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# taz.de -- Dokumentarfilm „Lagerhaus G“: Das KZ in Hamburgs Hafen
> Das „Lagerhaus G“ am Kleinen Grasbrook in Hamburg soll eine Gedenkstätte
> werden, verfällt aber zunehmend. Seine Geschichte erzählt nun ein Film.
Bild: Geschichtsträchtig, aber dem Verfall überlassen: Das „Lagerhaus G“ …
Bremen taz | „Auf der Erde saßen wir!“ sagt die 93-jährige Edith Kraus und
deutet auf einen Steinhaufen in einem dunklen Kellergewölbe. Und „dabei
rannten die Ratten über uns her!“. Vor einigen Jahren hat sie noch einmal
den Ort besucht, an dem sie Ende des Zweiten Weltkriegs als jüdische
Zwangsarbeiterin interniert war, und bei den Bombenangriffen in dem nassen
und dunklen Keller des [1][„Lagerhaus G“] Schutz suchen musste.
Aus Auschwitz war sie mit einer Gruppe Frauen in Viehwagen nach Hamburg
gefahren worden. Im Außenlager des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer wurde sie
dann neben italienischen Militärinternierten gefangengehalten. Über eine
halbe Million von diesen Sklavenarbeiter*innen gab es damals alleine
in Hamburg, und der Filmemacher Markus Fiedler sagt, es wäre schwierig,
einen Hamburger Betrieb aus dieser Zeit zu finden, in dem keine
Zwangsarbeiter*innen eingesetzt wurden.
Diese Tatsachen sind auch heute noch nur wenigen ein Begriff. Auch Fiedler
waren sie im Jahr 2015 noch unbekannt, als er seine Dreharbeiten über das
historische Gebäude „Lagerhaus G“ begann.
Schon damals drohte der Abriss, denn zu dieser Zeit hatte sich Hamburg für
die Olympischen Sommerspiele 2024 beworben, und auf dem Gebiet des
ehemaligen Freihafens hätten [2][Sportstätten sowie das olympische Dorf
entstehen sollen]. Das „Lagerhaus G“ hatte allerdings einen Besitzer, und
dieser Lothar Lukas war solch ein bunter Vogel und rebellischer Geist, dass
Fiedler in ihm einen guten Protagonisten erkannte, der solch einen Film
über ein Gebäude mit Leben erfüllen könnte. Dies wird auch einer der Gründe
dafür gewesen sein, warum Fiedler seine filmische Recherche über die
Immobilie begann.
Der Speicher wurde im Jahr 1903 gebaut, als das Gelände zum Freihafen
deklariert wurde: Viele Unternehmen deponierten in der Folge dort ihre
Waren, um so die Zollgebühren zu vermeiden. Jahrzehntelang hat die Firma
Reemtsma dort Tabak gelagert: Auch dies erwies sich als ein Glücksfall für
Markus Fiedler, denn [3][Jan Philipp Reemtsma] erklärte sich bereit, vor
dessen Kamera Auskunft zu geben – und dies nicht nur als Erbe des
Tabakunternehmens, sondern auch als Sozialwissenschaftler, der im Film
kundig und pointiert über die Themen Zwangsarbeit in Hamburg und die
Erhaltung historischer Gebäude spricht.
Zuerst interessierte Fiedler sich vor allem für den Kampf von Lothar Lukas
gegen die Hamburger Hafenbehörden. Das Dilemma bei Gebäuden auf dem
Hafengebiet besteht darin, dass die Stadt immer der Besitzer des
Grundstücks bleibt, dem Eigentümer also nur das Haus, nicht aber der Boden
gehört.
Für Fiedler erledigte sich dieses Problem, als die Hamburger*innen sich
bei einer Volksabstimmung [4][gegen die olympischen Spiele in ihrer Stadt
entschieden]. Doch inzwischen gibt es neue Eigentümer, und auch diese sind
nun in einen jahrelangen Rechtsstreit mit der Hamburg Port Authority
verwickelt, die auf dem ehemaligen Freihafengebiet gerne ein Viertel mit
Luxuswohnungen bauen lassen würde.
Erst im Laufe seiner Recherchen fand Fiedler heraus, dass das Lagerhaus G
ein Internierungslager für Zwangsarbeiter*innen war. Und dadurch
veränderte sich der Fokus seines Films. Mit Edith Kraus und Livia Fränkel
aus Rumänien fand er zwei Frauen, die erschütternd und sehr anschaulich von
ihrer Zeit im Lagerhaus berichten konnten. Und es bildete sich eine
Initiative, die sich dafür einsetzt, dass das Gebäude erhalten und in eine
Gedenkstätte umgewandelt wird. Fiedler ist selber Mitglied dieser
Initiative, er ist also nicht nur Beobachter, sondern auch interessierter
Beteiligter.
Filmisch macht er diese Unschärfe deutlich, indem er auf dem fahrenden
Fahrrad Aufnahmen von einer Fahrraddemo der Initiative macht, er also
zugleich daran teilnimmt und sie dokumentiert. Auch sonst spielt er mit den
Konventionen des Dokumentarfilms. So vertauscht Jan Philipp Reemtsma einmal
die Rollen von Fragendem und Befragtem, um Fiedler nun seinerseits einmal
„auf den Zahn zu fühlen“.
Als einfallsreicher Filmemacher zeigt sich Fiedler auch, wenn er von dem
überraschend schnellen Tod seines ursprünglichen Protagonisten Lothar Lukas
erzählt. Nach einem letzten Gespräch mit ihm folgen ein paar Aufnahmen von
seinen nun leeren Büroräumen. Da wirkt das Lagerhaus dann plötzlich
gespenstisch – wie verlassen von den Lebendigen. Und auch für Edith Kraus
ist es ja ein Ort des Schreckens und der Angst.
Heute steht es unter Denkmalschutz und der Hamburger Koalitionsvertrag
schreibt fest, dass es in eine [5][Gedenkstätte] umgewandelt werden soll.
Fiedler nennt es eine „strategische Entscheidung“, den Film jetzt
herauszubringen. „Jetzt muss man was machen“, sagt er. Denn die Bausubstanz
sei inzwischen so gefährdet, dass es in ein paar Jahren „nichts mehr zu
restaurieren geben würde“.
Nun haben alle politischen Filmemacher*innen die Hoffnung, mit ihren
Werken etwas zu bewegen. Gelungen ist Fiedler auf jeden Fall, am Beispiel
eines Gebäudes Hamburger Geschichte so komplex und lebendig zu erzählen,
dass sie nicht mehr vergessen werden kann.
13 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Hamburg
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NS-Gedenken
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Hamburger Hafen
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NS-Literatur
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