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# taz.de -- Kritik an Kaufhaus in Osnabrück: Die Arisierung übergangen
> Das Kaufhaus L&T in Osnabrück wurde 1935 „arisiert“. Eine Gedenkskulptur
> gegen Antisemitismus will es jedoch nicht mitfinanzieren.
Bild: Wurde 1935 „arisiert“: Das Osnabrücker Kaufhaus L&T
Osnabrück taz | Es gibt Situationen, die lösen beides aus: Hoffnung und
Frust. Henrik Radewald, Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Osnabrück
(IGS), weiß, was das heißt. „Wir haben den Blick auf ein gesellschaftliches
Problem gelenkt“, fasst er zusammen. „Das ist ein Erfolg.“ Aber wenn es um
dunkle Zeiten und um dunkle Taten geht, sind Widerstände genauso wenig weit
wie Rückschläge, Fallstricke.
Am Anfang sieht nichts nach einem Wechselbad aus. Mit Jan Müller, einem
Kollegen des Gymnasiums Bad Iburg (GBI), betreut Radewald von September
2020 bis Februar 2021 sieben Schülerinnen des Jahrgangs 11 für ihre
Teilnahme am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2020/21. Das Thema
des Wettbewerbs lautete „Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“.
Die Schülerinnen erstellen dafür einen 15-Minuten-Podcast zum Thema
Antisemitismus. In ihm erzählen sie die Geschichte von Lea Levy, die 1924
als Zehnjährige aus dem Osnabrücker Turnverein (OTV) ausgeschlossen wird,
weil sie Jüdin ist. Die Schülerinnen regen einen Gedenkort für sie an.
Ende September wird der Podcast im Hannoveraner Landtag prämiert.
Danach setzen sie den Ort in die Praxis um. Das sei für sie eine
„Herzensangelegenheit“, sagen sie in ihrem Podcast. SchülerInnen der
Kunstleistungskurse beider Schulen erarbeiten für einen jurierten
Wettbewerb 30 Entwürfe und beteiligen sich in einem Workshop des Melleraner
Bildhauers Bernd Obernüfemann am Bau einer Skulptur – der Figur eines
Turners aus Stahl, Maschendraht, Styropor und Fliesenkleber. Sie wird auf
dem Gelände des OTV-Nachfolgervereins Osnabrücker Sportclub (OSC) errichtet
– in Gedenken an Levy und alle anderen jüdischen SportlerInnen, die damals
diskriminiert wurden. „Ein eindrucksvolles Engagement“, sagt Radewald. „D…
lief ja alles in der Freizeit, ohne Benotung.“
## Kaufhaus bügelte SchülerInnen ab
Aber dann beginnt es zu haken. Um Geld für die Aufstellung einzuwerben,
wenden sich die Schülerinnen Ende Juni 2021 an das Osnabrücker Mode- und
Sporthaus Lengermann & Trieschmann (L&T). Das hieß nicht immer so. [1][Bis
es 1935 durch eine sogenannte „Arisierung“] zu L&T wurde, war es das
Kaufhaus Alsberg & Co, und Lea Levys Vater, Gustav Falk, war Miteigentümer.
L&T antwortet nicht. Auf eine zweite Anfrage kommt eine Absage. „Das wurde
einfach abgebügelt“, sagt Radewald. „Das war natürlich äußerst
frustrierend, völlig unverständlich.“
Anders der OSC: Er beteiligt sich an der Errichtung. Auch die Osnabrücker
Herrenteichs-Laischaft tut das. Doch als am 9. November 2021 die Skulptur
eingeweiht wird, kommt es zum Eklat. Denn Hermann Queckenstedt,
Laischafts-Vorstandsmitglied und Leiter des Osnabrücker Diözesanmuseums,
spricht in seinem Grußwort nicht nur den „Korb“ an, den L&T der
Finanzierungsbitte gegeben hat: Nur wer sich der eigenen Geschichte „in
Wahrheit und Wahrhaftigkeit“ stelle, holt er gegen L&T aus, könne aus ihr
lernen.
