| # taz.de -- Sascha Lobo über die re:publica: Ganz schön erwachsen | |
| > Am Monag startet in Berlin die zehnte re:publica. Aus dem Bloggertreffen | |
| > ist eine professionelle Großkonferenz geworden. | |
| Bild: Sascha Lobo ist ein gefragter Konferenzredner und greift deshalb für wen… | |
| Erwachsenwerden ist das große Thema von Sascha Lobo, bei diesem Frühstück | |
| in einem Berliner Café. In gut einer Woche startet die zehnte re:publica. | |
| „Mein digitales Erwachsenwerden ist parallel verlaufen zum Erwachsenwerden | |
| der re:publica“, sagt Lobo, im vergangenen Jahr 40 geworden, zwischen zwei | |
| Gabeln voll irgendetwas mit Schinken Umwickeltem. | |
| Früher, da hat dieser Sascha Lobo auf der re:publica Spaßvorträge gehalten. | |
| Sie hießen „Powerpoint-Karaoke“ oder „Domain-Name-Scrabble“. Einmal wa… | |
| mitten in seinem Vortrag den Zufallschatdienst Chatroulette an – und | |
| überraschte den Gesprächspartner am anderen Ende damit, dass gerade | |
| hunderte Menschen zusahen, wie dieser seinen nackten Penis vor der Webcam | |
| massierte. Dann kam, was Lobo seine „Weiterentwicklung“ nennt – über sei… | |
| bis dato sehr positive Haltung dem Internet gegenüber hinaus. Dieser Lobo | |
| sezierte monatelang in seiner politischen Spiegel-Online-Kolumne die | |
| Snowden-Enthüllungen. Er, der früher launig über Trolle im Netz sprach, | |
| stritt nun mit AfDlern im Fernsehen. Und hielt auf der re:publica Reden | |
| über die „Lage der Nation“. | |
| Nicht mehr – so wie anfangs – vor Hunderten, sondern vor Tausenden. Denn in | |
| derselben Zeit hat sich auch die re:publica gewandelt – von dem ersten | |
| kleinen Bloggertreffen im Jahr 2007 mit 700 Teilnehmern zu einer Konferenz | |
| über die digitale Gesellschaft, die ab heute mehr als 8.000 Besucher | |
| erwartet. Mehr als verzehnfacht in zehn Jahren. | |
| Einst war die re:publica ein Klassentreffen aller, die sich um das Netz | |
| sorgten – vor allem aber ein paar Tage Spaß miteinander haben wollten. | |
| Jetzt bespielt die Konferenz 17 Bühnen parallel – von der Schalte zu Edward | |
| Snowden über Virtual Reality bis hin zu Modethemen. Noch immer hat alles | |
| irgendwie mit dem Netz zu tun. Aber was hat das schon nicht, in unserem | |
| durchdigitalisierten Alltag? | |
| ## Keine Subkultur mehr | |
| Sascha Lobo gehört zu den Veteranen der Konferenz. Er war oft eine Art | |
| Keynote-Sprecher. Verändert haben sich beide deutlich: re:publica wie Lobo. | |
| Sind reifer geworden, breiter aufgestellt. „Aufgespreizt“, sagt Lobo und | |
| meint, dass sich Themen wie Publikum diversifiziert haben. | |
| Seine persönliche Entwicklung sei nötig gewesen, sagt Lobo. Schon „weil wir | |
| mitten in einer riesigen digitalen Transformation stecken von fast allem – | |
| Gesellschaft, Kultur, Politik, Wirtschaft“. Die Weiterentwicklung der | |
| re:publica nennt er „folgerichtig“, weil das Digitale von einer Subkultur | |
| zur gesamtgesellschaftlich relevanten Kultur geworden sei. | |
| Doch mit der Ausdifferenzierung und dem Erwachsenwerden ist auch vieles | |
| komplizierter geworden. Früher war klar, wer sich auf der re:publica traf: | |
| „Wir Blogger“, sagt Lobo. „Männer um die 30.“ Damals war ein Konto bei | |
| Twitter noch ein Distinktionsmerkmal. Ende der nuller Jahre lud Lobo seine | |
| Follower an einem der re:publica-Abende zur Party in seine Wohnung ein. | |
| Lobo, das war damals einer der Größten im kleinen deutschen | |
| Twitter-Universum. Heute alles relativ. „Ich habe schmale 360.000 Follower | |
