# taz.de -- Friedhof mit NS-Opfern: Geschändet und vergessen | |
> Über 400 NS-Opfer liegen auf dem Friedhof „Meyerhöfen“ bei Osnabrück. … | |
> Behörden interessieren sich nicht für gestohlene Gedenktafeln und | |
> Verfall. | |
Bild: Kümmern sich: Volker Issmer, Michael Gander und Georg Hörnschemeyer vor… | |
Bohmte taz | Es gibt Orte, die wirken so verlassen, dass es weh tut. Der | |
Bohmter Friedhof „Meyerhöfen“ im Landkreis Osnabrück ist einer von ihnen. | |
Halb vergessen liegt er zwischen Venner Moor und Ochsenmoor, an einer | |
winzigen Nebenstraße ins Nirgendwo, zwischen Wald und Feld. 482 Tote sind | |
hier bestattet, in den 1950er- und 1960er-Jahren aus dem gesamten | |
Regierungsbezirk Osnabrück umgebettet, die meisten Kriegsgefangene und | |
Zwangsarbeiter der NS-Diktatur, viele Frauen und Kinder. | |
Etwas Unheimliches liegt über dem Ort: schiefe, heruntergebrochene | |
Lattenzäune, Bänke, deren Sitzbretter wegfaulen, verrostete Grablichter, | |
tief ins halbtote Gestrüpp geschleudert. Einige der kleinen | |
Granit-Grabblöcke sind aus dem Boden gehebelt, andere von Astwerk | |
überwuchert, viele so schmutzig, dass die Nummern, die sie tragen, nicht | |
mehr lesbar sind. Müll liegt herum. Wer immer hier mäht, scheint nicht zu | |
wissen, was ein Freischneider ist. Hinten, an den Betonstelen, vertrocknet | |
ein Kranz. | |
Das Schlimmste aber sind die Schändungen. Die vier Bronzetafeln der Stelen | |
wurden abgesägt, aus der Verankerung gebrochen, vor Jahren schon – sie | |
trugen die Namen der Toten. In die verblichene, verfärbte, schon längst | |
nicht mehr faktenaktuelle Plastiktafel am Eingang hat jemand „Adolf“ | |
geritzt. | |
Daniel Schnier empört das. Der Bremer, in Bohmte aufgewachsen, war Ende Mai | |
hier. „Das ist kein Friedhof“, sagt er bitter, „das ist eine Verscharrung… | |
Schnier hat Briefe geschrieben. An die Gemeinde Bohmte, an das Land | |
Niedersachsen, das für „Meyerhöfen“ verantwortlich ist. An den Volksbund | |
Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der den Ort nur als „Sowjetische | |
Kriegsgräberstätte“ führt, obwohl hier auch Polen und Ukrainer liegen, | |
Belgier, Franzosen, Griechen, Serben, Niederländer – und Zivilisten. | |
Bohmtes Bürgermeister Klaus Goedejohann weist darauf hin, dass die Gemeinde | |
gern die Pflege der Gräber übernehmen will. Ein hierzu an das Land | |
Niedersachsen gerichteter Antrag sei aber vom Landeskabinett abgelehnt | |
worden. | |
Eine der Antworten, die Schnier besonders zornig macht, kam von | |
niedersächsischen Innenministerium. „Da hieß es, ein Ersatz der | |
Bronzetafeln erscheine derzeit nicht sinnvoll, weitere Diebstähle könnten | |
ja nicht verhindert werden.“ | |
Volker Issmer, Historiker aus Osnabrück, der erstmals Mitte der | |
1990er-Jahre im Zuge seiner Forschungen zum Gestapo-Arbeitserziehungslager | |
„Augustaschacht“ bei Osnabrück auf „Meyerhöfen“ gestoßen war, steht … | |
nackten Stelen: „Unhaltbar“, sagt er. Michael Gander, Leiter des | |
Osnabrücker Gedenkstättenensembles „Augustaschacht“ und „Gestapokeller�… | |
