| # taz.de -- Michael Fürst über Antisemitismus: „Man muss das genau beobacht… | |
| > Ein jüdischer Friedhof wurde geschändet – wohl von Rechten. Einige | |
| > fürchten nun, dass mit den Flüchtlingen der Antisemitismus zunimmt. Der | |
| > Chef des jüdischen Gemeindeverbands Niedersachsen nicht | |
| Bild: Ungeschändete Gräber auf dem jüdischen Friedhof an der Stangenriede in… | |
| taz: Herr Fürst, kürzlich wurde Hannovers jüdischer Friedhof Strangriede | |
| geschändet, wohl von Rechten. Ist zu befürchten, dass künftig | |
| antisemitische Muslime so etwas tun? Die liberale jüdische Gemeinde | |
| Hannover befürchtet das. | |
| Michael Fürst: Ich glaube nicht. Muslimen sind Friedhöfe ebenso wichtig wie | |
| uns. Das Schänden von Friedhöfen hat mehr europäische „Tradition „ und | |
| Unsitte. Grundsätzlich nehmen wir die Möglichkeit eines importierten | |
| Antisemitismus allerdings durchaus ernst. Es gibt aber Gemeinden, die das | |
| aus meiner Sicht übertreiben. Ich muss nicht so tun, als ob ich ständig | |
| bedroht werde. Die jüdischen Gemeinden werden nicht bedroht. Aber | |
| natürlich: Wir haben Antisemitismus in Deutschland, wir haben | |
| Antisemitismus in anderen europäischen Ländern, und wir haben durch den | |
| derzeitigen Zuzug von vielen Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten | |
| jetzt sicherlich eine Situation, die man im Auge behalten muss. | |
| Wie soll das konkret vor sich gehen? | |
| Ich erwarte von den Sicherheitsbehörden, dass sie die zuziehenden Menschen | |
| überprüfen und beobachten, ob dort ein neuer Antisemitismus entsteht. | |
| Wie soll man Flüchtlinge auf Antisemitismus überprüfen? | |
| Das ist natürlich nicht möglich. Es geht vielmehr darum zu beobachten, wie | |
| sich das entwickelt: Wie gehen die zuständigen muslimischen Verbände mit | |
| den Flüchtlingen um? Können sie integriert werden, kommen sie in bestehende | |
| Strukturen hinein? Wie wird ihnen beigebracht, dass sich das hiesige | |
| soziale System von dem ihrer Herkunftsländer unterscheidet? | |
| Wie gehen jüdische Gemeinden derzeit mit Flüchtlingen um? | |
| Die jüdischen Gemeinden bestehen heute überwiegend aus russischen | |
| Kontingentflüchtlingen, und ihre Haltung hängt auch vom jeweiligen | |
| Gemeindevorstand ab. Ich plädiere dafür, die Menschen zu beruhigen und | |
| ihnen mitzuteilen, dass wir ständig im Gespräch mit Polizei und | |
| Sicherheitsbehörden sind, die uns glaubhaft versichern, dass derzeit keine | |
| akute Bedrohung besteht. | |
| Wie viele jüdische Gemeinden engagieren sich zurzeit in der | |
| Flüchtlingshilfe? | |
| Derzeit weiß ich von keiner, aber das kann sich ändern: Die Stadt Hannover | |
| überlegt, eventuell eine Flüchtlingsunterkunft in die Nähe unserer | |
| jüdischen Gemeinde zu setzen. Das würden wir zum Anlass nehmen, diese | |
| Flüchtlinge zu uns einzuladen. | |
| Wird das in den ängstlichen jüdischen Gemeinden funktionieren? | |
| Wir haben keine ängstlichen jüdischen Gemeinden. Wir als Vorstände müssen | |
| aber darauf achten, dass die sich abzeichnenden muslimischen Mehrheiten in | |
| die richtige Spur gelenkt werden. In eine nicht-antisemitische Spur. Denn | |
| viele kommen aus Ländern, in denen der Antisemitismus „Staatsdoktrin“ ist. | |
| In welchen arabischen Ländern ist Antisemitismus besonders verbreitet? | |
| Ich möchte da keine Länder herausgreifen. Es gibt auch in nicht-arabischen | |
| Ländern Antisemitismus – etwa im Süden und Osten der Türkei. Und auch bei | |
| hiesigen jungen Türken. | |
| Können Sie da gegensteuern? | |
| Wir versuchen es, indem wir unsere dortigen Gesprächspartner darauf | |
| hinweisen, dass sie sich intensiver mit dieser Problematik befassen müssen. | |
| Das haben sie über Jahre hinweg versäumt, aber jetzt steuern sie gegen. | |
| Sie stehen im Dialog mit muslimischen Verbänden? | |
| Ja, ich treffe die Vorstände von Schura und Ditib und der palästinensischen | |
| Gemeinde Hannover regelmäßig. Wir haben Veranstaltungen wie „Gemeinsam | |
| gegen Rechts“ und Gesprächsrunden über palästinensische | |
| Vertreibungserfahrungen durchgeführt. | |
| Gibt es eigentlich auch einen jüdischen Antiislamismus? | |
| Das würde ich nicht leugnen wollen. Es gibt auch unter Juden vereinzelt | |
| einen unreflektierten Antiislamismus, den man im Auge behalten muss. | |
| Was tun Sie dagegen? | |
| Wir weisen unsere Mitglieder auf interreligiöse Veranstaltungen wie die | |
| eben genannten hin. Da unsere jüdischen Gemeinden aber zu 90 Prozent | |
| russischsprachig sind und besonders Ältere oft kaum deutsch sprechen, sind | |
| sie oft schwer zu erreichen. | |
| 8 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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