# taz.de -- Verfassungsschutzchef Maaßen zu Prism: „Keine Spionage im eigent… | |
> Das Programm der NSA verstößt nicht gegen deutsche Interessen, sagt der | |
> oberste Verfassungsschützer. Einen Ausspähpakt mit den USA gibt es nicht, | |
> sagt Maaßen. | |
Bild: Hans-Georg Maaßen: „Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Diens… | |
taz: Herr Maaßen, das Institut Allensbach fragt regelmäßig nach dem Ansehen | |
von Berufen. Vorne landen Ärzte, weit hinten Politiker und Banker. Was | |
glauben Sie, wo würden Verfassungsschützer landen, wenn nach ihrem Ansehen | |
gefragt würde? | |
Hans-Georg Maaßen: (lacht) Ganz oben! | |
Das meinen Sie jetzt nicht ernst. | |
Mir ist wichtig, dass wir bei der Bevölkerung wieder an Ansehen gewinnen. | |
Es gab immer wieder schwere Zeiten für das Bundesamt für Verfassungsschutz, | |
aber der vergangene Sommer war sicherlich besonders schwer. Und zwar sowohl | |
was die öffentliche Wahrnehmung betraf, als auch wie wir uns fühlten. | |
Insgesamt aber bin ich mir sicher: Die Mehrheit der Gesellschaft weiß, dass | |
wir den Verfassungsschutz brauchen. | |
Als Ihr Vorgänger Heinz Fromm im Sommer 2012 zurücktrat, wählte er | |
drastische Worte. Es sei schwierig, wieder das Vertrauen in den | |
Verfassungsschutz herzustellen, „wenn es überhaupt geht“. Und Sie sagen | |
nun, das sei Ihnen in nur einem Jahr wieder gelungen? | |
Vertrauen kann man sehr schnell verspielen, wie wir nach dem | |
Aktenschreddern im letzten Jahr feststellen mussten. Schwieriger ist es, | |
Vertrauen wiederzugewinnen. Ich glaube aber, dass wir durch einen | |
offensiven Umgang mit dem Parlament und der Presse wieder einiges an | |
Vertrauen herstellen konnten. | |
Es ist nie ganz geklärt worden, warum ein Verfassungsschutzmitarbeiter | |
gleich nach Auffliegen des NSU die Akten mehrerer V-Leute in der | |
Neonaziszene vernichtet hat. | |
Aber diese Schredderaktion hat uns zu großer Transparenz geführt: Wir und | |
auch ein Ermittlungsbeauftragter des Bundesinnenministeriums sind der Sache | |
intensiv nachgegangen. Die Untersuchungen haben ergeben, dass es sich um | |
Fehlverhalten eines einzelnen Mitarbeiters handelte. | |
Keine Vertuschung? | |
Das kann ich ausschließen. Auch die Staatsanwaltschaft hat ihr Verfahren | |
eingestellt. | |
Im jüngsten Verfassungsschutzbericht heißt es, „Hauptträger der | |
Spionageaktivitäten gegen Deutschland“ seien Russland und China. Wird nach | |
Edward Snowdens Enthüllungen im nächsten Bericht stehen, dass auch die USA | |
die Deutschen ausspähen und massenweise unsere Daten abgreifen? | |
Die USA spionieren nicht gegen Deutschland, um das ganz klar zu sagen. Wenn | |
Prism bedeutet, dass die USA in den USA Daten erheben und auf einem | |
amerikanischen Server speichern, hat dies im eigentlichen Sinne nichts mit | |
Spionage zu tun. Spionage wäre es, wenn in Deutschland gegen deutsche | |
Interessen durch den amerikanischen Staat agiert würde. Dafür gibt es keine | |
Anhaltspunkte. | |
Es steht aber doch der schlimme Verdacht im Raum, dass einer der weltweit | |
größten Internetknoten in Frankfurt am Main angezapft und die Daten an die | |
NSA oder sein britisches Pendant GCHQ abgeleitet werden. | |
Bisher haben wir keine Hinweise, dass fremde Dienste Zugang zur | |
Kommunikationsinfrastruktur in Deutschland haben. | |
„Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen | |
