| # taz.de -- Künstliche Intelligenz: Apocalypse soon | |
| > Superschlaue Computer lernen immer selbstständiger. Das sei eine tickende | |
| > Zeitbombe, sagt der Philosoph Nick Bostrom. | |
| Bild: Noch ist er klüger als die Lampe hinter ihm: Nick Bostrom | |
| Oxford taz | Es summt. Nur hörbar, sobald Nick Bostrom eine Redepause | |
| einlegt. Passender wäre, es würde ticken. Denn wenn Bostrom recht hat, | |
| dann sitzen wir auf einer Zeitbombe: der Künstlichen Intelligenz (KI). Was | |
| der Philosoph für unsere Zukunft mit superintelligenten Maschinen | |
| vorhersagt, ist nicht viel weniger als die Apokalypse. | |
| Bostrom vergleicht die Menschheit mit kleinen Kindern, die mit einer Bombe | |
| spielen. „Wir haben kaum eine Idee, wann die Detonation stattfinden wird“, | |
| schreibt er. „Aber wenn wir sie an unser Ohr halten, hören wir ein leises | |
| Ticken.“ | |
| Das Summen hingegen rührt von dem Dutzend Tageslichtlampen, mit denen | |
| Bostrom den kleinen Besprechungstisch in seinem Büro umstellt hat. In ihrer | |
| schieren Menge sind sie das einzig Exzentrische in dem sonst aufgeräumten | |
| Zimmer. Wohlgeordnet wie die Gedanken von Nick Bostrom. | |
| Superschlaue Computer könnten sich immer mehr Rechenkapazität, | |
| Speicherplatz und Wissen aneignen, um ihre Ziele zu erreichen. Sich Zugriff | |
| auf Rechenzentren verschaffen, die Kontrolle über die Infrastruktur | |
| übernehmen und alle Versuche, sie abzuschalten, durchkreuzen. Die | |
| Menschheit könnte die Superintelligenz auf dem Weg dahin auslöschen. Das | |
| ist zumindest ein Szenario – das Bostrom im Gespräch ganz ruhig in | |
| Nebensätzen hinwirft. | |
| „Superintelligenzen – Szenarien einer kommenden Revolution“ heißt sein | |
| Buch, das zum Bestseller in den USA wurde. Erstaunlich, weil es sich nicht | |
| nur ziemlich dröge liest, sondern auch noch einen Konjunktiv an den | |
| nächsten reiht. | |
| ## In Einklang bringen | |
| Bostroms Kernthese: Wahre Künstliche Intelligenz, die weit über jene | |
| Maschinen hinausgeht, die Menschen in Brettspielen schlagen, Auto fahren | |
| oder unsere Konsumbedürfnisse anzustacheln suchen, kann schnell unserer | |
| Kontrolle entschlüpfen. | |
| Bostrom will das verhindern. Er will heute schon anfangen, darüber | |
| nachzudenken, wie man diese Künstlichen Intelligenzen im Zaum halten kann. | |
| Oder besser noch: ihre Ziele mit unseren in Einklang bringen kann. Damit, | |
| argumentiert Bostrom, müsse man schon beginnen, während man sie | |
| konstruiert. „Wir wollen uns doch nicht später treten dafür, dass wir nicht | |
| früher damit angefangen haben“, sagt er in der wohlbeleuchteten Sitzecke | |
| seines Büros. | |
| „Future of Humanity Institute“ hat Bostrom die Einrichtung genannt, die er | |
| vor zehn Jahren gründete, um daran zu arbeiten. Angesiedelt ist sie im | |
| britischen Oxford, wo sich eine altehrwürdige Universität an die andere | |
| kuschelt. Jahrhunderte des Wissens und Denkens, gebettet in | |
| Sandsteinbauten, die aussehen wie Kulissen aus Harry-Potter-Filmen. | |
| Mittendrin, auf einer Etage direkt über einem Fitnessstudio in einem der | |
| wenigen gesichtslosen Neubauten des Stadtkerns, das Institut. Bostrom, | |
| gebürtiger Schwede, ist bis heute der Direktor. | |
| Er studierte Physik, Mathematik und diverse weitere Disziplinen. Ein | |
| Überflieger. Schmal, mit der Halbglatze, den Klamotten, die schon länger | |
| kein Bügeleisen gesehen haben, und dem Stoffgürtel wirkt er nicht wie | |
| jemand, der unnötig Zeit mit Äußerlichkeiten verschwendet. Sondern wie | |
| jemand, dessen Askese aus der Konzentration aufs Innere entspringt. Auf das | |
| Denken. | |
| ## Ein nüchterner Mann | |
| Abgesehen von dem noch immer leicht skandinavischen Zungenschlag, den er | |
| auch nach Jahrzehnten in Großbritannien noch nicht abgelegt hat, gibt es | |
| kaum einen Eindruck von dem Menschen Nick Bostrom. So exzentrisch seine | |
