# taz.de -- Grüne im Wahlkampf: Es war einmal im grünen Königreich | |
> Die Grünen loben sich selbst als die „Europa-Partei“. Im Wahlkampf taucht | |
> das Thema nicht auf – weil der Vorstand seine Europa-Enthusiasten | |
> zurückpfiff. | |
Bild: Schon wichtig, dieses Europa. Aber nicht im Wahlkampf der Grünen-Spitzen… | |
BERLIN taz | Dies ist die Geschichte einer Beinahe-Revolte. Niemand von den | |
Grünen will sie in der Zeitung lesen, weder die gescheiterten Revoluzzer | |
noch der Bundesvorstand, der ihren Aufstand erfolgreich verhindert hat. | |
Gerade deshalb ist die Geschichte so interessant, denn dieses Schweigen | |
sagt viel über die Grünen von heute aus. | |
Sie beginnt irgendwann in den vergangenen Jahren, während der Euro-Krise, | |
als die Grünen anfingen, sich als überzeugte Europa-Partei zu loben. | |
Vielfalt, keine Grenzen, eine bunte Gesellschaft, ach, Europa. Kann es ein | |
grüneres Projekt geben? | |
Also umarmte ihr Vorsitzender Cem Özdemir 2011 demonstrativ den | |
griechischen Sozialisten Giorgos Papandreou. Die Basis beschloss auf | |
Parteitagen pflichtschuldig vom Vorstand formulierte Jubelpapiere, die | |
Fraktion und die Länderchefs taten es ihr auf ihren Treffen gleich. Auch | |
die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt wurden nicht | |
müde, ihr Engagement für das wunderbare Europa hervorzuheben. | |
Diese Begeisterung beflügelte all diejenigen in der Partei, die sich | |
professionell mit dem Staatenbund beschäftigen. Und so gelangte eine Gruppe | |
von europäisch versierten Grünen zu der nicht unvernünftigen Ansicht, das | |
Thema müsse auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen. Exparteichef | |
Reinhard Bütikofer gehörte zu ihr, Rebecca Harms, die Fraktionschefin im | |
Europaparlament, der Finanzexperte Sven Giegold, das Parteiratsmitglied | |
Annalena Baerbock und viele andere mehr. Gewinnen mit Europa! | |
Ein Plakat, fanden sie, wäre doch eine schöne Sache. Als es in den vielen, | |
sehr bedeutenden Gremien der Partei darum ging, den Wahlkampf zu planen, | |
warben sie für diese Idee. Ein kleines Plakat zum Herzensthema ist | |
eigentlich keine große Sache, könnte man meinen. | |
## Innenpolitik zieht einfach besser | |
Doch der böse Vorstand reagierte mürrisch. Er hatte seine Euphorie längst | |
vergessen, denn nun ging es ans Eingemachte. Schon wichtig, dieses Europa, | |
klar, aber im Wahlkampf zieht die Innenpolitik nun mal besser, die | |
Energiewende, die Bildung, all das. | |
So stritten sich die Europa-Rebellen mit dem Vorstand, Woche um Woche | |
verging, der Redaktionsschluss für die offizielle Plakatserie rückte näher. | |
Und weil sich alle Grünen grundsätzlich immer lieb haben, bot der Vorstand | |
schließlich einen Kompromiss an. Ein Plakat zu Banken werde er drucken, | |
sagte er den Unzufriedenen. Damit könnten sie zufrieden sein, denn hey, | |
Banken, Schulden, Krise, das habe auch etwas mit Europa zu tun. | |
Die Rebellen murrten. Nein, so hatten sie sich das nicht vorgestellt. Sie | |
wollten doch das Schöne an Europa herausstellen, das Einzigartige und | |
Großartige. Und dann fassten sie einen ungeheuerlichen Plan. Einen Plan, | |
wie es ihn in der friedlichen Grünen-Welt so noch nie gegeben hatte. Sie | |
begehrten auf gegen den Vorstand in seinem fernen Berliner Schloss. | |
Die Rebellen beauftragten eine Agentur, sie ließen ein Motiv entwerfen, ein | |
