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# taz.de -- Die Deutschen und der „Heimat“-Begriff: Das Fremde als Bedrohung
> Der sehr deutsche Begriff „Heimat“ klingt harmlos. Doch progressiv
> besetzt werden kann er nicht. Seine Funktionsweise ist die der
> Ausgrenzung.
Bild: Die besonders Heimatverbundenen: Neonazi-Aufkleber an einem Fenster in Sa…
Thüringer Heimatschutz – so nannte sich eine Neonazibande in den
Neunzigerjahren, in der auch die späteren NSU-Terroristen aktiv waren; die
NPD bezeichnete sich jahrelang als „die soziale Heimatpartei“; und auch
andere Rechtsradikale nennen sich stolz „heimattreu“. In Dresden
verkündeten Pegida-Anhänger bei ihren Demonstrationen auf Plakaten:
„Heimatschutz statt Islamisierung!“ Und die in deutschnationalen Kreisen
beliebte Band Frei.Wild textete, das „Heimatland“ sei das „Herzstück die…
Welt“, auf das „schon unsere Ahnen mächtig stolz“ gewesen seien: „Kurz
gesagt, ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsere Heimat
ist.“
Hinter diesen Verwendungen des Begriffs steht ein gemeinsames Verständnis
von Heimat als einmalige und unveränderliche Identität und Herkunft. Heimat
kann man sich demnach nicht aussuchen, vielmehr existiert eine
schicksalhafte Verbindung zwischen dem Boden, einer starren Kultur sowie
den Menschen, die dort geboren wurden.
Aus einer solchen Definition von Heimat lässt sich leicht die Ausgrenzung
von zahlreichen Menschengruppen ableiten. Das neurechte Magazin Blaue
Narzisse schrieb über Pegida und die Proteste „besorgter Bürger“ in
Sachsen: „Jeder Fremde, jeder in einer unbekannten Sprache aufgefangene
Wortfetzen führt vor Augen, wie unsere Heimat nie wieder sein wird.“
Vielleicht sei es diese „eigentümliche Melancholie“, die die Menschen auf
die Straße bringe.
Das Fremde wird also als Bedrohung der Heimat definiert: Wer hier nicht
geboren wurde, gehört nicht dazu. Dieses Denkmuster kann auch auf
Religionen übertragen werden, etwa wenn die NPD „Heimatschutz statt
Islamisierung“ propagiert.
## Einwanderung als Bedrohung
Zum Feind wird auch, wer den Fetisch um die Heimat ablehnt: Kosmopolitische
Ideen stehen im Gegensatz zum starren Heimatbegriff der Rechten. In der
Blauen Narzisse hieß es etwa, derzeit stehe im Kern der „weitestgehend
homogene Nationalstaat zur Debatte“. An dessen Stelle soll angeblich „ein
Weltbürgerschaftsrecht treten, das es jedem Menschen erlaubt, dort zu
wohnen, wo er es möchte“.
Der neurechten Ideologie zufolge sind dadurch auch die gefährdet, die ihre
Heimat gar nicht verlassen. So gehe es etwa in der Flüchtlingsfrage „nicht
allein darum, wo fremde Menschen überall leben dürfen“, sondern „das
Heimatloswerden der Fremden und unsere eigene Entwurzelung“ seien Themen,
die zusammengehörten.
Einwanderung wird als Bedrohung dargestellt, weil dadurch das Prinzip der
starren Verwurzelung von Mensch und Heimat aufgehoben werde. Daraus folgern
die Neurechten: „Wir befinden uns also auf dem Weg in eine Gesellschaft,
die unbegrenzte Flexibilität von jedem fordert. Niemand soll mehr eine
Heimat haben.“ Nach dieser Logik gilt: Wer sich einmal von seiner Heimat
löst, kann keine neue mehr finden.
Auch wer die Heimat kritisiert, wird nicht geduldet; Rechtsradikale
skandieren gerne: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland
verlassen!“ Der rechtsextreme „Heimatschutz“ fordert zudem, dass Menschen,
die nicht zur imaginären Heimatgemeinschaft gehören, vertrieben werden
sollen. Wie Heimat und die dazugehörige Ausgrenzung dabei definiert werden,
bleibt zweitrangig: Es funktioniert über Blut und Boden – wie bei den Nazis
–, über Raum oder auch über Kultur und Sprache, wie es bei der Neuen
Rechten der Fall ist.
## Ein diffuser Begriff
Heimat, dieser Begriff ist umgangssprachlich zumeist positiv besetzt. Er
klingt harmlos – und genau deswegen taucht er immer wieder auf, wenn sich
Rechtsradikale moderat präsentieren wollen. In ihrer Definition vereint er
die Grundannahmen aller rechten, völkischen Ideologien, wonach nicht das
Individuum als frei handelndes Subjekt im Mittelpunkt steht, sondern eine
angeblich abgeschlossene, homogene und schicksalhafte Gemeinschaft, der
sich der einzelne Mensch unterzuordnen habe.