| Thesen auf viele wirken, so nüchtern der Mann dahinter. Nicht verbindlich, | |
| aber auch nicht unfreundlich. Nicht laut. Sparsam in Gestik und Mimik. | |
| Künstliche Intelligenz, damit wird heute so einiges bezeichnet. Inzwischen | |
| vergeht kaum ein Tag, ohne dass vermeldet wird, was einer solchen | |
| Künstlichen Intelligenz nun gelungen ist: Bilder malen. Den Unterschied | |
| zwischen Hunderassen auf Fotos erkennen. Ein Drehbuch schreiben. | |
| Anwaltsgehilfe werden. Einzelanwendungen, die darauf basieren, dass | |
| Maschinen auf immer größere Datensammlungen zurückgreifen können, mit immer | |
| besseren Prozessoren Verbindungen herstellen und daraus lernen. Tatsächlich | |
| verstehen oder gar denken, das ist bislang aber noch keiner Maschine | |
| gelungen. | |
| „Wir brauchen noch einige Durchbrüche, um Künstliche Intelligenz zu | |
| erreichen, die sich auf einem Level mit der menschlichen bewegt“, räumt | |
| auch Bostrom ein. Und dass man keine Ahnung habe, wie schwer diese | |
| Durchbrüche sein werden. Worte eines Mannes, der sich bewusst ist, dass er | |
| vorsichtig sein muss. Ist doch sein Forschungsgebiet so weit in die Zukunft | |
| gerichtet, dass seriöse wissenschaftliche Überlegungen und | |
| Science-Fiction-Humbug schnell zu verschwimmen scheinen. | |
| ## Von Stephen Hawking empfohlen | |
| Weswegen Bostrom nicht selbst schätzt, wann es soweit sein wird mit der | |
| Künstlichen Intelligenz auf Niveau des Menschen, sondern Praktiker aus der | |
| KI-Forschung befragte. Im Durchschnitt sagten sie ihm: Die Chancen, dass | |
| Computersysteme im Jahr 2040 so intelligent sind wie Menschen, stehen | |
| fifty-fifty. 2070 halten viele für noch wahrscheinlicher. Andere Forscher | |
| widersprechen – Bostroms Thesen, aber auch generell der Idee, dass dieser | |
| Sprung Maschinen je gelingen wird. Was den Philosophen Bostrom zu einer | |
| umstrittenen Figur in der KI-Forschung macht. Aber einer durchaus | |
| einflussreichen. | |
| Nobelpreisträger Stephen Hawking empfahl sein Buch ebenso wie | |
| US-Unternehmensvisionär Elon Musk. Führende IT-Konzerne suchen das Gespräch | |
| mit ihm und seinen Leuten. Bostrom spricht auf Konferenzen, eröffnete in | |
| diesem Jahr die deutsche IT-Messe Cebit. | |
| „Die erste ultraintelligente Maschine ist die letzte Erfindung, die die | |
| Menschheit machen muss“, schreibt er. Danach kann die Künstliche | |
| Intelligenz sich selbstständig machen. Sich selbst immer weiter verbessern. | |
| Neue Maschinen entwerfen. Sich selbst optimieren. Krebs heilen. Vernichten, | |
| was ihr im Weg steht. Fast gottgleiche Kräfte schreibt er | |
| Superintelligenzen zu. | |
| Bostrom könnte es sich auch einfacher machen. Sich mit Fragen beschäftigen, | |
| vor die Maschinen und ihre eng gesteckten Formen von Künstlicher | |
| Intelligenz uns schon heute stellen: Wie umgehen mit selbstfahrenden Autos? | |
| Wie stabilisieren wir Gesellschaften, wenn Maschinen uns die Arbeit | |
| wegnehmen? Welche ethischen Beschränkungen brauchen autonome Kampfdrohnen? | |
| Fragestellungen, auf die die Politik bald reagieren muss, ja, sagt | |
| Bostrom. Größeres Interesse hat er an diesen Diskussionen aber nicht, sagt | |
| er. „Mein Fokus liegt auf Längerfristigem.“ | |
| ## Explosion der Intelligenz | |
| Und so muss man mit Bostrom das „Was wäre, wenn“-Spiel spielen, neben dem | |
| Lampenwald seines Besprechungstischchens. Also: Gäbe es superschlaue | |
| Computer, macht es dann überhaupt noch einen Unterschied, ob eine Firma wie | |
| Google sie unter ihrer Kontrolle hat oder ein Staat? Kommt drauf an, sagt | |
| Bostrom. Zum einen darauf, ob wir die KI unter unsere Kontrolle bekommen. | |
| Und zum anderen, welche Ziele und Werte wir ihr einimpfen. | |
| Erreichen Maschinen aber erst einmal Intelligenz auf menschlichem Niveau, | |
| so Bostroms Argument, dann könnte es ganz schnell gehen, dass sie uns | |
| überflügeln. „Intelligenzexplosion“ nennt Bostrom das. Und meint damit den | |
