| # taz.de -- Werberoboter von IBM: „Watson“ weiß, was du brauchst | |
| > Suppenhersteller Campbell’s wirbt jetzt mit künstlicher Intelligenz. Das | |
| > klingt, als hätte die Zukunft endlich angefangen. Ist aber nicht so. | |
| Bild: Ja, IBM ist noch im Geschäft – mit Datenbanken, die Jeopardy spielen u… | |
| Es ist ein kalter, regnerischer Abend, Sie kommen nach Hause, klappen Ihren | |
| Laptop auf – und das Erste, was Sie sehen, ist Werbung für eine kräftige | |
| heiße Suppe. Oder angenommen, Sie haben nur noch Tomaten im Kühlschrank, | |
| Sellerie, einen Kürbis und etwas Milch. Sie sprechen diese Zutaten in das | |
| Mikro Ihres Handys, auf dem Ihnen dann ein paar Rezepte angezeigt werden, | |
| natürlich passend zur Jahres- und Tageszeit. | |
| Wenn das funktioniert, dann befinden wir uns nicht in irgendeinem Jahr um | |
| 2023, sondern im Herbst 2016, in dem sich der US-Suppenhersteller | |
| Campbell’s mit dem IT-Konzern IBM zusammengetan hat. Mit der Mission, | |
| individualisierte Werbung auszuspielen. Also jedem Nutzer individuelle | |
| Angebote zukommen zu lassen – etwa Rezepte vorzuschlagen – und so auf ihn | |
| einzugehen, basierend auf seinem Standort, der Tageszeit und auf | |
| Informationen, die er in das Mikrofon spricht. | |
| „Watson Ads“ heißt die Plattform, die das alles ermöglicht. Sie wurde | |
| Anfang Oktober von der IBM-Tochter Weather Company frisch gelauncht und | |
| befindet sich momentan noch in der Betaphase. Vollmundig prahlen die Macher | |
| jetzt natürlich, dass man sich daranmache, eine „neue Grenze der Werbung“ | |
| einzureißen. „Disruption“ heißt das im Sprech der Digitalwirtschaft, also | |
| per Innovation alte Geschäftsmodelle komplett überflüssig machen – darunter | |
| macht man es unter US-Techfirmen schon längst nicht mehr. | |
| ## Sprachlich fit | |
| „Watson“ wiederum heißt bei IBM alles, was der US-amerikanische Konzern im | |
| Bereich der künstlichen Intelligenz unternimmt. Ein Name, der nicht auf den | |
| Sidekick von Sherlock Holmes verweist, sondern auf Thomas J. Watson, den | |
| ersten Präsidenten von IBM. | |
| So hieß schon die Maschine, die 2011 erstmals einen Menschen bei „Jeopardy“ | |
| besiegte. Das ist bemerkenswert, und zwar deshalb, weil künstliche | |
| Intelligenzen Sprache umfassend analysieren und verstehen können müssen, um | |
| bei dem trickreichen Frage-und-Antwort-Spiel zu gewinnen. | |
| 40 Watson-Komponenten gibt es inzwischen. Sie kommen etwa zum Einsatz, um | |
| herauszufinden, welche Arzneistoffe gegen welche Krankheiten helfen. Sie | |
| überwachen soziale Medien, um zu verstehen, welche Produkte derzeit im | |
| Trend liegen. Sie helfen dabei, Kinder mittels eines dinosaurierförmigen | |
| Lernroboters zu bespaßen. Oder dabei, digitale Angriffe zu erkennen und zu | |
| bekämpfen. Öffentlichkeitswirksam wird auch vermeldet, dass Watson | |
| selbstständig den Trailer für einen Kinofilm geschnitten habe. Oder dass er | |
| als US-Präsidentschaftskandidat nominiert werden sollte. | |
| Dennoch: Der Große Sprung in der künstlichen Intelligenz ist das nicht. Es | |
| handelt sich immer noch um sogenannte Expertensysteme – also Systeme zur | |
| Lösung bestimmter, eng umgrenzter Aufgaben. Obendrein müssen sie von | |
| Menschen trainiert werden. Mit den Fantasien, die viele mit starker | |
| künstlicher Intelligenz verbinden, hat das noch nichts zu tun. Von | |
| Maschinen, die eigenständig Daten so kombinieren, dass sie Krebs heilen, | |
| oder die von Menschen bislang ungelöste Probleme knacken: davon sind die | |
| Watsons noch weit, weit entfernt. | |
| ## Reklame, die mitdenkt | |
| Watson Ads stützt sich auf zwei technische Bereiche: Maschinelles Lernen | |