Aber was ist Heimat überhaupt? Der Begriff bleibt diffus. Seien es
Erinnerungen an die Kindheit oder Jugend, Hinweise auf den eigenen Dialekt
oder regionale kulturelle Eigenschaften: Heimat bietet vor allem eine
Projektionsfläche für – häufig melancholische – Gefühle, ohne konkret
werden zu müssen. „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl!“, sang
Herbert Grönemeyer. Das trifft es wohl ganz gut.
Aber Gefühle sind nicht automatisch positiv, vor allem die Politik sollte
sich nicht von ihnen leiten lassen. Zudem ist Heimat ein sehr deutsches
Konzept: Weder findet sich ein Plural des Begriffs, noch gibt es in anderen
Sprachen ein Äquivalent. Die englischen Wörter home oder homeland verfügen
eben nicht über die mystische, ursprüngliche, naturverbundene und
vorindustrielle Konnotation des deutschen Begriffs.
Heimat ist nicht zukunftsgewandt, sondern rückwärtsbezogen. Der Status des
Heimatvertriebenen wird sogar über die Generationen weitergereicht. Den
Begriff der „Neuen Heimat“ nutzten die Nazis für Wohnungsbaugesellschaften,
um den Mythos der Heimat auch in neue Siedlungen zu verpflanzen. Dem
rechten Heimatbegriff zufolge haben Menschen Wurzeln, die sie an einem Ort
halten – und keine Beine, mit denen sie im Leben und in der Welt
weiterkommen und sich verändern können.
## Einfallstor für Antisemitismus
All dies zeigt: Bei Heimat geht es stets um vergangene Zeiten, um
Erinnerungen und Gefühle. Viele Progressive betrachten das Konzept Heimat
daher mit großer Skepsis. Der Psychoanalytiker Paul Parin merkte an:
„Heimat dient dazu, Lücken auszufüllen, unerträgliche Traumata aufzufangen,
seelische Brüche zu überbrücken, die Seele wieder ganz zu machen. Je
schlimmer es um einen Menschen bestellt ist, je brüchiger sein Selbstgefühl
ist, desto nötiger hat er oder sie Heimatgefühle, die wir darum eine Plombe
für das Selbstgefühl nennen.“
Die Konstruktion von echter Bodenständigkeit und diffusen Heimatgefühlen
als politischer Wert kann auch zum Einfallstor für Antisemitismus werden,
nämlich wenn die natürliche Heimat, die schicksalhafte Verwurzelung des
Menschen, als Gegenkonzept zu demjenigen aufgebaut wird, der überall in der
Welt zu Hause ist: gegen den Kosmopoliten oder auch gegen das „ortlose
Finanzkapital“, so wie es in der regressiven Kapitalismuskritik heißt. All
diese Vorurteile gegen den Heimatlosen, den Kosmopolitischen und das
„raffende Kapital“ sind bis heute vor allem im Antisemitismus heimisch.
„Sobald ‚der Mensch‘ darauf befragt wird, ob er Heimat braucht, rücken w…
ihn in bedenkliche Nähe zu den postmodernen Suchern, Vermittlern und
Kämpfern um Identität, mit der heute jede nationale, völkische oder sonst
wie kollektive Abgrenzung oder Ausgrenzung legitimiert, jeder beliebige
Herrschafts- und Machtanspruch begründet, schließlich jede mitmenschliche
Solidarität infrage gestellt wird“, warnt Paul Parin.
Der Idee einer einzigen unveränderlichen Heimat widerspricht auch der
Schriftsteller Klaus Theweleit, der anmerkte, dass mehrfache Identitäten
„immer zu mehr Kompetenz“ führten. Das könne jeder bei sich selbst
beobachten: „Ich bin ein Flüchtlingskind aus Ostpreußen und hatte dann
meine neue, meine zweite schleswig-holsteinische Heimat – inklusive
plattdüütsch schnacken. Als Jugendlicher wurde dann englische Beatmusik
meine kulturelle Heimat. Ich kenne also mindestens drei verschiedene
Heimaten.“
## Ängste analysieren
Eine Diskussion darüber, wie das alte und sehr deutsche Konzept Heimat
progressiv besetzt werden könnte, wie sie derzeit beispielsweise in der SPD
geführt wird, löst kein einziges Problem. Sinnvoller wäre es zu erörtern,
wie noch mehr Menschen in Verhältnissen leben können, in denen sie zu
starken Individuen reifen, die sich ihrer selbst bewusst und offen
gegenüber Neuem sind – und keine diffusen Gefühle benötigen, um sich
notdürftig eine Identität zu konstruieren.
Ängste vor Fremden und Sehnsüchte nach Heimat in der Bevölkerung ernst zu
nehmen bedeutet nicht, sie einfach zu legitimieren oder sich von ihnen
leiten zu lassen, sondern zu analysieren, was deren Ursachen sind.
Heimattümelei und Identitätsbildung durch Ausgrenzung sind in der Rechten
beheimatet. In der Linken sollten hingegen praktische progressive Politik,
Offenheit sowie die Bereitschaft, sich stets zu verändern, zu Hause sein.
7 Nov 2015
## AUTOREN
Patrick Gensing
## TAGS
Heimat
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