| # taz.de -- Autoren über Science-Fiction und NSA: „Wir schenken Google eine … | |
| > In ihren Daten-Thrillern erzählen die Bestseller-Autoren Marc Elsberg und | |
| > Tom Hillenbrand, was nach Facebook auf uns zukommt. Ein Gipfeltreffen. | |
| Bild: „Snowden war super“: Marc Elsberg und Tom Hillenbrand suchen neue Erz… | |
| sonntaz: Herr Elsberg, Herr Hillenbrand, Sie haben beide Bücher | |
| geschrieben, die in einer von Daten geprägten Zukunft spielen. Manchmal | |
| müssen Sie in der Post-Snowden-Welt den Eindruck kriegen, die Realität | |
| überholt Ihre Fiktion. Haben Sie dann das Gefühl, Sie müssten die Gegenwart | |
| noch übertrumpfen? | |
| Marc Elsberg: Würde ich Science Fiction schreiben wollen, hieße das, eine | |
| gewisse Distanz zum Thema zu schaffen. Dann kann ich als Leser immer noch | |
| sagen: Kommt eh nicht, betrifft mich nicht. Hole ich es in die Gegenwart, | |
| wird das schwieriger für die Leserin und den Leser. Wenn mir die Realität | |
| mal wieder dazwischen funkt – wie bei meinem jüngsten Thriller „Zero“ - | |
| stört mich das also nicht. Snowden war super. Die Handlung hatte ich schon | |
| vorgesehen. Jetzt kommt einer daher und sagt, es ist auch so. Was will ich | |
| mehr. | |
| Wenn man sich mal anschaut, wie Sie sich die Zukunft in Ihrem Buch | |
| „Drohnenland“ vorstellen, Herr Hillenbrand: Totalüberwachung, die | |
| Solarindustrie führt Krieg um die Energie, die Niederlande sind | |
| überschwemmt und dann regnet es auch noch überall – warum ist das Narrativ | |
| von der Zukunft immer so ein finsteres? | |
| Tom Hillenbrand: Neal Stephenson, ein großartiger Autor, forderte, nachdem | |
| er mehrere dystopische Romane geschrieben hatte: Wir brauchen positivere | |
| Science Fiction. | |
| Elsberg: Das würde kein Schwein lesen, wahrscheinlich. | |
| Hillenbrand: Das Böse, Bedrohliche und Sinistre ist einfach sehr anziehend. | |
| Elsberg: Obwohl es Zeiten gab, in denen die Zukunft nicht so negativ | |
| wahrgenommen wurde, man denke nur an die Romane von Jules Verne. Diese | |
| Zukunft war für viele Leute damals eine positive, eine Utopie. Es gibt auch | |
| „Utopia“ von Thomas Morus, ob eine Utopie oder eine Dystopie gerade | |
| populärer ist, hat mit der jeweiligen gesellschaftlichen Verfassung zu tun. | |
| Momentan kriege ich doch die positive Sicht auf die Zukunft eh durch Google | |
| und Facebook propagiert. Das brauche ich nicht mehr aufschreiben. | |
| Deren Utopie wäre dann, dass alles immer leichter wird, immer bequemer... | |
| Hillenbrand: Wir sind seit einigen Jahren in der Periode angekommen, in der | |
| die Nerds gewonnen haben. Die Leitkultur ist kalifornisch. Alles das kommt | |
| aus Kalifornien, das sind alles sehr braun gebrannte, glückliche Leute mit | |
| weit aufgerissenen Augen, die sagen: Die Zukunft wird super. Ich persönlich | |
| fand die Dystopie immer spannender. Wobei Science Fiction ja gar nicht | |
| immer dystopisch ist. | |
| Wir dachten, wir könnten jetzt gemeinsam für ein nächstes Buch an einer | |
| Utopie arbeiten.. | |
| Elsberg: ...Sie wollen doch nur etwas vom Geld abhaben... | |
| Gerne. Aber es gibt einen Bedarf an einem positiven Narrativen, nach einer | |
| Erzählung, die Mut macht. Auch in Ihren Büchern können sich einzelne dem | |
| Überwachungsregime noch immer entgegen stellen. Ist das alles, was wir an | |
| Hoffnung kriegen können? | |
| Elsberg: Das hängt auch damit zusammen, wie man Geschichten erzählt. Als | |
| Autor braucht man einen Helden. Es sind Technologien, die man so oder so | |
| einsetzen kann. Die Frage ist, wer profitiert davon? Ist das nur Google | |
| oder sind wir das alle? Momentan wissen Google oder die NSA mehr über uns | |
| als wir selbst. Und das ist nicht sehr gesund für eine demokratische | |
| Gesellschaft. | |
| Glauben Sie denn, dass der einzelne Mensch dieses Wissen und die Macht | |
| darüber überhaupt haben will? | |
| Elsberg: Er will sie schon haben, er merkt nur nicht, dass er sie verliert. | |