alter Mensch neben einem Kind, dazu der Spruch „Meine Heimat Europa“. Sie | |
entsandten Brieftauben in Kreisverbände und fragten, ob die Untertanen das | |
Plakat aufhängen würden. Alles war vorbereitet für die Palastrevolte. | |
## „Ihr Spitzbuben", riefen die Herrscher | |
Doch dann erfuhren die Berliner Herrscher von dem Plan. „Was fällt euch | |
ein, ihr Spitzbuben“, riefen sie. „Wenn ihr euer Machwerk veröffentlicht, | |
werden das böswillige Schreiberlinge als Zwist auslegen.“ | |
Die Rebellen verließ der Mut. Böse Schlagzeilen? Streit? Wie käme das beim | |
Wahlvolk an? Was bedeutete das für ihre eigene Karriere im grünen | |
Königreich? Die wackeren Ritter zitterten. Mehr und mehr von ihnen kehrten | |
der Schar den Rücken, bis auch die letzten beschlossen, den Plakatentwurf | |
lieber wegzuwerfen. Und so kam es, dass die Europa-Partei ohne | |
Europa-Plakat in den Wahlkampf ziehen wird. | |
Es gibt, wie so oft, nicht nur eine Moral von der Geschichte. Man könnte | |
sich fragen, was von einem Vorstand zu halten ist, der seine Partei ständig | |
als streitlustig lobt, aber selbst kleinste Meinungsverschiedenheiten | |
unterdrückt. Oder was von Rebellen, die die Fahne einrollen, weil ein | |
Vorstandsbeschluss fehlt. | |
Man kann es aber auch wie die Grünen sehen, die sagen würden: Wir haben | |
eine angeregte inhaltliche Debatte gütlich beigelegt. | |
26 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Grüne | |
Wahlkampf | |
Europa | |
Reinhard Bütikofer | |
Sven Giegold | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Grüne | |
Cem Özdemir | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
DIW | |
NSA | |
Wahlcheck | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüner Kurswechsel im Wahlkampf: Operation „All Time Classics“ | |
Steuererhöhungen? Welche Steuererhöhungen? Warum Jürgen Trittin plötzlich | |
wieder Klassiker wie die Energiewende betont. | |
Wahlkampf in Stuttgart: Wenn Grüne Betreuungsgeld wollen | |
In Stuttgart konkurriert der Grünen-Chef Özdemir zur Bundestagswahl mit | |
einem modernen CDUler. Es geht darum, wer die Mitte dominiert. | |
Der taz-Wahlcheck (5): Mutti macht das schon | |
Die Parteien treten mit unterschiedlichen Positionen zur Wahl an. Wirklich? | |
Die taz hat die Programme thematisch durchforstet. Diesmal: Steuern und | |
Finanzen. | |
Steuerkonzepte der Parteien: Grüne kassieren am meisten | |
Mal nachgerechnet: Würden Steuerpläne der Grünen verwirklicht, könnte der | |
Fiskus jährlich 7,5 Milliarden Euro mehr einnehmen. | |
Reaktion auf Späh-Affäre: Grundgesetz weiter als die Grünen | |
Die Grünen-Spitze hat nach der Späh-Affäre einen Vorschlag: Sie will Mails | |
und SMS wie klassische Briefe schützen. Doch das ist längst gültiges Recht. | |
Der taz-Wahlcheck (4): Billig, das will doch jeder | |
Die Parteien treten mit unterschiedlichen Positionen zur Wahl an. Tun sie | |
das wirklich? Die taz hat die Programme thematisch durchforstet. Diesmal: | |
Energiepolitik. | |
Bundestagswahl 2013: Der Drops ist noch nicht gelutscht | |
Das Rennen scheint aktuellen Umfragen zufolge wieder offen und ein Sieg von | |
Rot-Grün möglich zu sein. Doch es fehlt eine große Idee. | |
Debatte Schwarz-Grün: Die Melange des Zeitgeistes | |
Claudia Roth als Merkels Migrationsministerin, Sven Giegold als | |
Staatssekretär. Warum es nach dem 22. September anders kommt als geplant. |