| – YouTuberinnen, die über Mode berichten, die außerhalb ihrer Szene niemand | |
| kennt, haben das Dreifache von mir.“ Instrumente, die die Szene anfangs | |
| quasi für sich hatte, seien jetzt in die Gesellschaft eingesickert. | |
| Wer also ist es, der und die sich heute auf der re:publica versammeln? | |
| Immer noch die „Netzgemeinde“? | |
| Den Begriff weist Lobo zurück. Weil es die immer nur mit 29 | |
| Anführungszeichen gegeben habe. Eine Art gefühlte Gemeinsamkeit habe es | |
| unter diesen „digital Engagierten“ gegeben, sagt er. Auch wenn sie nie eine | |
| feste Gruppe gewesen seien, habe man gespürt, „dass es Engagement braucht, | |
| weil so viel in die falsche Richtung läuft – netzpolitisch, aber auch in | |
| der Entwicklung der Gesellschaft auf digitaler Ebene“. Inzwischen aber | |
| hätten sich Netzleute und Gesellschaft so sehr aufeinander zubewegt, dass | |
| fraglich wäre, ob diese Trennung überhaupt noch so sinnvoll sei. | |
| Und der Nachwuchs? Lobo sagt, er erkenne da kein Problem. Und das, obwohl | |
| er in einem Jahr seine re:publicaner warnte, sie sollten den Anschluss zur | |
| Youtube-Generation nicht verpassen. Genau die sieht man aber kaum, auf der | |
| gesamten Konferenz – wenn sie nicht gerade aufs Podium geladen ist. Ein | |
| wenig neigt die re:publica dazu, mit ihren Machern zu reifen. Vielleicht | |
| hat man die Jugend aber auch nur ausgelagert: auf das | |
| Teenie-Internettreffen TinCon, das die re:publica-Macher Johnny und Tanja | |
| Haeusler noch im Mai erstmals in Berlin veranstalten. | |
| ## Die Ernüchterung nach Snowden | |
| Und doch hat die Konferenz inzwischen Strahlkraft entwickelt. Klar, vieles, | |
| was die Szene dort in der vergangenen Dekade verhandelte, modert heute auf | |
| Friedhöfen der vergessenen Meme und Internetdiskurse vor sich hin. Anderes | |
| wird heute auf EU-Ebene verhandelt oder in Bundestagsfachausschüssen. Ein | |
| Siegeszug? | |
| Nicht wirklich. Von der Netzneutralität bis zur Vorratsdatenspeicherung – | |
| mehr als Etappensiege für die digital Engagierten waren meistens nicht | |
| drin. Von der Ernüchterung der Snowden-Enthüllungen ganz zu schweigen. Lobo | |
| glaubt dennoch, dass die auf der re:publica geführte Debatten Dinge sehr | |
| wohl veränderten. „Aber viel langsamer, als wir ungeduldigen Digitalpeople | |
| das gerne hätten.“ | |
| Sascha Lobo ist zwar einer der Starredner der re:publica, aber nicht gerade | |
| Everybody’s Darling. 2012 wurde er einmal mit den Worten „Den nächsten Gast | |
| mag eigentlich niemand“ anmoderiert – und erntete Seitenhiebe gegen seine | |
| ausgeprägte Selbstvermarktungslust und gegen seinen Werbedeal mit Vodafone | |
| wenige Jahre zuvor. Lobo – shitstorm- und trollgeprüft – kam auf die Bühn… | |
| verzog keine Miene, verlor kein Wort dazu. | |
| Neben seinem großen Ego war es vor allem seine Rolle als Deutschlands | |
| oberster Internet-Erklärbär, die vielen aufstieß. Dieser | |
| Social-Media-Fuzzi, der seinen auf Wiedererkennungswert getrimmten feuerrot | |
| gefärbten Iro in so ziemlich jede Kamera hielt. Das war Lobo 1.0. | |
| ## Einzelkämpfer und Zivillobbyist | |
| Nun nähmen manche ihm seine Weiterentwicklung übel, sagt Lobo. Dass er nur | |
| noch schlechte Dinge über das Internet sage, sich verbündet habe mit | |
| Kulturpessimisten. Voll ist es trotzdem – bei jedem seiner | |
| re:publica-Vorträge. Wohl auch, weil mindestens eine kluge Beobachtung, ein | |
| schlauer Satz, der noch monatelang im Gedächtnis kleben bleibt, eigentlich | |
| immer dabei ist. | |
| „Ich bin Einzelkämpfer“, sagt Lobo. „Immer schon gewesen.“ Als Person | |