| Er merkt auch nicht, dass er Google pro Jahr Daten im Wert von einer Rolex | |
| schenkt. Mindestens. | |
| Um das zu ändern, müsste man dem Datenverschwender ein schlechtes Image | |
| verpassen. Vielleicht braucht es neue Schimpfwörter, „Du Datensau“ oder so | |
| was. | |
| Elsberg: Auf der Re:publica hielt auch jemand einen Vortrag, der meinte, | |
| wir brauchen neue Narrative. Die Narrative, die er vorschlug, haben sich | |
| bislang nicht durchgesetzt. Zum Beispiel die Erzählung: Überwachung macht | |
| krank. Das ist durch Studien und Experimente ausreichend belegt, wobei man | |
| auch sagen muss, dass Überwachung nur krank macht, sobald man sich ihrer | |
| bewusst ist. | |
| Dann ist es eigentlich kein erstrebenswertes Ziel, zu wissen, dass man | |
| überwacht wird. Man wird nur krank. | |
| Elsberg: Ja, klar. Das ist auch einer der psychologischen Mechanismen, die | |
| da greifen: Ich will es gar nicht wissen. | |
| Es gibt Leute, die sagen, die NSA solle Edward Snowden mal dankbar sein, | |
| denn ohne ihn wüsste die Welt gar nichts von der Komplettüberwachung und | |
| die Leuten hätten gar nicht so viel Angst, sich nicht regelkonform zu | |
| verhalten. | |
| Elsberg: Wenn es ihn nicht gäbe, hätte die NSA ihn nach dieser Logik | |
| erfinden müssen. Nicht missverstehen, ich unterstelle Edward Snowden nur | |
| lauterste Motive. Aber eigentlich müssten die den mit Orden behängen. | |
| Hillenbrand: Aber wenn wir in dieser Logik denken, dann wäre es | |
| wahrscheinlicher, dass es eine andere Behörde gibt, die ihn geschickt hat. | |
| Sei es die CIA oder ein anderer Dienst, dessen Kürzel man gar nicht kennt. | |
| Und die haben dann gesagt, diese Jungs werden uns zu mächtig, die lassen | |
| wir jetzt mal vor die Wand laufen. | |
| Elsberg: Interne Machenschaften. | |
| Hillenbrand: Aber ich sehe das auch nicht zu schwarz. Klar produziert so | |
| ein Überwachungsregime Konformität, aber das führt auch dazu, dass die | |
| Leute sich neue Strategien einfallen lassen. Ich habe vor einiger Zeit das | |
| großartige Buch „The Orphan Master's Son“ gelesen, das spielt in Nordkorea. | |
| Da steigt ein Mann zu einer großen Nummer im Geheimdienst auf. Obwohl alle | |
| pausenlos überwacht werden und einen der kleinste Fehler ins | |
| Konzentrationslager bringt, entwickeln die Leute Strategien, nach außen ein | |
| dem Staat genehmes Gesicht zu zeigen. Das wird schon den Kindern | |
| beigebracht. Selbst wenn ich dich denunziere, ich bin immer noch dein Vater | |
| und ich mache das nur, weil ich muss. Menschen sind da, glaube ich, sehr | |
| anpassungsfähig. | |
| Was machen Sie, wenn Freunde oder Verwandte Urlaubsbilder von Ihnen posten? | |
| Sind Sie dann Spielverderber, die sagen: Ich möchte, dass Du dieses Bild | |
| von mir löschst? | |
| Hillenbrand: Wenn mir so etwas passiert, dann gibt es ein Gespräch. Bei | |
| Lesungen werde ich auch gefragt, darf ich ein Foto von Dir machen. Da sage | |
| ich: Du darfst das fotografieren, twittern, verfacebooken und alles. Aber | |
| Lesungen sind auch ein öffentlicher Raum, ein öffentlicher Kontext. | |
| Elsberg: Genau. | |
| Hillenbrand: Das muss man vom Privaten trennen. | |
| Elsberg: Wo wir gerade davon sprechen, darf ich Sie bitten, mal eben ein | |
| paar Fotos von uns zweien zu machen? (Reicht sein Tablet herüber.) Wir | |
| müssen die dann noch twittern, aber wir sind hier ja auch im | |
| voröffentlichen Raum. Wir beide sind da als öffentliche Personen auch in | |
| einer Sonderrolle. | |
| Hillenbrand: Stimmt. Irgendwie sage ich auch, bei mir ist alles verloren. | |
| Bei Dir wahrscheinlich auch. Also eigentlich ist alles verloren, weil | |
| hunderte Leute auf irgendwelchen Lesungen Fotos gemacht haben und die sind | |
| alle im Netz. Aber meine Familie versuche ich aus solchen Netzwerken dann | |
| doch rauszuhalten. | |
| Dann fragen die Leute sicher: Ja warum denn nicht? Oder sie sagen: Stell | |
| Dich doch nicht so an! Dieses Spielverderber-Image nehmen Sie in Kauf? | |