| und Natural Language Processing, also Sprachverständnis von Maschinen, | |
| Bereiche an denen IBM gezielt arbeitet. | |
| Computer, die das draufhaben, können Fragen verstehen, die die Konsumenten | |
| über das Werbe-Interface stellen – etwa wenn jemand „Verträgt mein Sohn | |
| dieses Medikament?“ in ein Mikrofon spricht oder in ein Gerät eintippt. Die | |
| kreative Umsetzung derartiger Werbekampagnen wird jedoch nicht | |
| automatisiert, sie liegt weiter in den Händen von Agenturen. Watson Ads | |
| stellt lediglich die Schnittstelle zu seiner künstlichen Intelligenz zur | |
| Verfügung. Diese kann dann Daten wie Wetter und Tageszeit mit Informationen | |
| über menschliche Bedürfnisse verknüpfen – etwa darüber, was die meisten | |
| Menschen bei Regenwetter gern essen. | |
| Im ersten Schritt wird Watson Ads nur auf Seiten verfügbar sein, die zur | |
| Weather Company gehören – der App des Wetterkanals weather.com zum | |
| Beispiel. Man will die Technologie aber auf andere Marketingkanäle | |
| ausweiten. Weitere Firmen werden bald mit eigenen Kampagnen antreten, bei | |
| denen sie auf Watson Ads zurückgreifen werden. So will ab Ende Januar das | |
| britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline sein Grippemittel Theraflu auf | |
| diese Weise bewerben; auch Autohersteller Toyota und Unilever arbeiten an | |
| der intelligenten Reklame. | |
| ## Daten, Daten, Daten | |
| Interessant an dem Ansatz ist vor allem die Idee dahinter. Bisher wird der | |
| Erfolg digitaler Werbung meist daran gemessen, wie häufig darauf geklickt | |
| wird. Marketing versucht entsprechend, mithilfe gigantischer Datenmassen | |
| die relevantesten Zielgruppen für Anzeigen herauszufiltern. Dank all der | |
| Informationen, die Watson Ads durcharbeitet, ist es nicht nur möglich, mit | |
| der Werbung zu interagieren, sie ist auch auf die aktuellen Bedürfnissen | |
| des potenziellen Kunden zugeschnitten. | |
| Die andere Seite der Medaille: Durch jede Interaktion fallen neue Daten an | |
| – Daten, die gerade große Mischkonzerne wie GlaxoSmithKline und Unilever | |
| für die Vermarktung ihrer anderen Produkte recyceln können. | |
| 25 Oct 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Meike Laaff | |
| ## TAGS | |
| Marketing | |
| Big Data | |
| Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
| Roboter | |
| Roboter | |
| Bot | |
| Digitalisierung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Gespräch zwischen Computern: Talk to my Bit! | |
| Künstliche Intelligenzen haben eine eigene Sprache entwickelt, in der sie | |
| sich verständigen können. Die taz hat ein Gespräch protokolliert. | |
| Festival für Maschinenmusik in Berlin: Das Unbehagen vor dem Surren | |
| In Berlin findet das erste Festival für Maschinenmusik statt. Warum sind | |
| musizierende Roboter so faszinierend – und zugleich so befremdlich? | |
| Aus Le Monde diplomatique: Schwester Roboter | |
| Japan automatisiert Dienstleistungen. Es will den Bevölkerungsrückgang und | |
| Arbeitskräftemangel ausgleichen – ohne Einwanderung. | |
| Neuer Messenger von Google: Allo Google! Und Tschüss? | |
| Der US-Konzern hat einen neuen Textmessenger für Smartphones | |
| veröffentlicht. Wer alle Funktionen nutzen will, muss Google mitlesen | |
| lassen. | |
| Datenexperte über Social Bots: „Manipulation ist nicht so einfach“ | |
| In Online-Netzwerken wimmelt es von Social Bots – Software, die sich als | |
| Mensch ausgibt. Wie verändert das den öffentlichen Diskurs? | |
| Philosoph über Digitalisierung: „Algorithmen sind gefährlich“ | |
| Der Philosoph Luciano Floridi warnt: Wir passen unser Leben zu sehr der | |
| digitalen Welt an – und verlieren die Freiheit, die Gesellschaft zu | |
| verändern. |