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# taz.de -- Umgang mit der Osnabrücker „Baracke 35“: NS-Erbe im Neubauvier…
> Die „Baracke 35“ war in der NS-Zeit erst Kaserne, dann
> Kriegsgefangenenlager. Sie wäre als Erinnerungsort geeignet. Aber
> Osnabrück weiß nicht recht.
Bild: Organisieren die Ausstellung in der „Baracke 35“: Petar Miloradović …
Osnabrück taz | Es ist ein düsterer Ort. Der fahle Anstrich der
Holzverschalung blättert ab, überzogen von Schmutz und Schimmel. Kabelenden
ragen aus den Wänden. Lampenfassungen hängen verbogen von der Decke. Die
Wände sind fleckig und voller Löcher. Putz bröckelt. Der Boden des langen
Mittelgangs ist ein Wechsel von grauschlierigen Fliesen und zerschlissenem
Teppich. Es knirscht unter den Füßen. Es riecht muffig. Staub schwebt in
der Luft.
Es gibt Orte, an denen zu spüren ist: Hier ist Schlimmes geschehen.
[1][„Baracke 35“] ist ein solcher Ort. 1935 für die Wehrmacht gebaut, war
sie ab Ende 1937 Teil der Infanterie-Ausbildungskaserne
Osnabrück-Eversheide. 1940 wurde die Kaserne zum Kriegsgefangenenlager
Oflag VIc. Bis zu 6.000 Offiziere waren hier untergebracht, hauptsächlich
Serben aus Jugoslawien. Hinzu kamen politische Gefangene aus Frankreich und
Holland, Russland, Polen und der Ukraine. Am Ende war das Lager rund 40
Baracken groß.
Željko Dragić geht von Raum zu Raum in der einstigen Wach- und heutigen
„Antikriegsbaracke“. Er ist Historiker, befasst sich mit Erinnerungskultur,
südosteuropäischer Geschichte. Dragić hat die Dauerausstellung
„Offizierslager VIc – Kriegsgefangene in Osnabrück“ kuratiert, die seit
Mitte 2021 hier zu sehen ist, administriert vom örtlichen Förderverein
„Antikriegskultur und Friedenshandeln“. Niedersachsens Innenminister Boris
Pistorius (SPD) war zur Eröffnung da – unmittelbar zuvor hatte die Stadt
[2][Osnabrück] dem feuchtklamm vor sich hin rottenden Denkmalschutzobjekt
Wasser, Strom und Heizung spendiert.
Ginge es nach Dragić, entstünde hier eine Begegnungsstätte, ein
„Friedensort“, teils genutzt durch die Stadt Osnabrück. Rund 1 Million
Euro würde eine Sanierung kosten, schätzt er. Und dann erzählt er von den
Fundstücken, die seine Ausstellung zeigt: „Bei Gasleitungsarbeiten haben
wir einen Stahlhelm der Wachmannschaften gefunden, bei Erdarbeiten ein
Stück Stacheldraht des Lagerzauns.“ Dragić atmet durch. „Aber das waren
Zufallsfunde. Der Rest des Lagers ist archäologisch leider nie untersucht
worden. Das wurde einfach abgeräumt. Ein bitteres Versäumnis!“
Was mit Baracke 35 langfristig geschieht, ist offen. Sie ist im Besitz der
Stadt, aber die tut sich mit ihr schwer, bautechnisch wie inhaltlich:
„Aktuell besteht ein entsprechender Prüfauftrag für die Verwaltung zur
Erarbeitung eines Konzeptes“, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt
Osnabrück, zur taz. Dazu gehöre die Entwicklung einer Nutzungsidee. Dass
keine archäologische Exploration angeschoben wurde, bestätigt er – weder
von der Stadt Osnabrück noch von einer sonstigen Behörde.
Welche Erhaltungsarbeiten erforderlich sind, beantwortet Jürgensen sehr
vage: „In Abhängigkeit des zukünftigen Nutzungskonzepts wären die baulichen
Anforderungen zu definieren und zu konkretisieren.“ Klingt nicht so, als ob
hier bald was passiert. Haushaltsmittel für eine umfassende Sanierung der
Baracke sind für das Haushaltsjahr 2022 jedenfalls derzeit nicht
vorgesehen.