| unterwegs. Ein Zivillobbyist – der versuche, die Gesellschaft mit seinen | |
| publizistischen Mitteln in die Richtung zu bewegen, die er für richtig | |
| halte. | |
| 2011 beschimpfte er das re:publica-Publikum von der Bühne herunter: Wenn | |
| Journalisten immer nur ihn anriefen, um sich neue Phänomene des Netzes | |
| erklären zu lassen, dann „ist das euer Problem“, sagte Lobo. „Ihr seid | |
| entweder zu doof oder zu leise, um in der Gesellschaft eine Rolle zu | |
| spielen.“ Heute sei er nicht mehr der einzige Ansprechpartner für | |
| Digitales. „Im Gegenteil. Man kann fast sagen, ich bin in die zweite Reihe | |
| gerückt“, sagt er. Finde er großartig – auch wenn ihm die Leute das oft | |
| nicht glauben würden. | |
| 2015 nahm Lobo eine re:publica-Auszeit. Die erste nach neun Jahren – nach | |
| einer gefeierten Ansprache im Vorjahr, bei der er dem Publikum ihr | |
| netzpolitisches Versagen nach den Snowden-Enthüllungen um die Ohren | |
| geklatscht hatte. | |
| In diesem Jahr ist er zurück. „The Age of Trotzdem“ heißt sein Vortrag | |
| heute Abend. Darin werde er vergleichsweise wenig kritisieren, sagt er. | |
| Nicht weil es nichts mehr zu kritisieren gäbe – sondern weil das Publikum | |
| sich verändert habe. Das verkörpere heute schon lange nicht mehr die – | |
| ironisch-sakraler Tonfall von Lobo – „Netzgemeinde“. „Da sitzen jetzt | |
| irgendwelche Social-Media-Manager von Siemens, die das als Bildungsurlaub | |
| mitnehmen.“ Was völlig in Ordnung sei. Nur halt nicht mehr die Crowd, die | |
| flammende Appelle für Netzneutralität in ihrer reinsten Form erreichen. | |
| Ganz schön erwachsen halt. | |
| 2 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Meike Laaff | |
| ## TAGS | |
| Sascha Lobo | |
| Schwerpunkt Überwachung | |
| Edward Snowden | |
| re:publica | |
| Virtual Reality | |
| re:publica | |
| Digitalisierung | |
| Philippinen | |
| Grundschule | |
| re:publica | |
| re:publica | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Erstes Virtual-Reality-Kino in Deutschland: Schnitte mit dem Hula-Hoop-Reifen | |
| Ein Kino in Berlin hat sich auf 360-Grad-Filme spezialisiert. Das junge | |
| Medium testet seine dramaturgischen Grenzen noch aus. | |
| Digitalkultur-Messe für Jugendliche: Nicht mehr als ein Katzensprung | |
| In Berlin fand am Wochenende die Tincon statt, die erste | |
| „teenageinternetwork convention“. Genau das Richtige für unseren jüngsten | |
| Autor. | |
| Philosoph über Digitalisierung: „Algorithmen sind gefährlich“ | |
| Der Philosoph Luciano Floridi warnt: Wir passen unser Leben zu sehr der | |
| digitalen Welt an – und verlieren die Freiheit, die Gesellschaft zu | |
| verändern. | |
| Müllentsorger in Sozialen Netzwerken: „Sie berichten von Depressionen“ | |
| Tausende Philippiner sortieren aus, was uns im Internet an Bildern nicht | |
| begegnen soll. Der Berliner Theaterregisseur Moritz Riesewieck hat dort | |
| recherchiert. | |
| Computerspiele im Unterricht: Professor S. und die Zeitforscher | |
| Indem sie Professor S. helfen, lernen Grundschüler auch Stoff für Deutsch | |
| oder Geschichte. Und sie erfahren etwas über Datenschutz im Internet. | |
| Kolumne Kreaturen: Spio-Nagetiere | |
| Katzen werden immer nutzloser. Weder als Wahlhelfer noch als Agenten sind | |
| sie zu gebrauchen. Andere Tiere haben mehr Überwachungspotenzial. | |
| Rückblick Netzkonferenz re:publica: Wir können über alles reden | |
| Wie es gewesen ist auf der re:publica? Schwer zu sagen, wenn man sich nur | |
| einen Bruchteil des Geschehens anzusehen vermag. |