Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 1. Bundesliga-Spieltag nach Paris-Terror: Angst vor der Angst
> Nach den Anschlägen von Paris sprechen die Akteure der Liga allenfalls
> von einem mulmigen Gefühl. Sie geben vor, sich aufs Spiel zu fokussieren.
Bild: Hier für die U21 im Einsatz: Leroy Sané (l.) und der Österreicher Chri…
Berlin taz | Die Welt des professionellen Fußballs birgt erstaunlich viele
Absonderlichkeiten. 20-Jährige werden zu millionenschweren Superhelden,
zufällige Pfostenschüsse entscheiden über Meisterschaften oder
Trainerschicksale, das menschliche Gefühl der Angst ist ein Tabu. „Wir
haben Respekt, aber niemals Angst“, ist eine dieser dauerhaft gültigen
Fußballerfloskeln, die immer wieder vor schweren Spielen hervorgekramt
werden.
Angst hemmt, Erfolge erfordern Mut, die Verdrängung von Befürchtungen und
Sorgen ist ein sehr vertrauter Mechanismus in der Bundesliga. Es kann also
niemanden verwundern, dass am ersten Spieltag, nachdem der Terror den
Fußball erreicht hat, überall ähnliche Versionen einer der ewig aktuellen
Behauptung kursieren: „Wir habe keine Angst!“
Und so muss auch Schalkes Trainer André Breitenreiter keine Sekunde über
seine Antwort nachdenken, als er nach dem Befinden von Leroy Sané gefragt
wird. Sané gab am vorigen Freitag in Paris sein Länderspieldebüt und
verbrachte die anschließende Nacht des Terrors mit der Nationalmannschaft
in der Kabine des Stadions. „Ich habe mit Leroy darüber gesprochen, er hat
das komplett verarbeitet, wie er mir mitgeteilt hat“, erzählt Breitenreiter
lapidar.
Der Trainer, der mit seinem Klub am Samstagabend das Topspiel gegen Bayern
München bestreitet, berichtet zwar von einem „mulmigen Gefühl“, mit dem er
selbst und vermutlich Hunderttausende andere Fußballmenschen an diesem
Wochenende in die Stadien gehen, findet aber, dieses Unbehagen dürfe
„niemals in Angst ausschweifen, denn wenn ich Angst habe, bleibe ich zu
Hause und verbarrikadiere mich.“
## Die Gefahr ist real
Sollten die gut 200 Profis, die am Wochenende in der Bundesliga spielen,
ihre Arbeit tatsächlich ohne größere Ängste verrichten, wäre das dennoch
eine erstaunliche Leistung. Denn die Gefahr ist real, nach neuesten
Berichten über die Hintergründe der Länderspielabsage vom Dienstag, gibt es
in Deutschland wirklich Leute, die Bomben in voll besetzten Stadion
explodieren lassen wollen. Aber Fußballer sind grundsätzlich perfekt geübt
darin, äußere Stressfaktoren auszublenden.
Sie haben sich daran gewöhnt, Dinge wie Erfolgsdruck, einen drohenden
Abstieg, eine bevorstehende Trainerentlassung und hysterische Schlagzeilen
aller Art konsequent auszublenden. Nun verdrängen sie eben die Gedanken an
einen möglichen Anschlag. „Der ein oder andere befasst sich bei uns zwar
damit, aber eher im Alltag, auf dem Platz hat das Thema nichts zu suchen“,
sagt Aytaç Sulu, der Kapitän von Darmstadt 98.
Die große Mehrheit der Spieler reagiert allem Anschein nach ziemlich
routiniert auf die Terrorgefahr, die den Fußball erreicht hat. Er sei zwar
„betroffen“, aber „sehr fokussiert auf das Spiel“, sagt Borussia Dortmu…
Henrikh Mkhitaryan, der schon am gestrigen Freitagabend beim HSV spielte.
