# taz.de -- Ausstellung über Whistleblower: Die Spione sind gerade nicht im B�… | |
> Der Medienkunstverein Hartware zeigt in Dortmund „Whistleblower & | |
> Vigilanten“. Eine Sammlung von „Figuren des digitalen Widerstands“. | |
Bild: Videostill aus der Arbeit „The United States vs. Pvt. Chelsea Manning�… | |
Ganz rechts hinten, sozusagen an einem Ende der Dortmunder Ausstellung | |
„Whistleblower & Vigilanten“, geht es um Verschwörungstheorie. Da kann man | |
die Probleme erkennen, die sich ergeben, wenn Unrechtsempfinden und | |
Selbstermächtigung, das Internet und deklamatorische Selbstvergewisserung | |
mit US-amerikanischer Überdrehtheit zusammenkommen und in eine Art | |
Messianismus umgekippt sind. | |
Dann sagen Menschen so traumwandlerisch tolle Sätze wie die junge Frau aus | |
dem Video von Dominic Gagnon: „They created the Franken-Salmon. Genetically | |
modified. And you know what that means. They are not going to stop at | |
salmon. They never do!“ | |
Dominic Gagnon, ein Filmemacher aus Quebec, hat in seinem Film „Pieces and | |
Love All to Hell“ (2011) Splitter aus der bunten YouTube-Welt zu einem | |
Kaleidoskop der Verschwörungstheorie und der weiblichen Warner vor der | |
Apokalypse zusammengeschraubt. Direkt daneben blaffen Männer in ihre | |
Webcams: „RIP in Pieces“ (2009). | |
Beide Filme waren schon auf der Transmediale 2010 und 2012 zu sehen, nun | |
korrespondieren sie und bilden gemeinsamen einen Beitrag zum Begriff des | |
Vigilantismus. Dieser „legitimiert sich“, formulieren die Dortmunder | |
Ausstellungsmacher Inke Arns und Jens Kabisch, „selbst durch ein rein | |
subjektives Rechtsempfinden und bestraft, was nicht seiner individuellen | |
Weltanschauung entspricht.“ | |
Ein Vigilant ist wohl auch der Ted Kaczynski, in dessen faksimiliertem | |
Manifest man eine beängstigend saubere Handschrift erkennen kann – er | |
korrigierte es im Gefängnis, nachdem er 17 Jahre als Unabomber ganz | |
undigital Bomben verschickt hatte. Anders Breivik taucht im Dunstkreis des | |
Vigilantismus auf, der Rechtsradikalismus ist auch so eine Widerstandsfigur | |
unserer Zeit. | |
Gegenüber, am anderen Ende der Ausstellung, sind Lebensgeschichten, | |
Dokumente, Fernsehbeiträge über Whistleblower wie Edward Snowden, William | |
Binney, Jesselyn Radack und etliche mehr gesammelt: Menschen, die auf | |
irgendeiner Weise am Staatsbetrieb beteiligt waren, die Kleinigkeiten der | |
Arcana Imperii besorgt hatten und dann mit der modernen Pfeife dagegen | |
rebellierten. Sie spielten der Presse Material über Unrecht zu, kämpften | |
mit Rechtsmitteln, waren Zeugen. | |
## Der seiner Knechtschaft entflieht | |
Motiviert durch die Hoffnung auf eine Gerechtigkeit jenseits der Gesetz, | |
sahen sie sich frei, ganz so wie einst schon Seneca schrieb, „nicht nach | |
dem römischen Recht, sondern nach dem Naturrecht. Frei ist der, der seiner | |
Knechtschaft entflieht.“ | |
Zwischen diesen Enden oszilliert die Dortmunder Schau, mit einigem Material | |
auf engem Raum. Videokollagen, Dokumentarfilme, Beiträge, Unterlagen nähern | |
sich dem Komplex über einzelne Figuren und Gruppen des Widerstands. Dabei | |
sind Gerichtsmalerei aus dem Prozess über Chelsea Manning zu sehen, sehr | |
viele Produkte der Medienmaschinerie, Videokunst: Ein kuratorisch | |
schärferer Zugriff hätte der Ausstellung gutgetan. | |
So fügt der überschaubare Raum allerlei Disparates und vielfach | |
Interessantes unter dem Begriff des digitalen Widerstands zusammen. Dessen | |
Ideengeschichte muss man sich zu Hause aneignen. Auch Gedanken über den | |
Staat in postdemokratischen Zeiten, über das wohl unhaltbare Versprechen | |
staatlicher Transparenz, macht man sich dann eher allein. | |
In Dortmund tritt staatliches Begehren nur als fadenscheinig ummanteltes | |
Überwachungsinteresse hervor. Dazu nur in Schlaglichtern, in denen wir auf | |
technische Renitenz schauen. Es fehlen Chronologien und Kontext, genauso | |
wie die Technikhistorie. Eingeordnet wird hier eher nichts. Sehr sichtbar | |
ist das an einer Arbeit von Trevor Paglen, seine Abzeichen geheimer | |
Militäreinheiten sind hübsch zu sehen. Paglens Arbeiten aber leben von | |
Recherche, von Zusammenhängen, die hier im Dunkeln bleiben. | |
## Wenig Analyse | |
Die Ausstellung reiht Beispiele, Anwendungen digitalen Widerständler | |
aneinander, sortiert sie grob in überlappenden Motivationssphären. Ein | |
Überblick, Video, Stimmen, wenig Analyse. Dann gibt es aber wirklich gute | |
Schminktipps, die man befolgen sollte, wenn man unerkannt durch den | |
öffentlichen Raum kommen will. | |
Seine Fragen könnte man dann mit einem Angestellten des Verfassungsschutzes | |
besprechen, direkt aus der Dortmunder Ausstellung. Dazu muss man nur an | |
eine UN-Blauhelm- blaue Wand mit der hipsterfeinen Inschrift „Call-a-Spy“ | |
herantreten: Man kann an einem weinroten Telefon vorgegebene Nummern | |
wählen, idealerweise, verspricht das Pengg-Kollektiv, meldet sich am | |
anderen Ende dann ein Spy, oder ein Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes. | |
Ja, doch, versichert das Kassenpersonal, sie hätten schon einer jungen Frau | |
zugeschaut, die mit starrem Gesichtsausdruck jemanden zur Kündigung | |
überreden wollte – die Instruktionen dafür hatte sie ja vor der Nase. | |
Jetzt, Samstagnachmittag, kurz vor Bundesliga-Anpfiff, ist niemand zu | |
erreichen. Die Spione sind gerade nicht im Büro. | |
25 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Lennart Laberenz | |
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