nickt: „Fortschreitender Verfall, fortschreitende Schändung – zunächst | |
einmal muss hier ein Zustand der Würde geschaffen werden.“ | |
Das alles sei ja schon lange bekannt, sagt Georg Hörnschemeyer, | |
Vorsitzender des Trägervereins des Augustaschachts und Gestapokellers. | |
„Aber passiert ist nichts.“ | |
Auch die Russin Schenja Hulkowa liegt hier. Als sie Anfang 1945 starb, war | |
sie noch nicht einmal ein Jahr alt. 1957 wurde sie hierhin umgebettet, aus | |
Georgsmarienhütte; ihre Mutter lebte in einem der Barackenlager des | |
Augustaschachts. „Über die meisten Opfer hier wissen wir kaum etwas“, sagt | |
Issmer eindringlich: „Mehr als 100 sind namenlos.“ | |
Da ist Forschung geboten. Issmer, Gander und Hörnschemeyer sind hier, um | |
Taten auf den Weg zu bringen. Etwa gegen das Informationsdefizit. Denn wer | |
„Meyerhöfen“ besucht, erfährt nur fragmentarisch, an was für einem Ort er | |
ist. „Auskünfte erteilt die Gemeinde Bohmte“, heißt es zwar am Eingang, | |
aber wer fragt da schon? „Absolut lächerlich!“, schüttelt Hörnschemeyer … | |
Kopf. „Auf die Bürozeiten der Verwaltung warten und die Vermittlung | |
anrufen? Gestriger geht’s nicht.“ Eine interaktive | |
„Meyerhöfen“-Internetseite könnte Gander sich vorstellen, oder eine App, … | |
die man sich vor Ort einloggt. | |
Klar ist: Der Ort braucht Öffentlichkeit. „Regelmäßige Gedenkfeiern zum | |
Beispiel“, sagt Issmer. „Vielleicht am 27. Januar, dem Jahrestag der | |
Befreiung von Auschwitz.“ Und Aufklärung muss her. Unwahrscheinlich zum | |
Beispiel, dass das Absägen der Bronzetafeln wirklich nur ein simpler | |
Metall-Diebstahl war, denn keine seriöse Gießerei schmilzt eine solche | |
Tafel ein. | |
## Schändung ohne strafrechtliche Folgen | |
„Politische Gründe sind nicht auszuschließen“, sagt Gander. Im Gegensatz … | |
Schnier wünscht er sich die Tafeln gar nicht zwingend zurück: „Auch eine | |
derartige Verwundung lehrt ja etwas über den Zustand unserer Gesellschaft. | |
Natürlich bräuchte es dann hier vor Ort einen Kommentar, der das Ganze | |
erklärt.“ | |
Wie es mit „Meyerhöfen“ weitergeht? Kerstin Schubert vom Fachbereich | |
Ordnung der Gemeinde Bohmte hält sich bedeckt: „Das liegt in der | |
Zuständigkeit des Landes.“ | |
Philipp Wedelich, Pressechef des Hannoveraner Innenministeriums: Ein | |
Austausch der Plastikplatte werde „erwogen“. Weiteren Diebstählen solle | |
„durch eine geeignete Material- und Gestaltungswahl begegnet werden“. Neue | |
Bronzetafeln für die Stelen sind dabei nicht vorgesehen: zu teuer, zu | |
diebstahlsgefährdet. Immerhin: Eine Einbindung des Friedhofs „in die | |
örtliche und überörtliche Gedenkarbeit“ fände das Ministerium „sehr | |
sinnvoll“. | |
Bleibt „Adolf“. Strafrechtliche Folgen hat die Schändung wohl nicht: „We… | |
der bisher erfolglos laufenden Ermittlungen zu den Bronzeplatten“, sagt | |
Wedelich, „wurde bisher von einer Strafanzeige abgesehen.“ Eine seltsame | |
Begründung. | |
13 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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