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# taz.de -- Debatte Schwarz-Grün: Die Melange des Zeitgeistes
> Claudia Roth als Merkels Migrationsministerin, Sven Giegold als
> Staatssekretär. Warum es nach dem 22. September anders kommt als geplant.
Bild: Zähneknirschend fröhlich.
Es gibt keine Partei außer der Merkel-CDU, die so energisch und mit solch
prinzipienfestem Machtopportunismus auf die Verteidigung ihrer Macht setzt.
Es gibt auch keine Oppositionspartei außer den Grünen, die so sehr nach
Regierungs- und Machtbeteiligung lechzt.
Der Wahlkampf 2013 ist derweil zum gähnend langweiligen Ritual verkommen.
Merkels Slogan „In schwierigen Zeiten in guten Händen“ dominiert. Der
angekündigte Lagerwahlkampf findet nicht statt. Kennen Sie einen Stammtisch
oder einen Freundeskreis, der sich ernsthaft über die Bundestagswahl
streitet?
Am Ende macht’s Merkel – mit wem auch immer. Die SPD wirkt, als ob sie
schon jetzt das Handtuch geworfen hätte und vor einem wundenleckenden
Erneuerungsprozess stünde. Wenn nicht ein mittleres Wunder geschieht,
dürften die Sozialdemokraten wie schon 2009 eine demütigende Niederlage
erleiden. Die Selbstachtung wird die SPD danach von einer erneuten großen
Koalition abhalten.
Die FDP hat sich so gründlich blamiert, dass eine erneute
Regierungsbeteiligung als Lachnummer wahrgenommen würde. Anders als 2009
gilt der größere Teil des FDP-Führungspersonals von Rösler bis Westerwelle
als politische Laienspielerschar. Merkel würde dem späten Kohl ähneln, wenn
sie an diesem ausgelaugten Bündnis festhielte – wobei es wenig
wahrscheinlich ist, dass es nach der Wahl dazu reicht.
## Persönlich-politische Animositäten
Umso vehementer dürfte bald eine Schwarz-Grün-Debatte losbrechen. Volker
Kauder (CDU) und Horst Seehofer (CSU) sprechen „Jürgen Trittin“ schon jetzt
nicht mehr so aus, als würde es sich um ein CDU/CSU-Vernichtungsmittel
handeln. Wechselseitige persönlich-politische Animositäten sind zwar eine
hohe Hürde, dennoch werden vorsichtig Fühler ausgestreckt.
Es spricht deshalb einiges dafür, dass wir nach dem Wahlabend innerhalb
weniger Wochen eine machtstrategische Allianz von Schwarz-Grün erleben
werden. Darauf sind aber das jeweilige Führungspersonal und die
Öffentlichkeit bisher noch schlecht vorbereitet.
Merkels Eintrittsangebote an die Grünen könnten „Steuererhöhungen light“
für Besserverdienende zur Finanzierung von Infrastrukturaufgaben, eine
Leitrolle der Grünen in der Energiewende und der Rückzug der CDU aus dem
Stuttgart-21-Projekt sein. Hinzu käme eine Aufstockung des EU-Projekts für
Südeuropa gegen Jugendarbeitslosigkeit um 15 Milliarden Euro und eine
verschärfte Rüstungsexportkontrolle.
Die Koalitionsverhandlungen laufen hart, aber fair, es gibt auf vielen
Feldern erstaunliche Kompromisse und diskrete Vertagungen. Merkel
überrascht mit prinzipienfester Wendigkeit. Die Verhandlungsführerin der
Grünen, Katrin Göring-Eckardt, wächst in ihre Vermittlerrolle geschickt
hinein. Trittin, für einige in der Union eine Hassfigur, bleibt klugerweise
im Hintergrund.
## Vage genug zum Verhandeln
Ich höre schon den Aufschrei in beiden politischen Lagern, der die
grundsätzlich widerstreitenden Positionen beschwört und auf das Fehlen von
Schnittmengen verweist. Gemach! Zunächst fördert die sorgfältige Lektüre
des CDU/CSU-Programms die Erkenntnis zutage, dass es sich in Wahrheit um
eine 127-seitige Bilanz der Unions-Arbeit in der auslaufenden
Legislaturperiode handelt. Die Vorschläge für ein zukünftiges
Regierungsprogramm sind höchst vage und stehen fast immer unter
Finanzierungsvorbehalt.
Zu zentralen Problemen – Finanzmarktregulierung, Rechtsextremismus, Armut –
hat die Union nichts zu sagen. Ihr Programm ist – vorsichtig formuliert –
eine intellektuelle Zumutung für jeden einigermaßen urteilsfähigen Bürger.
Über ein solches Programm des Ungefähren lässt sich immer verhandeln oder
zumindest ausloten, was geht und was nicht.
Die Grünen haben sich dagegen in ihrem 319-seitigen Wahlprogramm
ersichtlich mehr Mühe gegeben, die Grundlinien ihrer Politik auszumalen.
Anders als die Union stellen sich die Grünen zumindest der
Hartz-IV-Problematik, der Asylpolitik und Demokratiefragen; sie behandeln
Drogenpolitik, Gentechnik, Homosexualität, Korruption, Rüstungsexporte,
Transparenz, Verfassungsschutz und anderes mehr.
So gesehen spricht alles dafür, in Koalitionsverhandlungen ausloten zu
können, was gehen könnte und was nicht. Diese lassen sich so führen, dass
sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Lernprozess avancieren. Und auch
erfolgreiches Scheitern gehört zur Demokratie.
## Auch Thilo Bode macht’s
Aber welcher grüne Parteitag wird einem Personaltableau widersprechen, in
dem Trittin einem erweiterten Infrastrukturministerium oder dem Auswärtigen
Amt vorsteht, Claudia Roth ein Migrationsministerium leiten könnte, Katrin
Göring-Eckardt für Familienpolitik zuständig ist und der kluge
Ex-Attac-Aktivist und grüne Europaabgeordnete Sven Giegold als
Staatssekretär bei Wolfgang Schäuble platziert werden kann?
Und wenn die Grünen dann noch den Foodwatch-Gründer Thilo Bode zusammen mit
Renate Künast für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz
vorschlagen, würde der Parteitag eher mit Beifall denn mit einem Nein
enden, auch wenn die Parteibasis vieles zu schlucken hätte.
Schwarz-Grün ist gewöhnungsbedürftig, eine zähneknirschend fröhliche
Machtbeteiligung mit Realitätssinn. Es ist die letzte Chance der grünen
Führungsriege vor dem Generationenwechsel. Und für die CDU/CSU ist es das
schlaueste Modernisierungsprojekt. Die Republik nimmt – so wird uns
infratest-dimap im Dezember 2013 berichten – Schwarz-Grün mit „neugieriger
Gelassenheit“ hin.
Schon jetzt scheint die Wählerschaft klüger zu sein als ihre Politiker:
Schwarz-Grün gilt nach der großen Koalition als stabilste Zweiervariante.
Es ist eine Koalition wider Willen und doch eine Koalition mit
strategischem Kalkül. Macht ist wichtiger als inhaltliche Schnittmengen.
Schwarz-Grün ist die Melange des Zeitgeistes – das, was angeblich noch
niemand ernsthaft will, was aber erstaunlich schnell Wirklichkeit werden
kann.
19 Jul 2013
## AUTOREN
Peter Grottian
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