der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, | |
Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus.“ | |
Wissen Sie woher das stammt? | |
Nein. | |
Aus dem Verfassungsgerichtsurteil von 1983, in dem das Grundrecht auf | |
„informationelle Selbstbestimmung“ formuliert wurde. Was unternehmen Sie | |
denn als Verfassungsschützer, wenn ausländische Dienste sich einen Dreck um | |
den deutschen Datenschutz scheren? | |
Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, dass in Deutschland unrechtmäßigerweise | |
Daten durch ausländische Staaten erhoben werden, dann ist das natürlich von | |
großem Interesse für uns und im Zweifel auch strafrechtsrelevant. | |
Und wenn diese Daten im Ausland abgegriffen werden? | |
Wenn man bei Facebook Informationen postet, sollte man sich bewusst sein, | |
dass es nach US-Recht für die amerikanischen Behörden möglich ist, Zugang | |
zu diesen Daten zu bekommen, weil sie auf einem amerikanischen Server | |
liegen. Dasselbe gilt, wenn man sein E-Mail-Postfach bei einem US-Anbieter | |
hat. | |
Ihr Rat: T-Online statt Google-Mail, StudiVZ statt Facebook? | |
Jeder muss sich im Klaren sein: Eine E-Mail zu verschicken, ist so wie eine | |
Postkarte zu verschicken. Und wenn persönliche Informationen ins Ausland | |
gegeben werden, gilt nun mal ausländisches Recht. Man sollte das Thema aber | |
auch nicht auf die USA verengen. Es gibt ganz andere Staaten, die keine | |
Datenschutzbestimmungen, aber Interesse an unseren Daten haben und deshalb | |
gegen uns operieren. Außerdem: Wir haben kaum Einflussmöglichkeiten darauf, | |
wie ausländische Satelliten gesteuert werden und ob irgendwo auf der Welt | |
Unterseekabel angezapft werden. | |
Ihrem Amt und dem BND wird vorgeworfen, mit der NSA bei der Ausspähung der | |
Bürger zu paktieren und eine mächtige Spionagesoftware der NSA einzusetzen, | |
X-KeyScore. | |
Selbstverständlich setzt das Bundesamt für Verfassungsschutz | |
Analyseprogramme ein und testet neue, aber immer auf der Grundlage der | |
geltenden Gesetze. So ist es auch mit dem Programm X-KeyScore, das derzeit | |
anhand bereits rechtmäßig erhobener Daten des Bundesamts als | |
Stand-alone-System getestet wird. Bei diesen Daten handelt es sich um | |
Daten, die wir zuvor rechtmäßig nach dem G-10-Gesetz erhoben haben … | |
… das Gesetz, das es den deutschen Diensten erlaubt, Telefone von | |
Verdächtigen abzuhören oder ihre E-Mails mitzulesen. | |
Genau, immer eben auf rechtlicher Basis. Die NSA hat uns diese Software zu | |
Probezwecken zur Verfügung gestellt. Wenn die Testphase abgeschlossen ist, | |
entscheiden wir, ob wir sie dauerhaft einsetzen. | |
Und liefern als Dankeschön Daten deutscher Überwachungsmaßnahmen an die | |
USA? | |
Nein! Es gibt keinen Ausspähpakt mit der NSA. Wenn Daten im Einzelfall | |
ausgetauscht werden, erfolgt dies auf Basis der gesetzlichen | |
Übermittlungsvorschriften. | |
Die NSA verteidigt ihre Überwachungsprogramme damit, dass seit 9/11 | |
angeblich 50 Terrorpläne weltweit durchkreuzt worden seien. Wie viele und | |
welche Anschläge wurden denn nun durch Hinweise der NSA in Deutschland | |
vereitelt? | |
Fakt ist, dass Anschläge verhindert wurden, auch durch den ein oder anderen | |
Hinweis aus den USA. Ich finde es fast schon perfide zu spekulieren, wie | |
viele Leben gerettet wurden. | |
Warum benennen Sie nicht konkret alle Fälle? | |
