| # taz.de -- Petition der Muettersproch-Gsellschaft: E feschti Sendestund | |
| > Die Muettersproch-Gsellschaft will mehr Radiosendungen auf Alemannisch. | |
| > Klingt nach Kleingartenkrieg. Es geht aber um mehr. | |
| Bild: *Aus dem Autoradio dudelt's alemannisch* | |
| Das erste, was auffällt, wenn man die [1][Onlinepetition der | |
| Muettersproch-Gsellschaft] in Freiburg liest, ist: Alemannisch ist schon | |
| ganz geil. | |
| Das findet die Muettersproch-Gsellschaft, vereinfacht gesagt, auch. Sie | |
| beklagt, dass der öffentlich-rechtliche Südwestrundfunk in seinem | |
| Radiosender SWR4 seit Januar weniger Beiträge in alemannischer Sprache | |
| sende als vorher, auf die man zudem höchstens noch durch Zufall stoße („Wer | |
| sich am Alemannische im Radio freue will, ka also Biträg nur noch durch | |
| Zuefall verwitsche“). Und fordert eine wöchentliche Sendestunde für | |
| Südbadens Regionalsprache: „Mir wenn, dass im SWR-Radio e feschti, | |
| wöchentlichi Sendestund für unser alemannischi Sproch iigrichtet wird!“ | |
| Aber eigentlich geht es in dieser Petition um mehr. Es geht um den | |
| Stellenwert des Regionalen in Zeiten der Globalisierung. Und die Frage, die | |
| wir uns hier nun stellen, ist: Wollen wir unterschreiben? | |
| Spontan: ja! Wir finden regionale Sprachen nämlich auch total super, wir | |
| haben in unserer teilfränkischen Enklave im sechsten Stock der taz selber | |
| welche („Was gibsn zu essen?“ – „Babrrikasalaad“). Und Glattbügeleie… | |
| Art finden wir blöd. Den Fortbestand einer Sprache, die so süß ist wie ein | |
| gezuckertes Pandababy, muss man also natürlich unbedingt unterstützen. | |
| ## Sechs Morning-Shows gestrichen! | |
| Andererseits ist bei genauerer Betrachtung schon wieder alles wahnsinnig | |
| kompliziert. Man kann auch eine Gegenfrage stellen: Ist es wirklich nötig, | |
| dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk jeden kleinen Vorgarten beackert? | |
| Und da sind wir dann halt doch nicht so sicher. | |
| Folgendes ist der Stand: In Baden-Württemberg gab es bis vor einigen | |
| Monaten sieben verschiedene Radio-Morgensendungen bei SWR4. Für fast jede | |
| Region im baden-württembergischen Sendegebiet eine eigene. Jetzt gibt es | |
| nur noch eine Morning-Show. Das habe Kostengründe, heißt es. Sieben | |
| Radiosendungen benötigen mehr technisches Personal als eine Radiosendung. | |
| Zum Beispiel. Daher wurden sechs gestrichen. | |
| Bittet man den SWR um eine Stellungnahme, betont er, dass es in seinem | |
| Programm viel Regionales gebe: im Internet, auf acht verschiedenen | |
| Regionalnachrichtenseiten, im Fernsehen, bei SWR4. Ein Sprecher schickt | |
| eine Liste, auf der die in diesem Jahr ausgestrahlten alemannischen | |
| Mundarthörspiele verzeichnet sind („Der Mann mit dem Hut – Heinrich | |
| Hansjakob“, „Fanny Maier“). Und teilt mit: „Das Alemannische als | |
| gesprochene Sprache kommt überall da zum Tragen, wo die Gesprächspartner | |
| und Protagonisten sie auch benutzen.“ | |
| Die Muettersproch-Gsellschaft dagegen moniert, dass schon die | |
| Sinfonieorchester Stuttgart und Baden-Baden/Freiburg zusammengelegt worden | |
| seien trotz der Bitte, die dezentralen Strukturen der Rundfunkanstalt zu | |
| erhalten. Und nun gebe es statt der regionalen Frühsendung, in der es | |
| „durchaus genügend Raum für alemannisch sprechende Kulturschaffende und | |
| ihre Beiträge“ gegeben hätte, eine zentralisierte Produktion aus Stuttgart. | |
| ## Beide haben recht – und unrecht | |
| Irgendwie haben beide Seiten recht. Der SWR reagiert auf die neue digitale | |
| Medienwelt und verteilt Ressourcen um – wozu es womöglich keine | |
| realistische Alternative gibt. Die Muettersproch-Gsellschaft möchte ein | |
| Forum für ihren kleinen, feinen Dialekt, der zum Pool ihrer | |
| Identifikationsmerkmale gehört. | |
| Aber irgendwie haben beide auch unrecht. Die einen setzen ihre Sparzwänge | |
| auf dem Rücken von Nischen um, statt zum Beispiel die | |
| Nachmittagsfernsehsendungen ohne Regionalbezug („Kaffeevollautomaten | |
| richtig reinigen“) abzuschaffen, die eh überall laufen. Die anderen fühlen | |
| sich diskriminiert, wenn ihre Nischeninteressen nicht | |
| gesamtgesellschaftlich als relevant erachtet werden. | |
| Die große Frage, die in dieser Onlinepetition für mehr Alemannisch im Radio | |
| angelegt ist, lautet also: Wie stellen wir uns Gesellschaft vor? Als die | |
| Summe aller Kleingärten, in dem jeder sein süßes Spezialinteresse vertritt? | |
| Oder als einen großen, für alle zugänglichen Garten ohne Zäune, in dem | |
| alles Mögliche wachsen kann? | |
| Also wir sind ja schon gern in öffentlichen Parks. | |
| 9 Oct 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.openpetition.de/petition/online/mehr-alemannisch-ins-radio | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Raab | |
| ## TAGS | |
| Dialekt | |
| SWR | |
| Radio | |
| Schwerpunkt Thüringen | |
| Jugendangebot | |
| Heimat | |
| US-Serie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Südthüringer wollen Bayern werden: Auf der anderen Seite ist es grüner | |
| Ein thüringischer Heimatverein sammelt Unterschriften. Ein Teil des | |
| Landkreises Sonneberg will nach Bayern übertreten. | |
| Jugendangebot von ARD und ZDF: Öffentlich-rechtliche YouTuber | |
| Am Samstag startet „Funk“, das neue Angebot für 14- bis 29-Jährige von ARD | |
| und ZDF, das überall läuft. Nur nicht im Fernsehen. | |
| Die Deutschen und der „Heimat“-Begriff: Das Fremde als Bedrohung | |
| Der sehr deutsche Begriff „Heimat“ klingt harmlos. Doch progressiv besetzt | |
| werden kann er nicht. Seine Funktionsweise ist die der Ausgrenzung. | |
| Ästhetik der „Heimat“-Reihe von Reitz: Der Wegweiser | |
| Edgar Reitz nahm mit der „Heimat“-Reihe die Ästhetik und Erzählweise | |
| moderner US-Serien vorweg. Abgeschlossene Folgen sind überflüssig. |