| Hillenbrand: Ja, natürlich. Sorry, aber das sind meine Daten. Ich würde ja | |
| auch nicht irgend jemanden auf der Straße einfach so fotografieren. | |
| Elsberg: Es gibt aber Leute, die das tun. | |
| Hillenbrand: Natürlich, aber ich würde es nicht machen. Nicht mal aus | |
| juristischen Gründen. Sondern wegen guter Kinderstube. Ich würde hingehen | |
| und fragen: Alter, Du hast aber einen geilen Hut auf, lass uns mal ein Foto | |
| machen. | |
| Elsberg: Ja, anders darf man ja auch gar nicht. | |
| Hillenbrand: Dürfen darf man das sowieso nicht. Aber da erwarte ich einfach | |
| auch Manieren. | |
| Elsberg: Wobei wir da womöglich über etwas reden, dass nur wir noch als | |
| Manieren bezeichnen. Da gibt es natürlich einen großen Werte- und | |
| Bedeutungswandel. In „Zero“ wird Cynthia irgendwann von ihrer Tochter | |
| gefragt: Entschuldige mal bitte, aber warum habt ihr Tagebücher damals | |
| verschlüsselt? Sie selbst führt ihres natürlich öffentlich. Vielleicht ist | |
| es für irgendjemand mal schlechte Manieren, sich nicht fotografieren zu | |
| lassen. | |
| Wer ist eigentlich ärmer dran, wir in der ersten Welt, die wir schon | |
| überlegen, gegen die neuen Technologien zu kämpfen oder jene Menschen in | |
| der sogenannten zweiten und dritten Welt, von denen manche noch gar keinen | |
| Zugang zu solchen Technologien haben? | |
| Elsberg: Also gerade in diesen Gegenden haben schon sehr viel mehr Zugang | |
| als uns oft bewusst ist. In einigen afrikanischen Gegenden wird nur noch | |
| mit dem Handy gezahlt. | |
| Hillenbrand: Ja, der Handel für Getreide oder Fische – die Leute am | |
| Victoriasee schauen in ihr Handy, um zu sehen, wie heute der Preis für den | |
| Barsch ist. In solchen Gegenden werden die Leute bestimmte Technologien | |
| überspringen. Vielleicht halten sie sich nicht mit DHL und UPS auf, sondern | |
| nehmen gleich die Lieferdrohne. Gerade, wenn man keine Straße hat, ist das | |
| sehr praktisch. Das ist auch das positive an diesen Technologien. Die sind | |
| jetzt so billig, dass sich auch ein afrikanischer Nationalpark, der seine | |
| letzten weißen Rhinozerosse schützen will, sich zwei Drohnen kaufen kann, | |
| die nach Wilderern Ausschau halten. Weil die halt nur 1.000 Dollar kosten. | |
| Elsberg: So gesehen, sind wir eigentlich ganz gut dran. Wir klagen momentan | |
| über ein paar Dinge, aber auf sehr hohem Niveau. Ich würde nicht mit | |
| jemandem tauschen wollen, der auf das alles verzichten muss. Ich kann heute | |
| mit ein paar hunderttausend Klicks Acta verhindern. | |
| Hillenbrand: Ja, und wir sind in gewisser Weise alle Hacker, denn wir haben | |
| die großen Konzerne gehackt. Man kann auf deren Facebookseite gehen und | |
| rumkotzen, wie Scheiße die sind und alle sehen das. Das wäre vor zehn | |
| Jahren nicht möglich gewesen. Oder diese elenden Fluglinien – was das | |
| früher gekostet hat, irgendwohin zu fliegen. Denn die hatten die ganzen | |
| Computer und wir hatten ein Stück Papier und einen Stift. Und dann haben | |
| die gesagt, heute ist der Preis nach London zu fliegen 900 Euro. Und jetzt | |
| haben wir die großen Computer in der Cloud und können uns die billigsten | |
| Preise selbst heraussuchen. Wir haben also deren Geschäftsmodell | |
| zerhäckselt. Und das ist Konsumentenpower und das ist Bürgerpower und das | |
| ist alles nur durch Technologie möglich. | |
| Dafür versinken dann halt die Niederlande, wie in Ihrem Buch. | |
| Hillenbrand: Nun gut, irgendwelche Opfer sind zu bringen. Um Amsterdam ist | |
| es natürlich sehr schade. | |
| Wie sieht unsere Zukunft aus? Kann man bald für ein Verbrechen verurteilt | |
| werden, wenn man es noch gar nicht begangenen hat? Und was wird aus dem | |
| Zufall? Die taz.am wochenende lädt zum deutschen Science-Fiction-Gipfel, | |
| lesen Sie das große Gespräch mit Elsberg und Hillenbrand in der Ausgabe vom | |
| 2./3. August 2014. | |
| 2 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
| Johannes Gernert | |
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