohrbruch | |
aber immer noch nicht vorbereitet. Wir sollten einfach vorsichtig sein, was | |
wir bauen. Algorithmen sind und können gefährlich sein. Sie werden unser | |
Leben bestimmen. Und wir passen uns an sie an. Nicht sie an uns. | |
Ist also alles einfach nur schlimm? | |
Ich bin ziemlich optimistisch, was die Vorteile angeht: Wir können | |
Maschinen bauen, die uns zu Diensten sind. Wir können sicherstellen, dass | |
Dummheit für Intelligenz arbeitet – und zwar für unsere. Aber tun wir das | |
auch? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich fürchte, wir bewegen uns in die | |
entgegengesetzte Richtung. | |
3 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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