# taz.de -- Herbstoffensive der AfD: Attacke mit Hindernissen | |
> Mit einer „Herbstoffensive“ wollte die AfD den Pegida-Boom für sich | |
> nutzen. Ein Siegeszug ist es nicht – und so manches geht nach hinten los. | |
Bild: 7. September 2015: Die Parteivorsitzende Frauke Petry präsentiert in Ber… | |
COTTBUS/DESSAU taz | „Bitte halten Sie Ruhe! Wir möchten eine friedliche | |
Veranstaltung haben“, donnert Marianne Spring über die rund 230 Köpfe | |
hinweg. Die Hälfte ist willig, sich an die Ermahnung zu halten, die anderen | |
sind unentschlossen bis renitent. Die AfD-Vorsitzende der Stadt Cottbus | |
muss sich zügeln, um nicht mit den Hackenschuhen die Bühne zu zerstampfen. | |
„Oder ich bitte den Sicherheitsdienst, die Störer des Saales zu verweisen! | |
Es ist eine geschlossene Veranstaltung!“ In der Einladung war der | |
„Bürgerdialog“ in Cottbus doch noch öffentlich? Aber das scheint der Frau, | |
die eben noch die staatliche Ordnung beschwor, nun einerlei. | |
Ist das schon der Notstand, vor dem die AfD seit Wochen warnt? Für einen | |
Augenblick brodelt es unter dem hölzernen Gewölbe im Cottbuser Stadthaus, | |
wo die Alternative für Deutschland im Rahmen ihrer Herbstoffensive zum | |
„Bürgerdialog“ geladen hat. Eigentlich lassen sich Offensive und Dialog | |
nicht harmonisch vereinen, und das ist wohl auch der Grund, warum Marianne | |
Spring, sonst Mitglied der Cottbuser Stadtverordnetenversammlung, nun | |
losdonnert: „Jetzt reicht es! Ich lasse die hinteren Reihen räumen!“ | |
Die beiden Herren von der Security recken schon die Hälse, wen sie als | |
Erstes hinauswerfen könnten. Doch die Herbstoffensive begnügt sich dann | |
doch mit Drohungen. Der Saal ist immerhin bis auf den letzten Platz | |
gefüllt, und mancher, ob pro oder kontra, ist nicht mehr hineingelangt. | |
Draußen protestiert der „Cottbuser Aufbruch“ – Motto „Herz statt Hetze… | |
mehr als Hundert sind gekommen, und auch drinnen zieht es die AfD-Gegner zu | |
den Saalmikrofonen. Doch Spring lässt sie wohlweislich noch stumm. | |
Marianne Spring, Jahrgang 1946, fand 2013 zur AfD. Zuvor führte sie die | |
„Frauenliste Cottbus“ an, danach kandidierte sie als Parteilose auf der | |
FDP-Liste. Die „Kanzlerinnenpolitik“ treibe die Menschen auf die Straße, | |
ruft sie in den Saal. Überfallartig seien in Cottbus zwei Sporthallen für | |
Flüchtlinge hergerichtet worden. Selbst die Verspätung der Hauptrednerin | |
schiebt sie den „Altparteien“ in die Schuhe. Kein Wunder, dass man im Stau | |
stecke, die Infrastruktur werde seit Jahren vernachlässigt. | |
## Wie ein Jungbrunnen | |
„So, das Objekt der Begierde ist da!“ Spring klingt zufrieden. „Ich begr�… | |
die neue Bundesvorsitzende Doktor Frauke Petry! Schaut auf diese Frau!“ Die | |
einen erheben sich, die anderen recken rote Karten, die sich zumindest | |
farblich mit Springs engem Kostüm vertragen. Ein Mann um die 60 rutscht | |
unruhig hin und her, bleibt aber sitzen. Er sei in der Agrarbranche tätig, | |
erzählt er, seinen Namen behält er für sich. Die Neugier habe ihn | |
hergeführt, sagt er leise, während Petry zu reden beginnt. Heutzutage werde | |
man schnell in die rechte Ecke gestellt, seufzt er. Mit seinen weißen | |
Locken und dem Bart wirkt er gutmütig, fast wie Nikolaus, verbittert | |
jedenfalls nicht. | |
Gegen all die AfD-Granden mit ihren wächsernen Mienen wirkt die 40-jährige | |
Frauke Petry wie ein Jungbrunnen – Hosenanzug, weiter Kragen, offene Bluse. | |
