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# taz.de -- Dokufilm über Edward Snowden: Unsere protokollierte Welt
> Seit über einem Jahr kennt die Welt Edward Snowdens Gesicht. Jetzt
> erzählt Laura Poitras in „Citizenfour“ mit kühler Präzision seine
> Geschichte.
Bild: US-Journalist Glenn Greenwald schrieb im „Guardian“ erstmals über Ed…
Lichtpunkte ziehen durch die Schwärze der Nacht, durch die Schwärze des
Filmbilds. Was sich als Beleuchtung eines Verkehrstunnels entpuppt, lässt
sich einen Moment lang auch als Visualisierung einer codierten Nachricht
deuten, die, für Menschen zunächst nicht entzifferbar, für Maschinen umso
lesbarer, durchs Netz zieht.
Was sie verrät und vorenthält bleibt ohne Schlüssel unklar. Verschlüsselt
waren auch die brisanten Nachrichten zwischen einem gewissen
„[1][Citizenfour]“, Deckname des Whistleblowers Edward Snowden, und der
Dokumentarfilmemacherin Laura Poitras. Die zunächst zaghafte Korrespondenz
führte zur Aufdeckung der NSA-Aktivitäten.
Auszüge daraus sind nun im Klartext und ebenfalls weiß auf schwarz in
Poitras’ Dokumentarfilm „Citizenfour“ zu sehen. Immer wieder verdeutlicht
sich dabei, dass in einer Welt, in der Kommunikation weitgehend über Kanäle
läuft, die nicht ohne Weiteres als unkorrumpiert gelten können, die Art und
Weise von Kommunikation entscheidend ist: Die brisantesten Informationen
werden am Ende des Films an Maschinen, also auch an Poitras’ Kamera und
Mikrofone vorbei von Angesicht zu Angesicht per Kugelschreiber und Papier
ausgetauscht und im Nu aus der Welt geschafft: Schlusspunkt einer
begründeten Paranoisierung im Zeitalter von NSA und GCHQ.
„Citizenfour“ rekonstruiert die Ereignisse im Juni 2013. Eine historische
Zäsur, die vielleicht die Welt nicht änderte, doch ein für allemal unsere
Perspektive darauf: Mit täglich neuen Details deckt der US-Journalist Glenn
Greenwald in der britischen Tageszeitung Guardian erstmals das Ausmaß der
NSA-Schnüffeleien auf.
Die Weltöffentlichkeit steht Kopf, die US-Regierung übt sich in
Schadensbegrenzung. Hysterie und Beschwichtigung, Angriff und Gegenangriff:
Die Stunde null der Offenlegung unserer de facto protokollierten Welt. Mit
jedem neuen Detail über das Ausmaß der faktischen Totalüberwachung unserer
Kommunikation wird eine bis dahin lediglich schwelende Ahnung mehr und mehr
zur Gewissheit: Im Stillen und aus einer Ideologie reiner Machbarkeit
heraus hat sich mit den Big-Data-Silos der NSA die ultimative Waffe gegen
jede Form von insbesondere für eine Demokratie notwendigem Widerstand
gebildet.
## Das ikonische Gesicht
Ein Staat im Staat, verschanzt hinter einem aggressiven Abwehrmechanismus,
der sich nicht nur gegen die eigenen Bürger richtet und auf
Langzeiteffizienz zielt: Was heute als unerhebliche Information gilt, führt
spätestens unter Bedingungen eines drakonisch-autoritären Systems zu
Begehrlichkeiten mit weitreichenden Folgen.
Mit dem NSA-Zuarbeiter Edward Snowden erhält die Affäre wenig später ihr
ikonisches Gesicht: Ruhig und souverän stellt er sich und sein Anliegen der
Weltöffentlichkeit in einem Videointerview aus der Anonymität eines
Hotelzimmers heraus vor. Die Aufnahmen stammen von Poitras, neben Greenwald
Snowdens engster Vertrauten.
Mit großen Mengen weiteren Videomaterials aus jenen Tagen dokumentiert
„Citizenfour“ die ersten Begegnungen zwischen Snowden, Poitras und
Greenwald in der Beengtheit eines Hongkonger Hotelzimmers kurz vor dem
großen Coup. Die weltverlorene Abgeschiedenheit dieses anonymen Raums
bildet einen beeindruckenden Kontrast zum globalen Medienwirbel, der diesen
Sitzungen im kleinen Kreis folgt: Die Basisarbeit des größten
journalistischen Coups aller Zeiten wird mit rudimentärem Equipment
zwischen Hotelbett und Stuhl geleistet.
Trotz allen aktivistischen Ambitionen: Süffiger Polit-Boulevard à la
Michael Moore ist das nicht. Poitras arbeitet kühler, mit fast meditativer
Präzision. Wer die Snowden-Reportagen aus dem Rolling Stone oder Wired
kennt, erfährt zwar kaum Neues. Doch besticht „Citizenfour“ als
historisches Dokument und Konkretisierung des unmittelbaren, noch
unsortierten Ausgangspunkts des heutigen Stands der Dinge.
## Decke überm Kopf
Was sich in den Reportagen spannend wie ein Agententhriller liest, erfährt
in Poitras’ Videomaterial eine situative Rückbindung: Snowden ist nervös,
die paranoide Atmosphäre steht sirupdick im Raum. Überraschende
Feueralarm-Proben im Hotel machen jede Fassung zunichte, beim Hantieren mit
seinem Rechner wirft Snowden sich eine Decke über den Kopf, nicht zuletzt
tadelt er Greenwald für seine laxe Passwort-Politik.
Auch von heute aus betrachtet entwickelt dieser Rückblick auf den finalen
Augenblick der Pre-Leak-Ära einen beträchtlichen Sog. Am Ende bestätigt
sich – wenn dem Film zu glauben ist – ein die NSA-Debatte seit längerem
begleitendes Gerücht: So gibt es wohl noch einen Whistleblower, über dessen
Position und Tragweite seines Handelns selbst Snowden stutzt. Mit weiteren
Details hält sich Laura Poitras Film bedeckt. „Citizenfour“ bleibt damit
Passage und Episode: Der größte Paranoia-Thriller unserer Tage ist noch
nicht zu Ende erzählt.
5 Nov 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=XiGwAvd5mvM
## AUTOREN
Thomas Groh
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