Ich darf diese Fälle nicht nennen, weil sie nach wie vor als geheim | |
eingestuft sind. Die amerikanischen Kollegen haben uns geholfen, eine ganze | |
Reihe von Fällen aufzuklären. Teilweise in einem Frühstadium, teilweise | |
wurden aber auch konkrete Anschlagspläne verhindert und Terroristen | |
festgenommen. | |
Warum sind Sie Verfassungsschutzpräsident geworden? | |
Ich habe das Amt in einer schwierigen Situation übernommen, weil ich das | |
Amt für wichtig halte und ich hier etwas neu mit aufbauen kann. | |
Was war die wichtigste Reform Ihres ersten Jahres? | |
Die wichtigste Reform war, dass wir Reformen eingeleitet haben. Dass wir | |
gesagt haben: Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir | |
füllen nicht nur unsere Akten und arbeiten einfach für uns, sondern für | |
unsere Kunden: für die Bundesregierung, die Öffentlichkeit und die Polizei. | |
In einer Broschüre zu Ihren Reformen präsentieren Sie auf Seite eins ein | |
Schild, das nun erstmals vor dem Bundesamt in Köln angebracht wurde. Das | |
ist Ihre Transparenzoffensive? | |
Das Schild ist ein Symbol dafür, dass wir eine Änderung der Mentalität in | |
unserem Haus anstreben. Wir müssen Informationen, die für die | |
Öffentlichkeit bestimmt sind, auch nach außen geben. | |
Der Verfassungsschutz „unterrichtet intensiv und proaktiv die | |
parlamentarischen Gremien“, heißt es in Ihrer Broschüre weiter. Das heißt | |
im Umkehrschluss: Bisher wurde der Bundestag wenig unterrichtet und nur, | |
wenn die Abgeordneten darauf drängten? | |
Wir haben bisher natürlich im Rahmen der gesetzlichen Pflichten die | |
Kontrollgremien des Parlaments unterrichtet. Nun gehen wir auf einzelne | |
Abgeordnete zu und bieten ihnen Informationen zu aktuellen Themen an. Zum | |
Beispiel über neue Entwicklungen im Rechtsextremismus oder Reisebewegungen | |
deutscher Islamisten nach Syrien. | |
Wie verorten Sie sich politisch? | |
Als Realist. Ich versuche das Leben und die Menschen so zu begreifen, wie | |
sie sind. Ich habe Probleme mit Leuten, die sich die Dinge so | |
zurechtschneidern, wie sie sie gerne hätten. Manchmal ist das Leben nicht | |
angenehm. Nur wenn man das begreift, kann man die richtigen | |
Schlussfolgerungen ziehen. | |
Was ist für Sie die größte Gefahr für unsere Demokratie? | |
Das Auseinanderfallen der Gesellschaft. Das Auseinanderklaffen von sozialen | |
Schichten, mangelnde Integration und vielleicht auch die mangelnde | |
Identifizierung mancher Bevölkerungsgruppen mit der Politik sind für mich | |
große Probleme. Dies führt letztendlich dazu, dass es stärkere Ränder und | |
auch Extremisten gibt. | |
Für Zusammenhalt zu sorgen, ist weniger die Aufgabe des | |
Verfassungsschutzes. | |
Wir müssen uns aber um die Probleme kümmern, zu denen dieser mangelnde | |
Zusammenhalt führt. Wir sehen das sowohl bei Islamisten als auch bei | |
Rechtsextremisten. Das sind vielfach junge Männer, die während der | |
Pubertät, im Elternhaus oder während der Ausbildung Schwierigkeiten hatten | |
und in den Extremismus abgeglitten sind. Der Verfassungsschutz und die | |
Polizei müssen sich dann mit den Folgen beschäftigen. | |
8 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Wolf Wiedmann-Schmidt | |
## TAGS | |
Hans-Georg Maaßen | |
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
NSA | |
Prism | |
XKeyscore | |
Verfassungsschutz | |
BND | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Enthüllungen | |