Sie redet flink, ohne Manuskript: Asylverfahren beschleunigen, | |
„Flüchtlingsaufnahmezentren“ außerhalb der EU schaffen, Grenzen sichern. | |
„Wir brauchen starke Polizei!“, verlangt sie und lächelt den Ordnungshüte… | |
an der Tür zu. | |
So jugendlich ihr Auftreten, so patriarchal ihr Dialog – besonders wenn | |
sich Bürger zu Wort melden, die die AfD nicht mögen. „Ich weiß nicht, ob | |
Sie Kinder haben, ob Sie alt genug sind“, fährt sie einer jungen Frau über | |
den Mund, die mehr Geld für Bildung verlangt, auch um Flüchtlinge zu | |
integrieren. Und als sie weiter um Verständnis für Asylsuchende wirbt, | |
bügelt Petry sie noch einmal ab: „Haben Sie eine Flüchtlingsgeschichte in | |
der Familie?“ | |
## „Wie weit wollen Sie gehen? Bis zum Schießbefehl?“ | |
Doch ein Selbstläufer ist die Herbstoffensive nicht. Und es liegt nicht nur | |
an Zwischenrufen und den roten Karten. Es liegt auch an Zuhörern wie | |
Winfried Schwerendt: „Ich bin geflüchtet aus Ostpreußen. Wenn ich diese | |
Flüchtlingsströme sehe, die durch kalte Flüsse waten – denken Sie, das ist | |
keine Flucht?“ – „Es ist erwiesen, dass Grenzen nur mit äußerster Gewalt | |
und nicht dauerhaft gesichert werden können“, fährt ein anderer fort. „Wie | |
weit wollen Sie gehen? Bis zum Schießbefehl?“ Den wird Petry heute nicht | |
fordern, auch nicht als Ultima Ratio, so wie ihr neuer Lebensgefährte | |
Marcus Pretzell, AfD-Chef von NRW, vor Kurzem gesagt hat. | |
200, vielleicht 300 Anhänger hat die neue AfD-Ikone aus ihren Wohnungen | |
gelockt – in Zeiten von „multiplem Regierungsversagen“ eine eher | |
überschaubare Zahl. Und an den Mikrofonen geht den Petry-Befürwortern bald | |
die Puste aus. Kritiker reiht sich an Kritiker. | |
Den Herrn mit dem Nikolausgesicht hält es bei dieser Phalanx nicht länger | |
auf dem Stuhl. „Ich als ehemaliger DDR-Bürger habe viel erlebt“, beginnt er | |
seinen Entlastungsangriff. Es folgt ein längerer Vortrag, in dem er über | |
Deutschlands Nachbarn und Putin räsoniert und der in einem Schlachtruf | |
mündet: „Der Hauptverursacher der Krise sitzt ganz woanders.“ Er weist in | |
die Ferne. „Überm großen Teich!“ In den Applaus hinein ruft er zu Petry: | |
Wann beenden Sie die Merkel-Diktatur?“ | |
## Die Spendenbox bleibt leer | |
Später geht er wohlgemut aus dem Saal, als hätte er sich nur kurz | |
erleichtert. Das mit der Merkel-Diktatur, winkt er ab, habe er doch nicht | |
so gemeint. Der Bürgerdialog schließt mit rhythmischem Parteitagsklatschen | |
der AfD-Gemeinde. Die gläserne Spendenbox, die durch den Saal getragen | |
wird, bleibt nahezu leer. | |
Die Stimmung in Cottbus ist seit Wochen gereizt. Im Oktober gab es vor dem | |
Erstaufnahmelager im Stadtteil Sachsendorf Krawalle und Demonstrationen von | |
Anwohnern und Neonazis. Nach einer solchen Demonstration sollen auf dem | |
Campus der Technischen Universität am letzten Oktoberwochenende drei | |
Studierende von Hooligans angegriffen worden sein, berichtet der Präsident | |
der Universität. Die Polizei ermittelt wegen Messerstecherei. | |
In der Septemberausgabe ihres Informationsbriefs AfD-Kompakt lieferte die | |
Partei erste Eindrücke von der Herbstoffensive. In Pinneberg stehen drei | |
AfDler, in Mannheim und Koblenz sind es je vier und in Hamburg zwei Männer | |
und drei Kaffeebecher. Die Leere ist mit Sonnenschirmen und Pappschildern | |
verstellt. Da das auch den Machern aufgefallen ist, liefert der | |