Kölns Trainer Peter Stöger erzählt vor dem Duell gegen Mainz 05, er gehe
„mit dem gleichen Gefühl in das Spiel wie sonst auch. Die Jungs brennen
darauf, ein Bundesligaspiel zu spielen.“
## Ablenkung von Grausamkeiten
Es hat paradoxe Züge: Wer in den kommenden Wochen, vielleicht Monaten ein
Stadion betritt, wird eine latente Bedrohung spüren, zugleich dient das
Eintauchen ins Spielgeschehen aber als Mittel der Zerstreuung, der
Ablenkung von den Grausamkeiten der Welt. „Die Kraft der Ablenkung liegt
auch darin, sich auf ein Spiel zu konzentrieren, unser Hobby, unseren Beruf
ernst zu nehmen“, findet Dortmunds Trainer Thomas Tuchel.
Aber wäre es wirklich so verwerflich, Angst zu haben? Oder ist es nicht
vielleicht sogar mutiger, Sorgen und Befürchtungen zuzulassen, zu
artikulieren und offensiv zu verarbeiten? Philipp Lahm, der Kapitän des FC
Bayern München, ist bislang einer der wenigen, die sich nicht an den
allgegenwärtigen „Jetzt erst recht“- und „Wir haben keine Angst“-Appel…
beteiligen mögen. „Ich gehe nicht durchs Leben und sage: Mir wird schon
nichts passieren“, berichtet er in einem Interview mit dem Münchner Merkur.
„Ich lebe mit Ängsten. Die Angst vor Terror gehört dazu.“
Wobei Lahm auch sagt, dass man sich von Terroristen „nicht das eigene Leben
regieren lassen“ solle, „weil dann die Angst das Leben bestimmt – und das
ist nicht gut“. Da mag er Recht haben, aber solche rationalen Überlegungen
taugen längst nicht immer, um ein starkes Gefühl wie Angst wirklich zu
überwinden. 90 Minuten intensiver Fußball funktionieren da vielleicht
wirklich besser, zumindest bis zum Abpfiff.
20 Nov 2015
## AUTOREN
Daniel Theweleit
## TAGS
Fußball
Fußball-Bundesliga
Terrorismus
Leroy Sané
Philipp Lahm
Flüchtlinge
Köln
FC Bayern München
Fußball
Agentur Ostkreuz
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Fußball
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Syrische Flüchtlinge vor dem Lageso: Zweifel am militärischen Vorgehen
Geflüchtete Syrer in Berlin zeigen sich solidarisch mit den Opfern der
Anschläge in Paris. Doch die Terrormiliz IS lässt sich nicht von außen
besiegen.
Basketball am Standort Köln: Der Trotz nach dem Trauma
Der Zweitligist RheinStars Köln will an meisterliche Basketball-Zeiten
anknüpfen. Manager Stephan Baeck setzt auf viele kleine Schritte.
Männerfußball-Bundesliga, 13. Spieltag: Bayern macht das Dutzend voll
Es war ein wenig mühsam, doch letztlich siegte München verdient durch Tore
von Alaba, Müller und Martinez. Für Schalke ist es das siebte sieglose
Spiel in Folge.
13. Spieltag Männerfußball-Bundesliga: Debakel für Werder und Stuttgart
6:0 schoss der VfL Wolfsburg die Gäste aus Bremen aus dem Stadion.
Stuttgart verliert im Kellerduell gegen Augsburg. Siege gab es auch für
Leverkusen und Mönchengladbach.
Ostkreuz-Ausstellung in Paris: Alle sind so wissend
Die Berliner Fotoagentur Ostkreuz feiert ihr 25-jähriges Jubiläum mit einer
Schau in Paris. Fotografin Annette Hauschild war zum Zeitpunkt der
Anschläge dort und berichtet.
Nach der Terrorwarnung in Deutschland: Die Nervosität bleibt
Die Sicherheitsbehörden bemühen sich nach der Absage des Fußballspiels um
Normalität. Alarmiert sind sie dennoch.
Bundesliga spielt am Wochenende: Nach der Zäsur ist vor dem Spiel
Nach der Länderspielabsage in Hannover wollen die Bundesligavereine am
Wochenende unbedingt spielen. Aber die Sicherheitsmaßnahmen steigen.
Sicherheitsdebatte im Fußball: Ball oder Bombe?
Nach der Terrorwarnung in Hannover diskutiert der DFB über neue
Sicherheitskonzepte. Der nächste Spieltag der Bundesliga wird wie geplant
stattfinden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.