Michael Grosse-Brömer | |
NSA | |
USA | |
BND | |
NSA | |
Verschlüsselung | |
Lavabit | |
Frank-Walter Steinmeier | |
Lavabit | |
Europa | |
Prism | |
Geheimdienst | |
Prism | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umgang mit Enthüllungen: Maaßen kritisiert Geheimnisverrat | |
Der Präsident des Verfassungsschutzes übt Kritik an den Medien. Die | |
Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen“ fordert Schutz für | |
Whistleblower. | |
Unionsgeschäftsführer über NSA-Skandal: „Zusicherung, nicht zu spähen“ | |
Der Parlamentarische Unionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer über das | |
„No-Spy-Abkommen“, die NSA und die Schutzpflichten des Staates. | |
Antwort auf SPD-Anfrage: Deutsche Daten doch unsicher | |
Das Innenministerium schließt einen Zugriff ausländischer Geheimdienste auf | |
„innerdeutsche Kommunikation“ nun doch nicht mehr aus. | |
Kommentar US-Geheimdienste: Snowden wird Obamas Helfer | |
Obamas Beliebtheitswerte sind im Keller. Jetzt nutzt er die | |
Geheimdienstreform als parteiübergreifendes Projekt, um nach vorne zu | |
kommen. | |
Daten-Affäre wird konkret: Die Nummern kamen aus Berlin | |
Half der BND, deutsche Islamisten im Ausland zu orten? Der Geheimdienst | |
weist den Vorwurf der Beihilfe zu gezielten Tötungen jetzt zurück | |
Kolumne Liebeserklärung: Kolonie Deutschland | |
Nirgendwo ist die Aufregung über das Spähprogramm Prism so groß wie unter | |
den Landsleuten. Woran mag das bloß liegen? | |
Verschlüsselung von E-Mails: Auf einmal geht es doch | |
Telekom, Web.de und Gmx verschlüsseln die Übermittlung von E-Mails. Für sie | |
ist es nur eine kleine Änderung, aber für eine PR-Kampagne reicht's. | |
Kommentar NSA und Lavabit: Mutige Kapitulation | |
Verschlüsselte E-Mail-Dienste nehmen ihr Angebot vom Markt. Was auf den | |
ersten Blick wie Resignation wirkt, ist eine starke politische Aktion. | |
Deutschland und die NSA: „Unlauter von Herrn Steinmeier“ | |
Der Druck auf den SPD-Fraktionschef wächst. Nun will Steinmeier „in | |
vollständiger Offenheit“ über seine Rolle in der BND-NSA-Affäre berichten. | |
US-Mail-Dienst macht dicht: Kein Fußbreit den NSA-Spähern | |
Edward Snowden soll ihn genutzt haben, doch der E-Mail-Service Lavabit ist | |
nun eingestellt. Sein Besitzer will den Behörden keinesfalls Zugang zu | |
Kundendaten verschaffen. | |
Was Prism gezeigt hat: Die Kolonie heißt Europa | |
Europa ist unfähig den Rechtsstaat gegen die US-Paranoia zu verteidigen. | |
Und gerade Deutschland weigert sich, seine weltpolitische Rolle | |
einzunehmen. | |
Schutz vor Industriespionage: Die Wachstumsbranche | |
Unternehmer kennen das Problem der Spionage, unterschätzen aber die Gefahr. | |
Nun hofft die Sicherheitsindustrie, davon zu profitieren. | |
Protest gegen Überwachung: Opfer dringend gesucht | |
Bewegungsforscher erklären, warum der Protest gegen Prism und Co. bisher so | |
gering ausfällt. Doch für den Herbst besteht Hoffnung. | |
Hans de With über Überwachung: „Nicht mit uns!“ | |
Die G-10-Kommission kontrolliert die deutschen Geheimdienste. Der | |
Vorsitzende glaubt nicht, dass der Bundesnachrichtendienst ihn austrickst. | |
Neues US-Spähprogramm enthüllt: Gegen XKeyscore ist Prism harmlos | |
Überwachung in Echtzeit. Eine weitere und sehr potente Spionagesoftware ist | |
dank Edward Snowden bekannt geworden. Die US-Regierung wiegelt ab. |