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# taz.de -- Bundestagswahl 2013: Der Drops ist noch nicht gelutscht
> Das Rennen scheint aktuellen Umfragen zufolge wieder offen und ein Sieg
> von Rot-Grün möglich zu sein. Doch es fehlt eine große Idee.
Bild: „Gegen Laufzeitverlängerung“ sind die Spitzenkandidaten der Grünen…
BERLIN taz | Ist das so? Ist der Drops gelutscht und das rot-grüne
Koalitionsprojekt tatsächlich schon gescheitert? Ist dieser ganze Frust,
der sich unter den wahlkämpfenden SPDlern breitgemacht hat, sind all die
Schmähungen des Kandidaten Peer Steinbrück gerechtfertigt? Ist es
tatsächlich schon als ausgemacht, dass dieses Land nach dem 22. September
weitere vier Jahre von Schwarz-Gelb regiert wird? Und zwar von einer
Kanzlerin, die Angela Merkel heißt und die dann mit dem kleineren
Koalitionspartner ihrer Wahl nach Belieben verfahren kann?
Keineswegs. Zwei Monate vor der Bundestagswahl ist das Rennen wieder offen.
Das liegt nicht nur an den besser werdenden Umfragewerten für Rot-Grün oder
daran, dass Merkel und ihr Kanzleramt in der NSA-Affäre eine gefährlich
schlechte Figur machen. Nein, stellt man sich gedanklich einmal abseits des
gesellschaftlichen und medialen Großmeinungstums, scheint es dieser Tage
durchaus möglich, dass die Sozialdemokraten und die Grünen die
Bundestagswahl noch gewinnen.
In den aktuellen [1][Wählerbefragungen von Infratest dimap] liegen
Schwarz-Gelb (45 Prozent) und Rot-Rot-Grün (46 Prozent) gleichauf. SPD und
Grüne kommen zusammen auf 39 Prozent. Zeit also für die Wahlstrategen der
beiden Parteien, zu schauen, ob und wie sie die Sache mit dem Wechsel doch
noch hinbiegen könnten – und zwar, ohne Richtung Linkspartei schielen zu
müssen. Die Möglichkeit gibt es.
Es ist eine Möglichkeit, die nicht nur das Verdienst der beiden
Wunschkoalitionspartner wäre. Sondern die auch am Agieren – oder
Themenaussitzen – der Bundesregierung läge sowie am sich in den letzten
Wochen verstärkenden inhaltlichen Interesse der Wählerinnen und Wähler. Die
haben nun ausreichend Zeit, im Urlaub die Wahlprogramme der Parteien
durchzuschauen, statt immer schon zu meinen, man kenne diese Sozis.
## Zweckehe statt Liebesheirat
Oder diese Grünen. Die haben bekanntlich in ihr [2][Programm]
hineingeschrieben: „Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke
Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD.“ Weil sie in diesem Bündnis
die besten Chancen erkennen, den grünen politischen Wandel umzusetzen.
Zweckehe nennt man derlei. Von Liebesheirat war nie die Rede.
Überhaupt sind die Grünen diejenigen mit der besseren innerparteilichen und
strategischen Aufstellung. Die Flügelkämpfe sind beigelegt, das Programm
basisdemokratisch entschieden, die Wahlkämpfer in den Startlöchern. Die
Grünen haben das Potenzial, zwei, drei Prozentpunkte auf das Stimmenkonto
draufzubuchen. Ob Energie und Umwelt, Gerechtigkeit oder Modernisierung der
Gesellschaft – was sie fordern und anbieten, ist nicht weit entfernt vom
„Regierungsprogramm“ der Sozialdemokraten. Aber meilenweit weg von dem, was
FDP und Union beschlossen haben. Da mag Merkel noch so übergriffig den
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in „tariflich festgesetzte
Lohnuntergrenze“ ummogeln.
Auch aus einer ersten inhaltlichen Demontageattacke sind die Grünen bereits
gestärkt hervorgegangen. Ihr Konzept, einen Spitzensteuersatz von 49
Prozent einzuführen – eigentlich eine urlinke Forderung nach mehr
Verteilungsgerechtigkeit – widerstand im Faktencheck allen
Desavouierungsversuchen. Pittoreskerweise kamen die Angriffe nicht nur von
liberalkonservativen Interessenwahlkämpfern. Auch aus dem linken Lager
mussten die Grünen hören, Steueranhebungen anzukündigen sei wahlstrategisch
unklug. Also lieber gar nicht drüber reden? Auch linksgrüne Wähler finden
offenbar Geschmack an ungefährer Schlagwortprogrammatik.
Und die Sozialdemokraten? Auch in ihrem [3][Programm] steht das Bekenntnis
zu Rot-Grün. Nur so schaffe man „die Erneuerung unseres Landes“. Bei den
Steuern jedoch will die SPD es sich mit niemandem verscherzen. Zwar spricht
Peer Steinbrück von Steuern, „die wir für einige erhöhen wollen“. Und im
Programm steht, man wolle die Vermögensteuer „auf ein angemessenes Niveau
heben“, um dann die Mehreinnahmen in Bildung und in Infrastruktur zu
stecken. Aber den konkreten Vorschlag – wer zahlt wann wie viel? – bleibt
die SPD schuldig.
## Wahlkämpfer müssen Themen der Menschen aufgreifen
Selbst wenn den Wählerinnen und Wählern Steuerkonzepte, Kommunalfinanzen
und Bürgerversicherung zu abstrakt sind – das Schöne an Wahlkampfzeiten
ist, dass niemand voraussehen kann, welche Themen in den letzten sechs
Wochen wichtig werden und emotionalisieren. Die Bundeskanzlerin hat es am
Freitag selbst gesagt in ihrer [4][Pressekonferenz]: „Wahlkampf findet über
die Dinge statt, mit denen sich die Menschen befassen.“ Mit denen sich also
im Umkehrschluss die Politik zu befassen hat. Es ist angesichts von NSA,
„Euro Hawk“ und einem irisierenden Innenminister alles andere als
ausgemacht, dass in dieser Aufmerksamkeitsökonomie nicht auch die Union in
eine gefährliche Wahrnehmungsschieflage geraten könnte.
So wenig Gerhard Schröder im Wahlsommer 2002 voraussah, dass eine
Hochwasserkatastrophe ihn zum helfenden Landesvater in grünen Gummistiefeln
machen würde, so wenig war eine Angela Merkel schwer beschädigende Pleite
wie die NSA-Affäre vorauszusehen. Wer weiß schon, wie groß dieses – oder
ein anderes – Thema noch wird?
Sozialdemokraten und Grüne können nun die letzten Wochen nutzen, um
klarzumachen, worum es ihnen tatsächlich geht. Immer nur den „Wechsel“ zu
beschwören reicht nicht. Es fehlt eine große gesellschaftliche Idee, die
mehr anbietet, als sich auf 150 Jahre Sozialdemokratie zu berufen: ein
anschlussfähiger rot-grüner Grundgedanke, hinter dem sich die Wählerinnen
und Wähler versammeln können. Und zwar dann, wenn es darauf ankommt,
pünktlich am 22. September.
21 Jul 2013
## LINKS
[1] http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/sonntagsfrage/
[2] http://www.gruene.de/partei/gruenes-wahlprogramm-2013.html
[3] http://www.spd.de/95466/regierungsprogramm_2013_2017.html
[4] /Bundeskanzlerin-ueber-NSA-Spitzelei/!120280/
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
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