Oktoberbrief noch einige frische Impressionen nach. Doch mit Ausnahme des | |
bayrischen Grenzorts Freilassing ist es der Osten, wo die Offensive | |
Menschen nach draußen treibt. In Rostock, in Magdeburg, in Dresden und vor | |
allem in Erfurt, wo Oberstudienrat Höcke gegen Multikulti-Deutschland mit | |
seiner „Kanak-Sprak“ eifert. | |
## Poggenburg haucht | |
In Dessau haben die Veranstalter 1.000 Teilnehmer angemeldet, gekommen sind | |
vielleicht 300. Frauke Petry ist nahezu pünktlich, ein anderer fehlt. „Ist | |
unser Landesvorsitzender schon da?“, fragt ein wohlbeleibter Herr ratlos | |
ins Megafon. André Poggenburg kommt mit gehöriger Verspätung, stellt sich | |
neben Petry an die Spitze des Zuges und marschiert los, vorbei an der | |
Georgen-Kirche, wo die Gegendemo stattfindet. | |
Ob sie das erste Mal seit 1989 demonstrieren? Ja, so könne man das sagen, | |
antwortet eine Frau zögernd. Ihr Mann nickt. Und warum? Angst vor den | |
Fremden in unserer Heimat, Angst, dass unsere Würde mit Füßen getreten | |
wird, Angst vor Invasoren. Was so bedächtig begonnen hat, nimmt schnell | |
Fahrt auf. Im August, als Angela Merkel die Flüchtlinge aus Budapest nach | |
Deutschland holen ließ, habe sie für ein paar Tage keine Worte mehr | |
gefunden, versichert die Frau. „Dass wir mit Füßen getreten werden!“, | |
empört sie sich. Die Meinungsfreiheit sei auch eingeschränkt. „Diese | |
Asylpolitik ist das Schlimmste von allem!“ Aus dem 30 Kilometer entfernten | |
Bernburg seien sie angereist, im Gesundheitswesen habe sie gearbeitet. Als | |
Ärztin? So schnell, wie sie ins Reden gekommen ist, so schnell verstummt | |
sie. | |
Dafür redet André Poggenburg, der 40 Jahre alte Spitzenmann der AfD in | |
Sachsen-Anhalt, wo am 13. März 2016 der Landtag gewählt wird. Offenbar geht | |
der Inhaber eines Autokühlerfachbetriebes bei Björn Höcke in die Schule. | |
Doch was bei dem AfD-Prediger aus Erfurt immer so eisig klirrt, steigt bei | |
Poggenburg nur als Hauch in den Himmel. „Immer tiefer verletzte | |
Volksseele“– „Herr im Hause“ – „Gutmenschen“ – „grünes Pack�… | |
Poggenburg von seinem Klemmbrett. Aufrührer sollten frei reden können. | |
## „Gehören an die Wand gestellt“ | |
Aber die Herbstoffensive hat ja in Sachsen-Anhalt an ganz anderer Stelle zu | |
Volltreffern geführt. „Die Völkerwanderung muss aufgehalten werden“, | |
forderte Anfang Oktober AfD-Kreisvorstand René Augusti aus dem | |
Altmarkstädtchen Salzwedel. In einem geschlossenen AfD-Forum bei Facebook | |
schrieb er: „Die sich Deutsche nennen und dies fördern, gehören an die Wand | |
gestellt. Macht endlich was und wartet nicht auf andere.“ Zunächst wollte | |
Poggenburg Augusti nur degradieren, dann kam er um einen Ausschluss doch | |
nicht herum. | |
Als das Deutschlandlied gesungen ist, die Kundgebung sich auflöst und die | |
Polizei ihre Technik zusammenräumt, kommen drei junge dunkelhäutige Männer | |
um die Ecke. Unschlüssig bleiben sie stehen, beobachten das Treiben, | |
zögern, laufen dann aber zügig über das Pflaster, vorbei an der Tribüne, wo | |
sich eine strahlende Frauke Petry mit diversen Fans ablichten lässt. | |
Die Herbstoffensive endet am Sonnabend mit einer Großdemonstration in | |
Berlin. Doch was heißt groß? AfD und Polizei gehen von 5.000 Teilnehmern | |
aus. Zuvor war von 10.000 Teilnehmern die Rede gewesen. Mehrere | |
Gegendemonstrationen sind angemeldet. | |
5 Nov 2015 | |
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