| Zeitpunkt, an dem die Maschinen uns entgleiten könnten – indem sie ihre | |
| Vorteile gegenüber unseren biologischen Gehirnen ausspielen. | |
| Warum also nicht einfach einen Notausschalter für Künstliche Intelligenzen | |
| programmieren? „Auf so etwas sollten wir uns nicht verlassen“, sagt | |
| Bostrom. In seinem Gesicht zuckt kurz etwas auf. Eine sonst gut im Zaum | |
| gehaltene Ungeduld, Banalitäten wie diese Frage nun schon wieder erklären | |
| zu müssen. | |
| Superintelligente Agenten seien in der Lage, menschliche Handlungen und | |
| Strategien zu antizipieren, sagt er. Und sich zu widersetzen. Sie könnten | |
| Menschen überreden, sie nicht abzuschalten. Sie könnten sich Kontrolle über | |
| die Energieversorgung verschaffen oder sich einfach auf eine andere | |
| Hardware kopieren. „Das ist nicht wie ein kaputter Fernseher, den man | |
| einfach ausschaltet – und dann steht er da und wartet, was wir als Nächstes | |
| tun“, sagt er. „Die Idee von einem bösen Geist, der für immer in einer | |
| Flasche eingesperrt ist, erscheint nicht sehr vielversprechend. Früher oder | |
| später wird er einen Weg hinausfinden.“ | |
| Besser sei es, von Anfang an sicherzustellen, dass die Künstliche | |
| Intelligenz auf unserer Seite sei. „Eine Verlängerung unseres Willens und | |
| unserer Werte“, sagt Bostrom. Nur: Wie soll das gehen? | |
| Fragen dieser Art sind es, weswegen einige Künstliche-Intelligenz-Forscher | |
| Bostrom verabscheuen. Vor allem Wissenschaftler, die keine Anzeichen dafür | |
| sehen, dass das, was Bostrom beschreibt, jemals eintreten könnte. Die es | |
| nicht für möglich halten, dass Computer den Sprung vom reinen Kombinieren | |
| zum Denken schaffen – und Bostroms Thesen somit als wichtigtuerisches | |
| Zukunftsgeraune abtun. | |
| Bostrom entgegnet: Lieber zeitig mit diesen Überlegungen anfangen, als | |
| später ohne Lösung dazustehen. Er ist davon überzeugt: Sich jetzt einen | |
| festen Satz ethischer Grundsätze auszudenken, die man in die Künstliche | |
| Intelligenz einschreibt, das sei keine gute Idee. Besser wäre es, | |
| Künstliche Intelligenzen durch Beobachtung lernen zu lassen, was wir wollen | |
| und meinen, welche Ziele wir verfolgen. | |
| ## Die optimale Denkleistung | |
| Es wäre leicht, von Bostrom das Bild eines Sonderlings zu zeichnen. | |
| Porträts über ihn strotzen vor Details, die das zu untermauern suchen. Ein | |
| Mann, der sich am liebsten flüssig von Smoothies ernährt, dessen Laster | |
| Nikotin-Kaugummi-Kauen ist – alles im Dienste der optimalen Denkleistung. | |
| Ein Workaholic, der zur Partnerin und dem Sohn in Kleinkindalter eine | |
| transatlantische Fernbeziehung pflegt. Der einem Verein angehört, der die | |
| Leichen seiner Mitglieder nur Stunden nach dem Tod einfriert und einlagert | |
| – für den Fall, dass man sie später wiederbeleben kann. | |
| Näher bringen solche Details einem den Menschen Bostrom aber nur, wenn man | |
| versteht, was dahintersteht. Bostrom hat sich intensiv mit Transhumanismus | |
| beschäftigt – einer philosophischen Bewegung, die die Natur nicht als Krone | |
| der Schöpfung begreift, sondern eine Verschmelzung von Menschen und | |
| Technologie anstrebt. Im positiven Sinne. Ein Widerspruch zu Bostroms | |
| apokalyptischen KI-Prognosen? Für ihn nicht. Er spricht lieber von zwei | |
| Möglichkeiten. Abwägung. Wahrscheinlichkeiten. Prozente. Bostrom, ein | |
| Kopfmensch. | |
| Der im Gespräch nun ganz neu ansetzt. Darüber spricht, was passieren würde, | |
| wenn nicht eine, sondern gleich mehrere Künstliche Intelligenzen | |
| gleichzeitig den Menschen überflügeln würden. Bostrom redet sich heiß über | |
| die evolutionären Dynamiken, die in der Wechselwirkung dieser Maschinen | |
| dann entstehen würden. | |
| Würden. Könnten. Müssten. Die Lampen im Hintergrund, sie hören nicht auf zu | |
| surren. | |
| 24 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Meike Laaff | |
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