# taz.de -- NSA-Affäre im Wahlkampf: Die kalkulierte Empörung | |
> Die Wut von SPD und Grünen über die Rolle von Kanzlerin Merkel in der | |
> Geheimdienstaffäre wirkt hilflos. Doch das kann sich ändern. | |
Bild: Die Kanzlerin galt bisher als kaum angreifbar. | |
BERLIN taz | Andrea Nahles steht im Foyer des Willy-Brandt-Hauses vor der | |
Medienwand mit dem Parteilogo, die in Kopfschmerz erzeugendem Pink | |
leuchtet. Die SPD-Generalsekretärin ist zuständig für die Abteilung | |
Attacke, es geht um die Überwachungsaffäre, mal wieder, eigentlich eine | |
perfekte Vorlage. | |
„Ich bin hochgradig verärgert über Merkels Desinteresse an Aufklärung“, | |
sagt also Nahles. Und schnaubt. „Pffft. Wissen Sie, welche Wirkung das im | |
Wahlkampf hat, das interessiert mich im Moment nicht.“ | |
Wie bitte? Das Ausspähen der Daten von Millionen Bundesbürgern ist für die | |
SPD kein Wahlkampfthema? Das wäre in der Tat etwas Neues. | |
Nahles liefert auf die verblüfften Nachfragen der Journalisten sofort die | |
Erklärung. Sie läuft darauf hinaus, dass sie das Thema zu wichtig für die | |
üblichen parteipolitischen Skandalisierungsmuster findet. Nun darf man | |
Nahles nicht unbedingt glauben, dass sie zu empört für strategische | |
Analysen ist. Doch illustriert diese kleine Szene recht hübsch das Dilemma, | |
in dem SPD, Grüne und Linkspartei gerade stecken. | |
## Nur wenig Neues über die Lauschangriffe | |
Die Opposition bekommt nur wenig neue Informationen über die beispiellosen | |
Lauschangriffe des US-Geheimdienstes, viele Politiker empfinden ehrliche | |
Wut über die zögerliche Aufklärung der Bundesregierung. Doch ohne neue | |
Informationen wird täglich vorgetragene Empörung schnell zum Ritual. | |
Deshalb rätseln die rot-grünen Strategen im Moment, wie sie das Thema am | |
Köcheln halten können. | |
Natürlich ist die Affäre, anders als Nahles es behauptet, eine geradezu | |
ideale Vorlage. So kurz vor einer Bundestagswahl wird jedes Thema | |
instrumentalisiert, für ein so wichtiges gilt das umso mehr. SPD und Grüne | |
suchten lange vergeblich nach einem polarisierenden Thema. Jetzt hoffen | |
sie, endlich den Skandal gefunden zu haben, mit dem sie die über den Dingen | |
schwebende Kanzlerin persönlich angreifen können. | |
SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück hat die Fallhöhe am Wochenende in einem | |
Interview definiert, indem er Merkel vorwarf, ihren Amtseid gebrochen zu | |
haben. Dieser – ungewöhnlich scharfe – Angriff ist nicht ohne Risiko, weil | |
sich Kritik an der beliebten Kanzlerin auch gegen Kritiker wenden kann. | |
Bei SPD und Grünen glaubt man, dass die Zeit reif ist für harte Attacken. | |
Für sie hat die Affäre den Charme, dass Merkel ausnahmsweise tatsächlich | |
persönlich haftet. Der Bundesnachrichtendienst (BND) kooperiert umfänglich | |
mit den Amerikanern, es ist schwer zu glauben, dass deutsche | |
Geheimdienstler überhaupt nichts von den Lauschaktionen wussten. | |
## Wichtiges weiß die Kanzlerin – vermutlich | |
Hier kommt die Kanzlerin ins Spiel. Der BND berichtet regelmäßig ans | |
Kanzleramt, wo Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, ein Merkel-Vertrauter, | |
die Dienste koordiniert. Über Wichtiges, so vermutet man es jedenfalls, | |
berichtet er seiner Chefin. | |
Es ist diese Informationsstruktur, die SPD-Generalsekretärin Nahles meint, | |
wenn sie im Willy-Brandt-Haus sagt: „Merkel hätte wissen müssen, was die | |
Amis tun. Und wenn sie nichts gewusst hat, muss einem angst und bange | |
werden.“ Weil dann nur zwei unschöne Möglichkeiten bleiben: Entweder wäre | |
der deutsche Geheimdienst unfähig, weil ahnungslos. Oder er behielt einen | |
Vorgang für sich, der das Zeug zur Staatsaffäre hat. | |
Auch über die Schlagkraft des Themas herrscht Einigkeit bei Strategen von | |
Grünen und SPD. Datenschutz und Kommunikation im Netz sind längst keine | |
Nischenthemen mehr, nicht erst seit der Aufregung um die Piratenpartei. Das | |
Digitale hat eine neue Wertigkeit. Heutzutage verabreden sich Ruheständler | |
auf Facebook, kaum ein Bürger kommt ohne Mailadresse aus. | |
Grünen-Chefin Claudia Roth ist sicher, dass die Affäre auch jenseits des | |
Wahlkampfs ein Aufreger wäre. „Hier geht es um den Kernbestand der | |
Grundrechte, um eine Kernschmelze des Rechtsstaates“, sagte sie. „Ich merke | |
bei Veranstaltungen, wie sehr das die Menschen beschäftigt, auch bei einem | |
eher liberal-konservativen Publikum in ländlichen Gebieten.“ Heißt | |
übersetzt: Die Lauschangriffe verärgern auch Merkels Wähler. | |
## Profalla als Sündenbock | |
Seit Langem beobachtet man im Willy-Brandt-Haus mit Sorge, wie geschickt | |
Merkel ihr Image der Landesmutter bedient, die sich im alles kümmert. | |
Steinbrücks aktueller Vorwurf, sie verletze ihren Amtseid, versucht, dieses | |
Image zu dekonstruieren. Indem er nahelegt, sie habe sich eben nicht um das | |
Wohlergehen der Deutschen – und ihrer Daten – gekümmert. | |
Aufmerksam verfolgt man bei SPD und Grünen die Verteidigungsstrategie der | |
Kanzlerin. In einem [1][Zeit-Interview] verwies sie am vergangenen | |
Donnerstag erstmals darauf, dass im Bundeskanzleramt ein Koordinator für | |
die Nachrichtendienste verantwortlich sei. | |
Dies wird in der Opposition als Versuch dechiffriert, Pofalla als | |
potenziellen Sündenbock ins Licht zu schieben. [2][Die Dienstreise] von | |
Innenminister Hans-Peter Friedrich in die USA, von der dieser mit | |
bestürzend leeren Händen zurückkehrte, wird ähnlich gelesen. | |
Die Opposition will Friedrich jetzt vor das Parlamentarische | |
Kontrollgremium zitieren, das in einer Sondersitzung am Dienstag tagt. Und | |
sie droht mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. „Wenn die | |
Widersprüche weiter unbeantwortet bleiben, muss die Affäre in der nächsten | |
Legislaturperiode durch einen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden“, | |
sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck. In einem solchen, so | |
Beck, stünden Zeugen dann unter Wahrheitspflicht. | |
15 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-07/interview-zeit-merkel-nsa | |
[2] /Opposition-kritisiert-Friedrich/!119809/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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