Der ursprüngliche Gedanke des Vereins, das gesamte Lager als
[3][Erinnerungsort] zu erhalten, war schnell fehlgeschlagen. In Osnabrück
herrscht Wohnungsknappheit. Wo einst das Oflag VIc stand, entsteht heute
ein neues, schickes Stadtviertel. Auch die Hoffnung, wenigstens ein kleines
Ensemble von Baracken zu erhalten, hat sich zerschlagen. Wer Baracke 35
heute sieht, umgeben von Neubauten, kann sich das Lager von einst nicht
mehr vorstellen.
Auch Baracke 34 hat überlebt, direkt daneben. In ihr befindet sich heute
das Baubüro der Esos Energieservice GmbH Osnabrück, einer
Tochtergesellschaft der Stadtwerke Osnabrück, die das neue Viertel
entwickelt. Aber sie wird am Ende der Bauphase abgerissen. „Sie ist sowieso
nicht mehr im Originalzustand“, sagt Dragić. „Da wurde ja massiv
modernisiert.“
Der Zustand von Baracke 35 ist übrigens eine Mischung aus Wehrmacht,
Gefangenenlager und britischer Armee. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das
Oflag VIc zu einer britischen Kaserne, den „Quebec Barracks“. Nach deren
Abzug übernahm die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben das Areal. 37
Hektar bestes Baugebiet. Eine Goldgrube.
Nur wenige Schritte von Baracke 35 entfernt steht jetzt ein ultramoderner,
riesiger Rewe. Auch die Kindertagesstätte steht schon. Über 800
Wohneinheiten entstehen. „Ich wünsche mir“, sagt Dragić, „dass die Bara…
ein lebendiger Teil des Stadtviertels wird. Die Leute hier sollen wissen,
was hier früher mal war.“
Petar Miloradović, dessen Vater als serbischer Offizier in
NS-Gefangenschaft war und das Oflag VIc als Displaced Person unter den
Briten erlebt hat, erzählt derweil, dass unter den Kriegsgefangenen rund
450 Offiziere jüdischen Glaubens waren, die hier sogar ihre Gottesdienste
abhalten durften. „Es gibt noch so viel zu forschen“, sagt er.
Baracke 35 war schon mehrfach Gegenstand der politischen Debatte in
Osnabrück. Es ging um die Renovierung, um die Vernetzung mit anderen Orten
der Osnabrücker Erinnerungskultur. Passiert ist bisher wenig. Der Verein,
der einen Teil der rund 560 Quadratmeter großen Baracke gepachtet hat, tut
dagegen was er kann, Führungen inklusive. Auch um zu zeigen: Die Genfer
Konventionen galten hier nicht viel; Erschießungen zeugen davon.
Vielleicht sollte die Stadt von Michael Prior lernen, Vorstandssprecher der
Friedel-&-Gisela-Bohnenkamp-Stiftung, die Dragićs Ausstellung unterstützt
hat: „Wie ein gallisches Dorf steht inmitten des baulichen Aufstrebens des
Areals die alte Baracke 35“, schreibt er in ihrem Katalog. „Sie will sich
irgendwie nicht so richtig fügen in die vielen neuen Häuser, wirkt dadurch
sperrig, ja fast irgendwie aus der Zeit gelöst, als ob jemand vergessen
hätte, sie abzureißen.“ Dennoch sei sie nicht fehl am Platz, sondern ein
Ort des Vergegenwärtigens, der Vergangenheit und Zukunft verbindet.“
Es seien „Schritte bis zur grundlegenden inhaltlichen Ausgestaltung offen“,
steht 2012 im Bericht einer Tagung der Universität Osnabrück zum Oflag VIc.
So ist es noch heute.
11 Apr 2022
## LINKS
[1] http://baracke35.org/
[2] /Osnabrueck/!t5012466
[3] /Gedenkstaette/!t5011791
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
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