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# taz.de -- Nach der Terrorwarnung in Deutschland: Die Nervosität bleibt
> Die Sicherheitsbehörden bemühen sich nach der Absage des Fußballspiels um
> Normalität. Alarmiert sind sie dennoch.
Bild: Zwischen Sicherheit und Hysterie: Polizisten am Dienstagabend vor dem ger…
Hannover/Berlin/Mainz taz Es ist nur eine laue Entwarnung. Nach Hannover
liege „kein Hinweis auf ein weiteres Ziel vor“, sagt Holger Münch, der Chef
des Bundeskriminalamtes. Am Mittwochmittag steht er im Mainzer Schloss an
einem Pult, die oberste Polizeibehörde hat zur Herbsttagung geladen. 600
Gäste sind gekommen, darunter alle Chefs der Sicherheitsbehörden. Die
Terrorgefahr, sagt Münch, sei weiter groß, aber eben nicht mehr konkret.
Es soll nach etwas Normalität klingen. Aber nichts ist normal. Abends zuvor
wurde das Fußballfreundschaftsspiel Deutschland gegen Niederlande in
Hannover abgesagt – 91 Minuten vor Anpfiff, wegen einer Anschlagswarnung.
Damit rückt vier Tage nach den verheerenden Paris-Attentaten die
Terrorbedrohung auch an Deutschland heran, ganz konkret.
Schon seit den Anschlägen von Freitagnacht haben die Sicherheitsbehörden
rund um die Uhr Hinweise auf mögliche Bezüge der Terroristen nach
Deutschland oder Nachahmertaten hierzulande gesichtet. Die Informationen
laufen im Terrorabwehrzentrum in Berlin-Treptow zusammen, in dem alle
Behörden vertreten sind. Es ein nervöser Ausnahmebetrieb, der dort derzeit
herrscht.
Ein erster Hinweis auf die Gefährdung des Länderspiels erreichte die
Sicherheitsbehörden offenbar früh. Bereits am Dienstagmittag wurden laut
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) er und seine Kollegen
informiert, dass ein ausländischer Geheimdienst, offenbar der französische,
vor einem Anschlag auf ein Sportereignis in Deutschland warne.
Gegen Abend kommen neue Hinweise dazu, diesmal aus „Quellen des Bundes“,
diesmal „sehr konkret“, wie es heißt. Alle Sicherheitschefs halten die
Quelle für vertrauenswürdig. Dann empfehlen sie Bundesinnenminister Thomas
de Maizière (CDU), das Spiel abzusagen. Der stimmt zu.
## Kaum Details
Über Details wird auch am Mittwoch geschwiegen. Medien spekulieren über
Hinweise auf eine Gruppe um einen polizeibekannten Nordafrikaner, über
einen irakischen Schläfer aus dem Weserbergland. Es sei von Sprengmitteln,
Sprengstoffgürteln, automatischen Waffen und Sprengsätzen die Rede gewesen.
Hannovers Polizeichef Volker Kluwe gibt nur so viel bekannt: Der
Hinweisgeber habe von einem Sprengstoffanschlag im Stadion gesprochen.
Am Dienstag verkünden Polizisten per Megafon die Spielabsage. Die bereits
eingetroffenen Zuschauer verlassen ruhig das noch ziemlich leere Stadion.
Wenige Minuten später stehen rund herum Hunderte Mannschaftswagen,
PolizistInnen mit Maschinenpistolen versperren den Weg. „Hier kommen Sie
nicht durch, tut mir leid“, sagt eine Beamtin immer wieder. Martialisch ist
die Stimmung, ja gespenstisch: Am Straßenrand telefonieren Menschen,
versichern Familie und Freunden, dass es ihnen gutgeht.
Noch am Abend treten de Maizière und der niedersächsische Innenminister
Boris Pistorius vor die Presse. Auch das Innenministerium ist stark
gesichert. Nur in Zweiergruppen werden die JournalistInnen eingelassen,
danach intensiv durchsucht. Doch der Ausnahmezustand steht in seltsamem
Kontrast zu dem, was die Minister inhaltlich sagen. „Hinweise“ auf die
„Gefährdung des heutigen Fußballspiels haben sich so verdichtet, dass die
Sicherheitsbehörden des Bundes aus Gründen des Schutzes der Bevölkerung
dringend empfohlen haben, dieses Länderspiel abzusagen“, referiert de
Maizière in bestem Beamtendeutsch.
## Die Gefährungslage
Allein: Worin die „Gefährdungslage“ konkret besteht, was die
Sicherheitsbehörden genau befürchten, wollen beide Minister nicht sagen.
„Ein Teil der Antwort“ würde „die Bevölkerung verunsichern“, sagt de
Maizière. Außerdem könnten Hinweisgeber „beeinflusst“ werden und in Zuku…
schweigen. Er bitte „die deutsche Öffentlichkeit“ deshalb „um einen
Vertrauensvorschuss“.