Bis kurz vor der Einweihung des Gedenkorts habe das Textilhaus in seinem
„merkwürdigen“ Jubiläum [2][„fashion life style sport – 111 years for…
young“ die jüdische Gründergeneration] „ebenso ungeniert wie
undifferenziert für das eigene Marketing instrumentalisiert“. Das dazu
erschienene Hochglanzmagazin marginalisiere die Aufbauleistung der
jüdischen Eigentümer „im ersten Vierteljahrhundert der angeblich
Kontinuität spiegelnden Unternehmensgeschichte auf zwei kleinformatige
Fotos mit zwei Bildzeilen“. Queckenstedt sieht darin eine „peinliche
Geschichtsklitterung“.
## Lob für Firma mit NS-Geschichte
Das stützt die Schülerinnen. Das zeigt aber auch: Ihr Podcast hat
Schwächen. L&T gehe „offen mit der Geschichte um“, loben sie im Podcast das
Unternehmen. ILEX, eine Gruppe lokaler NS-Forscher, kritisiert dieses
L&T-Lob: „Man sollte [3][Darstellungen von Firmen, die von der ‚Arisierung�…
unmittelbar profitiert haben], immer auf ihre Richtigkeit prüfen“, sagt
ILEX-Mitglied Heiko Schulze der taz. Die Gedenkaktion findet ILEX jedoch
gut: „Wir sollten froh sein, wenn sich gerade die jetzt heranwachsende
Generation mit diesem Thema befasst.“
L&T ist jetzt unter Druck, wirklich Offenheit zu zeigen. „Man kann die
Geschichte einer ‚Arisierung‘ nicht in Marketingsprache kleiden“, sagt
Queckenstedt der taz. Ein Gespräch mit L&T-Geschäftsführer Mark Rauschen
sei positiv verlaufen, in der Vergangenheitsaufarbeitung des Unternehmens
sehe er jedoch „viel Luft nach oben“.
Warum sein Haus die Anfrage der Schülerinnen abgelehnt hat? Rauschen zeigt
sich betroffen. Er habe „mit Entsetzen“ erst aus Queckenstedts Rede davon
erfahren, sagt er der taz. „Hätte ich von dieser Anfrage erfahren, hätten
wir das Projekt mit Sicherheit unterstützt. Ich bedaure zutiefst, dass
dieser Fehler passiert ist.“ Prinzipiell engagiere man sich „seit vielen
Jahren für eine Erinnerungskultur, ausdrücklich auch in Schulen“.
## Kaufhaus entschuldigt sich
Auch für die Darstellung der Vorbesitzer in der 111-Jahre-Marketingkampagne
entschuldigt sich Rauschen „in aller Form“. Sie sei „in dieser verkürzten
Form und in diesem Rahmen unangebracht“. Und weiter sagt Rauschen: „Nichts
liegt mir ferner, als im Hinblick auf die Gründerjahre von L&T
Geschichtsklitterung zu betreiben.“
Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums habe man eine Studie zur
„Firmengeschichte unter den Aspekten der NS-Diktatur“ in Auftrag gegeben,
damals habe L&T auch Kontakt zu den Nachkommen der Gründerfamilien gesucht.
Er bringe, so Rauschen, „allen neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die
dunkle Seite der Geschichte persönlich im Rahmen des Einführungstages
nahe“.
Derweil machen die sieben Schülerinnen weiter. „Zur Skulptur entsteht eine
Website“, sagt Radewald. Vielleicht kommt darin ja auch L&T vor.
8 Dec 2021
## LINKS
[1] /Studie-zum-NS-Raub-juedischer-Vermoegen/!5814122
[2] https://www.l-t.de/historie
[3] /Historiker-ueber-NS-Profiteure/!5793168
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Schule
Osnabrück
Geschichtsaufarbeitung
"Arisierung"
"Arisierung"
Osnabrück
Lesestück Interview
NS-Dokumentationszentrum
Bundesarbeitsgericht
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