Die Bitte gilt noch tags darauf. Pistorius gibt nur bekannt, dass keine
Bomben gefunden wurden. Eine Polizeisprecherin berichtet aber von einer
„gut gemachten“ Sprengstoffattrappe im Fernzug nach Oldenburg. Die Polizei
suche weiter nach Verdächtigen.
Die Informationspolitik findet nicht nur Zustimmung. Der
Grünen-Innenexperte Konstantin von Notz kritisiert, der Innenminister müsse
in einer solchen Situation klare Aussagen machen, „anstatt mit maximal
unkonkreter Bedrohungsrhetorik für zusätzliche Unsicherheit zu sorgen“. Aus
dem Umfeld des Innenministers wird eingeräumt: Der Satz, die Bevölkerung
nicht verunsichern zu wollen, sei „unglücklich“ gewesen. Er würde so nicht
noch einmal fallen, sollte aber den Ernst der Bedrohung unterstreichen.
Die Hinweise auf den Quellenschutz aber wiederholen die Sicherheitschefs am
Mittwoch unisono. Tatsächlich sind seit den Paris-Anschlägen alle
Informanten in der islamistischen Szene darauf angesetzt, ihre
Kontaktpersonen auf Wissen über die Paris-Attentate oder hiesige
Anschlagspläne abzuklopfen. Über die Zahl der V-Leute ist nichts bekannt.
Wohl aber, wie viele islamistische „Gefährder“ die Behörden jetzt im Blick
haben: exakt 426 Personen. Als Gefährder wird eingestuft, wer zu
„erheblichen politischen Straftaten“ bereit scheint – eine vage Definitio…
Bei allen prüfen die Beamten nun, wo sie sich aufhalten, was sie derzeit
vorhaben. Einige werden direkt angesprochen. Das Signal lautet: Wir haben
euch im Blick.
## 250 Syrienrückkehrer
Beunruhigt sind die Behörden vor allem über die inzwischen rund 250
Syrienrückkehrer. Einige von ihnen sind desillusioniert, einige aber auch
kampferprobt – und nun vernetzt mit anderen europäischen aus Syrien
Ausgereisten. Deshalb halten es die Sicherheitsbehörden für möglich, dass
flüchtige Attentäter oder Hintermänner der Paris-Anschläge auch in
Deutschland untertauchen könnten.
Bereits wenige Stunden vor der Spielabsage in Hannover hatten Einsatzkräfte
in Alsdorf in NRW sieben Verdächtige verhaftet. Sie vermuteten einen
flüchtigen Paris-Attentäter darunter. Es war ein Fehlalarm: Laut Polizei
gab es keinen Paris-Bezug, die Festgenommen wurden freigelassen. Der Fall
aber zeigt, wie nervös die Behörden derzeit sind. Lieber einmal zu früh
reagiert, als zu spät.
Die Lage erinnert an die Situation nach dem Attentat gegen die Zeitschrift
Charlie Hebdo im Januar in Paris. Auch damals wurde nur kurz darauf ein
Pegida-Aufzug in Dresden wegen der Gefahr eines Anschlags abgesagt. Später
folgten die Absage einer Karnevalsfeier in Braunschweig und ein Großeinsatz
in Bremen. In keinem Fall bestätigte sich der Verdacht.
Diesmal aber, betont BKA-Chef Münch in Mainz, war die Absage
„unvermeidbar“. Der Hinweis sei „ernst zu nehmend“ gewesen. Auch
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedankt sich bei den
Sicherheitskräften: Die Entscheidung sei im Sinne der Sicherheit der
Menschen gefallen.
Dabei sollte das Länderspiel ein Symbol werden, vier Tage nach dem
Anschlägen mit 129 Toten und dem versuchten Angriff auf das Stade de France
in Paris: Wie lassen uns nicht einschüchtern, auch von Terroristen nicht.
Am Mittwoch wird versucht, diese Botschaft wieder aufzunehmen.
Der DFB kündigt an, den Bundesliga-Spieltag am Wochenende stattfinden zu
lassen. Auch die Sicherheitschefs in Mainz sind sich einig, dass künftig
Großveranstaltungen weiter möglich seien. Sein müssen. „Wir werden unsere
Lebensweise nicht ändern“, verkündet Innenminister de Maizière am Abend in
Mainz.
Die Nervosität aber bleibt. Und sie erfasst auch die politische Debatte. Es
ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der einen Einsatz der
Bundeswehr bei Terroranschlägen ins Spiel bringt – bislang ist nur die
Polizei für die innere Sicherheit zuständig. De Maizière widerspricht:
„Dafür sehe ich in der jetzigen Lage keinen Bedarf.“ Dafür drängt der
Innenminister, dass künftig Fluggastdaten in Europa gespeichert und mit
Fahndungslisten abgeglichen werden. Am Freitag sollen darüber die
EU-Innenminister in Brüssel beraten. Die Debatte über Verschärfung von
Sicherheitsmaßnahmen, sie hat nach Paris nun auch Berlin erreicht.
18 Nov 2015
## AUTOREN
Andreas Wyputta
Konrad Litschko
Sabine am Orde
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